Seit Jahrzehnten arbeiten Forscher an der Entwicklung von Kunstblut. Nun könnte britischen Wissenschaftlern der Durchbruch gelungen sein mit im Labor aus Spender-Stammzellen gezüchteten roten Blutkörperchen.
Das Wissen über unser Blut, seine Zusammensetzung und seine Übertragungsmöglichkeiten durch Transfusion ist heutzutage sehr umfangreich. Daher ist bei Einhaltung entsprechender Vorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen von der Spende bis zur Übertragung die Bluttransfusion ein weitgehend sicherer Eingriff – auch wenn in den letzten Jahren vor allem im Zuge der ARD-Dokumentation „Böses Blut“ mögliche Nebenwirkungen und etwaige negative Folgeerscheinungen der Öffentlichkeit bewusst gemacht wurden. Studien konnten zudem belegen, dass sich das Risiko für Lungenentzündung, Herzinfarkt oder Nierenversagen bei Fremdblut-Empfängern im Vergleich zu Patienten, die kein Fremdblut erhalten haben, deutlich erhöhen kann. „Jede Bluttransfusion gleicht einer kleinen Organtransplantation“, so eine weitere ARD-Sendung zum Thema Bluttransfusion: „Der Grund: Das Blutpräparat kann trotz Filterung immer noch einige weiße Blutkörperchen des Spenders enthalten. Diese werden vom Immunsystem des Empfängers als fremd erkannt und können eine Abwehrreaktion auslösen.“
Dennoch sind weltweit täglich viele Menschen nach gravierenden Blutverlusten infolge schwerer Unfälle oder umfangreicher Operationen im Kampf ums Überleben auf Bluttransfusionen angewiesen. Das gilt auch für Krebspatienten, bei denen infolge von Chemotherapie irgendwann die Blutbildung nachlässt. Die lang gehegte Furcht vor möglichen Infektionen durch eine Bluttransfusion kann aus medizinischer Sicht inzwischen als unbegründet eingestuft werden. Unverträglichkeitsreaktionen können hingegen nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Um das Risiko von Nebenwirkungen bei Bluttransfusionen möglichst weit zu senken, werden längst keine Vollblutspenden mehr übertragen, sondern sogenannte Erythrozyten-Konzentrate, die weitgehend frei von weißen Blutkörperchen sind. Außerdem wird die Spende vor der Verarbeitung auf Blutgruppe, mögliche Krankheitserreger wie HIV oder Hepatitis sowie auf möglichst viele Antikörper untersucht.
Zu wenige Blutspenden
Heute werden in Deutschland – in Sachen Bluttransfusionen weltweit mengenmäßig einer der Spitzenreiter, was zunehmend kritisch hinterfragt wird – täglich rund 15.000 Blutspenden benötigt. Die sind aber, auch infolge der Corona-Pandemie, kaum mehr verfügbar. Weshalb der Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Mitte 2022 von einer „kritischen Versorgungslage“ sprach. Nur 3,5 Prozent der Deutschen sind derzeit laut DRK noch bereit, Blut zu spenden. Obwohl jeder dritte Bundesbürger statistisch gesehen mindestens einmal in seinem Leben auf ein Blutprodukt angewiesen ist.
Vor diesem Hintergrund sind in den vergangenen Jahren immer mal wieder Informationen über mögliche Fortschritte oder gar Durchbrüche in der Herstellung von Kunstblut im Labor an die Öffentlichkeit gelangt. Dabei ist der Begriff „Kunstblut“ eigentlich gar nicht die richtige Bezeichnung für den Blutersatzstoff. Im Wesentlichen handelt es sich dabei nämlich um die roten Blutkörperchen namens Erythrozyten, die dafür verantwortlich sind, den Sauerstoff im Blutkreislauf zu den Körperzellen zu transportieren. Was ihnen nur möglich ist, weil sie den Blutfarbstoff Hämoglobin enthalten, der den Sauerstoff chemisch binden kann.
Schon 2011 hatte ein Wissenschaftsteam des Pariser Hospitals Saint-Antoine unter Leitung von Prof. Luc Douay einen Versuch zur Herstellung von Ersatzblut unternommen. Sie züchteten aus den Stammzellen eines menschlichen Spenders Milliarden von roten Blutkörperchen. Diese hatte das Team zunächst Mäusen injiziert und konnte dabei die Erkenntnis gewinnen, dass die gezüchteten Blutzellen im Organismus einen kompletten Reifungsprozess durchlaufen konnten. Anschließend wiederholte das Team den Versuch an einem menschlichen freiwilligen Spender mit seinen eigenen Stammzellen und überprüfte dabei das Überleben der gezüchteten roten Blutkörperchen in dessen Organismus. Es entsprach der durchschnittlichen Lebensdauer normaler Erythrozyten. „Mit dieser Studie konnte erstmals bewiesen werden, dass die gezüchteten Erythrozyten im menschlichen Organismus überleben können“, so Prof. Luc Douay. „Das ist ein großer Durchbruch für die Transfusionsmedizin.“
Auf den Spuren von Prof. Douay ist jüngst ein Team britischer Wissenschaftler unter Federführung der Zellbiologin Prof. Ashley Toye von der University of Bristol, und des Transfusionsspezialisten Prof. Cedric Ghevaert von der University of Cambridge, noch einen Schritt weiter gegangen. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit den nationalen britischen Gesundheitsbehörden realisiert. „Diese anspruchsvolle und aufregende Studie ist ein wichtiger Schritt für die Herstellung von Blut aus Stammzellen“, so Prof. Ashley Toye. „Es ist das erste Mal, dass im Labor gezüchtetes Blut von einem Fremdspender transfundiert wurde, und wir sind gespannt, wie gut die Zellen am Ende der klinischen Studie abschneiden werden.“
Als Ausgangsmaterial hatten die Forscher eine herkömmliche Blutspende von 500 Millilitern genommen. Aus dieser entnahmen sie mithilfe von Magnetperlen die Stammzellen, aus denen sich rote Blutkörperchen entwickeln lassen. Innerhalb von drei Wochen konnten die Wissenschaftler aus den etwa 500.000 Stammzellen im Labor in einer Nährlösung rund 50 Milliarden rote Blutkörperchen züchten. Nach intensiver Kontrolle verblieben rund 15 Milliarden rote Blutkörperchen. Ein winzig kleiner Teil dieser roten Blutkörperchen, mengenmäßig etwa fünf bis zehn Milliliter, wurde dann zwei Probanden injiziert. Die beiden Probanden „wurden genau überwacht, und es wurden keine unerwünschten Nebenwirkungen gemeldet. Es geht ihnen gut, und sie sind gesund“, so das erfreuliche Zwischenfazit.
Tests verliefen vielversprechend
Im nächsten Schritt sollen im zeitlichen Abstand von vier Monaten mindestens zehn weitere Probanden zwei Transfusionen erhalten – eine mit normalen gespendeten roten Blutkörperchen und eine mit im Labor gezüchteten roten Blutkörperchen. Damit wollen die Forschenden erkunden, ob die jungen, im Labor gezüchteten Blutkörperchen länger halten als die gespendeten roten Blutkörperchen. Wofür viel zu sprechen scheint, weil Spenderblut in der Regel eine Mischung aus alten und neuen Blutzellen enthält. Dadurch kann die maximale Lebensdauer roter Blutkörperchen von 120 Tagen oft nicht in allen Fällen erreicht werden, während das für frische rote Blutkörperchen aus dem Labor durchaus möglich scheint.
Das könnte speziell für Patienten, die regelmäßig Blutzufuhren benötigen, ein enormer Vorteil sein, weil dadurch die Zahl der Transfusionen gesenkt und die damit häufig verbundene Eisenüberversorgung reduziert werden könnte. Ein weiterer Vorteil des Laborbluts könnte sein, dass sich die gezüchteten roten Blutkörperchen ganz gezielt zu seltenen Bluttypen ausdifferenzieren ließen, um Menschen mit schwierigen Krankheitsbildern oder seltenen Blutgruppen langfristig besser helfen zu können. Dennoch bleibt die Feststellung der erhofften längeren Haltbarkeit der Laborzellen das Hauptziel der weiteren Untersuchungen. „Wir hoffen, dass unsere im Labor gezüchteten roten Blutkörperchen länger haltbar sind als diejenigen, die von Blutspendern stammen“, so Prof. Cedric Ghevaert. „Wenn unsere Studie, die erste dieser Art weltweit, erfolgreich ist, bedeutet dies, dass Patienten, die derzeit regelmäßig Transfusionen benötigen, in Zukunft weniger Transfusionen benötigen werden, was zu einer Verbesserung ihrer Versorgung beitragen wird.“
Allerdings haben die Forscher vorab die Einschränkung machen müssen, dass auf absehbare Zeit ihr Laborblut schon aus Kostengründen und wegen des großen Herstellungsaufwands nur für wenige Patienten mit sehr speziellen Transfusionsbedürfnissen wie ganz seltenen Blutgruppen, Antikörper-Ausbildungen gegen bestimmte Blutfaktoren oder beim Vorliegen einer Erkrankung an Sichelzellenanämie Verwendung finden kann. Der hohe Bedarf an normalen Blutspenden werde damit nicht gedeckt werden können. Dennoch wagte Prof. Ashley Toye schon mal träumerisch in die Zukunft zu blicken. Ihr Ziel sei es, „in Zukunft so viel Blut wie möglich herzustellen. Meine Vision ist also ein Raum voller Maschinen, die kontinuierlich Blut aus einer normalen Blutspende herstellen.“