In unserer Serie "Grüne Orte in Berlin" stellen wir heute den Mauerpark vor. Er steht wie kein anderer Ort für den Wandel der Stadt nach dem Mauerfall und verkörpert die Sehnsucht der Berliner nach Freiraum und Selbstbestimmung.
Wer hierherkommt, kann sich sicher sein: Es ist etwas los! Denn noch immer gilt der Mauerpark unter den Stadtparks in Berlin als der wilde, der zwanglose. Offen, frei und hippiesk. Daran hat sich in den letzten 25 Jahren seit dem Mauerfall nur wenig geändert. Vor allem im Sommer und besonders am Wochenende wird im Mauerpark ein großes Fest gefeiert, aber auch im Herbst kann man hier viele erholsame Stunden verbringen.
Los ist hier eigentlich immer etwas. An den wärmeren Tagen sind es die Grillfans, die nicht selten ihr komplettes Grill-Equipment samt Getränkevorrat auf die Liegewiese schleppen, oder Geburtstagsfeiern, die unter freiem Himmel stattfinden bis hin zu den Menschen, die sich im Park sportlich betätigen.
Dazu kommen diejenigen, die eigentlich immer da sind: Die Sprayer auf dem Hügel, die Basketballer auf dem zentralen Sportfeld, die Flaschensammler, die knutschenden Pärchen und die stolzen Hundebesitzer mit ihren Lieblingen.
Sie alle genießen den Freiraum, den der Mauerpark ihnen bietet. Viele Besucher sind fasziniert von der Spontaneität und der Unkompliziertheit, die hier vorherrscht. Kaum zu glauben, dass bis 1989 an dieser Stelle noch DDR-Grenzschützer auf der Lauer lagen mit scharfen Waffen im Anschlag. Auch damals war es ein Freiraum frei von Menschen und frei von Menschlichkeit. "Ein leeres Feld ... leergeschossen" sinnierte bereits 1992 der Hamburger Landschaftsarchitekt Prof. Gustav Lange über die Ausgangslage für seinen Parkentwurf. Und Lange hatte recht: Am 20. Juli 1973 wurde in diesem Grenzabschnitt tatsächlich geschossen. Westberliner Polizisten gaben damals an, kurz nach Mitternacht 15 Schüsse aus Maschinenwaffen gehört und Grenzposten der DDR beobachtet zu haben, die kurz darauf eine am Boden liegende leblose Person fotografiert hätten. Der Fall ist bis heute ungeklärt.
Doch sobald die Grenze fiel, der Todesstreifen aufgelöst und die Anlagen demontiert waren, kamen die Menschen zurück. Und mit den Menschen kamen die Pflanzen zuerst als wilde Spontanvegetation, später von Menschenhand gepflanzt. Der einst leer geräumte und abgesperrte Ort wurde zurückerobert. Diesmal als echter Freiraum. "Was man hier vorgefunden hat, die Anarchie, der Staat, der sich zurückgezogen hat diese großen leeren Räume, die entstanden sind durch den Crash das ist der Mauerpark." erzählt der Berliner Schriftsteller Wladimir Kaminer im Dokumentarfilm "Mauerpark The Movie". Und tatsächlich ist es dieser Hauch von Anarchie, der die Menschen von Jahr zu Jahr zahlreicher in den Park strömen lässt. "Dass so etwas möglich ist mitten in der Stadt!", staunen Neuberliner regelmäßig. 1994 wurde die Neugestaltung von Professor Gustav Lange der Öffentlichkeit übergeben sie zügelt nicht etwa die Selbstbestimmung der Parkbesucher, sondern unterstützt die Nutzer in ihrem Freiheitsdrang. Die Offenheit des Raumes wird nicht durch festgelegte und monofunktionale Nutzungen beschnitten, sondern punktuell durch treffende Gestaltungen unterstützt. So entwarf Lange entlang der historischen Pflasterstraße, die geradlinig von Nord nach Süd durch den Park verläuft, eine Reihen von Orten und Ereignissen.
Die Planung bedient sich dabei der vorhandenen Topografie: Die Pflasterstraße teilt den Park in eine flache Ebene im Westen und eine Hanglage im Osten. Der Hang ist Teil des bereits 1951 auf einem Berg aus Trümmerschutt errichteten Ludwig-Jahn-Sportstadions, das bis heute durch die ehemalige Hinterlandmauer vom eigentlichen Park getrennt wird. Zwischen Mauer und Hangkante erstreckt sich ein schmales Plateau.
Eigentlich nur ein halber Park
Lange ließ ein Amphitheater in den Hang bauen, an der Pflasterstraße schuf er Baumhaine mit besonderer Atmosphäre und installierte Schaukeln direkt an der Hangkante. Über differenzierte Blick- und Wegebeziehungen entsteht eine Art piranesisches Raumgefüge. Die Gleichzeitigkeit und Verschränkung von Raum und Ereignissen im Mauerpark ist sie erlebbar. Unterstützt wird das Ganze von wild-romantischen Landschaftsbildern aus der Mark Brandenburg: Naturstein, mineralische Beläge und malerische Wildgehölze. Insgesamt ist der Park gestaltet wie ein Fragment: Die verschiedenen Zeitschichten des Ortes bleiben sichtbar. Ein offenes und ehrliches Angebot an die Nutzer. "Kein Park nur für die Mittelschicht, wie andere, sondern ein Ort, wo Menschen zusammenkommen, die sonst nicht zueinander kommen", erläutert eine Nutzerin im Mauerpark-Movie die Wirkung.
Auch deshalb ist der Park so außerordentlich beliebt was an manchen Tagen zum Problem werden kann. Immer wieder sonntags ist auf dem Prenzlauer Berg ein Wort in aller Munde: Flohmarkt. Alle haben davon gehört, jeder will hin. Ob Amis, Schweizer, Brasilianer oder Chinesen sonntags mittags geht es zum Flohmarkt in den Mauerpark. Und danach ins Amphitheater Karaoke singen. Der Ire Joe Hatchiban ist inzwischen weltberühmt für sein Lastenfahrrad, mit dem er die Karaoke-Anlage Sonntag für Sonntag ins Freie fährt. Wer schon immer mal vor 2.000 Zuschauern auftreten wollte hier hat er die Gelegenheit. An diesen Tagen ist das Treiben im Park am buntesten: Live-Bands, Singer-Songwriter, Hippies und Jongleure, Exzentriker und junge Menschen, die selbst gebackene Plätzchen in homöopathischen Stückzahlen anbieten zehntausende Besucher kommen durchgängig in den Mauerpark. Der Kater folgt am Montag. Die abgelaufene Grasnarbe und der viele Müll zeugen vom Ansturm des Wochenendes. Bis zu 20 Mann rücken montäglich in aller Frühe an, um den Mauerpark wieder notdürftig herzurichten. Für Schriftsteller Kaminer ist der Park deshalb eine "typische Berliner Sehenswürdigkeit": "Da gibt es keinen Park und keine Mauer, heißt aber trotzdem Mauerpark" resümiert er augenzwinkernd und spricht den häufig schlechten Pflegezustand des Parks an. Auch Architekt Lange zitierte in diesem Zusammenhang schon mal beziehungsreich Peter Joseph Lennés berühmten Satz: "Nichts gedeiht ohne Pflege; und die vortrefflichsten Dinge verlieren durch unzweckmäßige Behandlung ihren Wert." Der Mauerpark, sagt Lange, sei zeitweise "eine Steppe".
Doch spätestens wenn im nächsten Juni der wilde Salbei blüht und den Hang hinauf zum Stadion in sattem Blau und Grün färbt, ist die Welt im Mauerpark wieder in Ordnung. Eigentlich ist der Mauerpark in seiner heutigen Gestalt nur ein halber Park: Um die andere Hälfte als Erweiterung wird seit Jahren erbittert gestritten. Grund: Die Besitzerin der Flächen, eine Immobilienfirma aus Österreich, wollte sie großzügig mit Eigentumswohnungen bebauen. Die Anwohnerinitiative "Freunde des Mauerparks" organisierte den Protest und machte unermüdlich Gegenvorschläge. Am Ende stand ein Kompromiss: Im nördlichen Teil, oberhalb des historischen Gleimtunnels, darf ein Investor jetzt 700 Wohnungen bauen. Der südliche, direkt an die intensiv genutzte Parkfläche angrenzende Teil, bleibt von jeglicher Bebauung frei und wird neu gestaltet. Die Pläne dafür hat der inzwischen 78-jährige Landschaftsarchitekt Gustav Lange bereits Ende 2014 präsentiert bis 2019 soll endlich umgesetzt sein, worauf Anwohner und Freiraum-Fans schon seit Jahren warten.
Eike Ahlhausen