Fußball-Deutschland nimmt Anteil am Schicksal des Spielers Mario Götze (24). Der Bundesligist Borussia Dortmund stellte ihn wegen einer Stoffwechselerkrankung frei. Der junge Mann, der vor knapp drei Jahren den Fans bei der WM in Brasilien mit seinem Tor zum 1:0-Finalsieg gegen Argentinien einen Freudentaumel bescherte, geriet in einen freudlosen Taumel.
Gefeiert als WM-Torheld danach konnte Mario Götze weder beim FC Bayern München noch als Rückkehrer bei Borussia Dortmund an seine Glanzzeit als ganz junger Spieler anknüpfen. Es schein, als liege ein Fluch über den vier Spielern, die mit ihren Toren Deutschland vier Mal zum Weltmeister machten. Krankheiten, Eskapaden, Abstürze wie wurden Helmut Rahn, Gerd Müller und Andreas Brehme mit dem Ruhm fertig?
Am 4. Juli 1954 passierte beim 3:2-Finalsieg gegen die hochfavorisierten Ungarn das "Wunder von Bern", weil Bundestrainer Sepp Herberger einen Burschen im Aufgebot hatte, den man heute als Comedian bezeichnen würde. Wenn die Stimmung nicht allzu gut war, stellte sich Helmut Rahn im Hotel Bèlvedére auf den Balkon des Zimmers 303 und ahmte auf Ruhrplatt eine Marktfrau nach. Das Zimmer teilte sich "der Boss" mit dem genialen Spielmacher Fritz Walter. Ein Psycho-Trick Herbergers: Der "Boss" sollte vor allem Fritz Walter aufmuntern, wenn der "Große Fritz" aus Kaiserslautern mal wieder zu sehr grübelte.
Gegen Ungarn lag Deutschland schnell 0:2 zurück. Nach dem 1:2, das der Nürnberger Max Morlock erzielte, schoss Helmut Rahn zwei Tore zum Sieg. Das zweite, das zum 3:2, ließ nicht nur Fußball-Deutschland neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aufatmen.
In Essen waren 250.000 Menschen auf den Straßen, als Helmut Rahn zurückkam. Er wurde herumgereicht, und jeder wollte wissen: "Sach ma, wie war dat mit dem Tor?" Der "Boss", ein gutmütiger Mensch, erzählte es immer wieder. Oft gab es ein Bier und einen Kurzen dazu. Doch Helmut Rahn konnte mit dem Ruhm nicht umgehen. 1957 bretterte er volltrunken in eine Baustelle und legte sich danach mit Polizisten an. Die zweimonatige Gefängnisstraße musste er nicht antreten, weil Deutschland ihn brauchte bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden. Er erzielte sechs Tore, wurde bei der Wahl zu "Europas Fußballer des Jahres" hinter dem Franzosen Raymond Kopa Zweiter. Aber Rahn fiel danach immer wieder auf. Beim 1. FC Köln hagelte es Disziplinarstrafen, beim MSV Duisburg verschwand er plötzlich für zwei Tage. Ehrenamtliche Helfer des Clubs fanden ihn in einer Kneipe an der holländischen Grenze. Am 4. Spieltag sah Helmut Rahn 1963 als erster Spieler die Rote Karte.
Der "Boss"
tauchte ab
Beruflich versuchte sich Helmut Rahn als Gebrauchtwaren-Händler. Eine Achillesfersenverletzung sorgte 1965 für das sportliche Aus. Das letzte Spiel bestritt er in der Saison 1964/65 beim 2:4 der "Zebras" gegen Borussia Neunkirchen. Rahn zog sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Ihm war Ehefrau Gerti eine Stütze. Als Deutschland 1974 zum zweiten Mal Weltmeister war, verdiente Helmut Rahn seinen Lebensunterhalt als Vertreter einer Technik-Firma, hatte immer noch einen Mercedes, an dem am Kühler ein Hufeisen angebracht war. Es hatte ihm letztlich doch Glück gebracht. Als er mit 73 Jahren starb, hinterließ er außer Gerti auch zwei Söhne. Die Fans in Essen hatten ihn nie vergessen. Am alten Georg-Melches-Stadion wurde ein Denkmal enthüllt, das jetzt am neuen Stadion auf dem Helmut-Rahn-Platz steht.
Ob es in München jemals einen Gerd-Müller-Platz geben wird, scheint fraglich zu sein. Er war der "Bomber der Nation", der 1974 im Endspiel gegen die Niederlande das 2:1-Siegtor schoss. Dabei hatte Müller in seiner Bilanz mehr Tore stehen als Rahn. Gerd Müller traf in 62 Länderspielen 68 Mal, Rahn schaffte in 40 Länderspielen 21 Treffer.
Dabei hätte Gerd Müller, der mit dem FC Bayern so ziemlich alles gewann, durchaus noch zulegen können. Aber am Abend des Finales verkündete Gerd Müller seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Die Spielerfrauen waren nicht zum Bankett zugelassen gewesen. Müller wechselte zu den Fort Lauderdale Strikers ins sonnige Florida. Nach dem letzten Schlusspfiff machte der kleine Gerd, der aus einfachen Verhältnissen stammte, eine große Kneipe auf "Gerd Muellers Ambry". Das konnte nicht gut gehen Gerd Müller verfiel dem Alkohol und kehrte zurück. 1991 war es so weit, dass Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer eingriffen. Die Freunde sorgten dafür, dass Gerd Müller einsichtig wurde und in eine Entziehungsanstalt ging. Nach Entzug und Therapie kam Gerd Müller nach Hause. Er, der Millionen oft hatte jubeln lassen, durfte unter Herman Gerland und Mehmet Scholl Assistenztrainer werden. Er fand seine Ruhe, bis Anfang 2015 eine beginnende Demenz festgestellt wurde. Heute ist Gerd Müller tatsächlich ein Pflegefall.
Der härteste Gegner war der Alkohol
Der dritte WM-Torheld war auch nie ein Kind von Traurigkeit. Dabei wurde Andreas Brehme 1990 im Endspiel gegen Argentinien per Zufall zum Schützen. Es gab einen Elfmeter, den eigentlich Lothar Matthäus verwandeln sollte. Doch dem war ein Schuh kaputtgegangen, und in den schnell angezogenen neuen Schuhen fühlte er sich nicht sehr wohl. Zumal im argentinischen Tor mit Sergio Goycoechea ein Mann stand, der als Elfmeter-Spezialist galt. Aber Andreas Brehme knallte den Ball wuchtig flach in die linke Ecke. Das 1:0, der Sieg!
Schon als junger Spieler fiel Andreas Brehme als Talent auf, so dass sich 1980 der 1. FC Saarbrücken die Spielkünste des damals 19-Jährigen sicherte. Nach nur einer Saison wechselte der auch als Abwehrspieler technisch gute Brehme zum 1. FC Kaiserslautern.
Es folgten der FC Bayern, Inter Mailand und Real Saragossa. Er kehrte noch einmal zum 1. FC Kaiserslautern zurück, stieg 1996 nach einem 1:1 in Leverkusen mit den "Roten Teufeln" ab. Am Tag des Abstiegs weinte Andy Brehme an der Schulter von Rudi Völler. Im Mai 2016 gestand Brehme in einem Interview mit der "Sport-Bild": ",Ich schäme mich der Tränen nicht." Und er gab noch einen bedeutungsvollen Hinweis: "Kevin Großkreutz ist ein authentischer Nachfolger".
Brehme blieb dem FCK treu, machte zum Beispiel mit Matthias Sammer und Jürgen Klinsmann seinen Trainerschein. Der Betzenberg rief, und Andy Brehme hatte einen tollen Start: Sieben Siege zum Saisonauftakt. Auftaktrekord! Doch plötzlich brach im Vorstand des 1. FCK das Chaos aus. Einer der Leidtragenden war Andi Brehme, der gehen musste. Sein Gastspiel in Unterhaching währte auch nicht lange Entlassung. Als Assistent von Giovanni Trapattoni flog er auch raus, als der Italiener gefeuert wurde. Lange Zeit war von Andreas Brehme nichts zu hören, bis er 2013 vor Gericht erscheinen musste Fahren ohne Führerschein. In einigen Zeitungen stand etwas von Fahren in alkoholisiertem Zustand, recherchiert wurde wegen angeblicher Steuerhinterziehung in der Schweiz. Brehme ging damit offen um. Man solle recherchieren, da sei nichts dran. Als sich die Weltmeister von 1990 zur 25-Jahr-Feier 2015 trafen, fehlte nur einer: Andreas Brehme. Einige wollten gehört haben, dass der Mann, der den Elfmeter gegen Argentinien dermaßen kaltblütig verwandelt hatte, als würde er Eisstückchen pinkeln, in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Tage nach dem Fest meldete sich Brehme, dass es ihm gut gehe. Zwischendurch verdingte sich Brehme als Referent bei Firmen, sprach dabei über "Teambuilding". Auch nahm er einen Beratervertrag beim serbischen Club Vojvodina Novi Sad an. Man kann allerdings noch viel tiefer fallen. Sein ehemaliger Kumpel aus Nationalmannschaftszeiten, Thomas Häßler, landete sogar im Dschungelcamp.
Es fehlt also nur noch der Vierte im Bunde. Mario Götze wird glücklicherweise bei der Behandlung fast in Ruhe gelassen. Lediglich die "Bunte" mutmaßte: Eine Stoffwechselkrankheit sei wahrscheinlich unheilbar. Wobei überhaupt in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, um welche Art von Erkrankung es sich handelt. Bleibt zu hoffen, dass er wieder gesund wird.
Wenn Mario Götze dann wieder Tore für Deutschland schießt, jubeln wir wieder. Aber eigentlich ist das gar nicht so wichtig.
Günther Wettlaufer