Die markante Wende in den 90er-Jahren: Der witzige Wilde mit der romantischen Ader wandelt sich vom Method Actor zum manischen Multiplayer.
Er verschmilzt mit seinen Parts und erreicht eine bis dato nie gekannte und anerkannte, irritierende Intensität. De Niro übernimmt seit Anfang der 1990er-Jahre derart viele Parts, dass für profunde Rollenvorbereitungen keine Zeit bleibt. Den ihm vorgeworfenen Makel, er brauche sein „windiges und hämisches Grinsen und den darin verborgenen Wahnsinn" zu zeigen, widerlegte er locker als desillusionierter Ex-Knackie in „Jackie Brown" (1996) oder als zwielichtiger Manager des US-amerikanischen Präsidenten in der Politgroteske „Wag The Dog" (1997). Locker und luftig interpretiert er den Mafiachef in „Reine Nervensache" (1999), den er übrigens selbst produziert, wie den zwölf Monate später folgenden Familienklamauk „Meine Braut, ihr Vater und ich".
Nachdem er in den 80ern kaum einen Kassenhit verbuchen kann, gelingt es De Niro nun, seine Karriere mit mehreren Filmhits zu pushen. In den 90ern sind es satte 24 Filme, darunter die zwei überlangen Epen „Casino" und „Heat". In Martin Scorseses Gangsterballade „Good Fellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia" dominiert er als Jimmy Conway in der Nebenrolle des „Mobsters" den Nachwuchsfiesling Henry Hill, alias Ray Liotta. Scorseses Gewalttragödie avancierte zum Hit.
Vor allem Kenneth Branaghs Horroroper „Mary Shelleys Frankenstein"‚ fegte 1994 die Straßen leer und modellierte De Niro als unkenntliche und unheimliche Kreatur mit Sympathienimbus aus Dr. Frankensteins Universum: 1794 erforscht Kapitän Walton (Aidan Quinn) den Nordpol. Dort begegnet er einem verwirrten Mann, Victor von Frankenstein (Kenneth Branagh), der ihm seine hanebüchene Story erzählt. Nach dem Tod seiner Mutter studierte er in Ingolstadt Medizin. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Vorlesungen von Professor Waldman (John Cleese), der die Theorie vertritt, man könne menschliches Leben auch künstlich kreieren. Menschenmaterial findet der Wissenschaftler auf dem Friedhof oder in den Leichenhaufen der grassierenden Cholera. Er modelliert seine „Kreatur", höllisch hässlich und strohdumm, aber irgendwie mit humanen Zügen. Die Entdeckungsfreude währt nicht lange, sein Geschöpf gerät außer Kontrolle. Kenneth Branagh intendierte eine absolut werkgetreue Adaption, in der die diabolische Ambivalenz des Wissenschaftlers fokussiert werden sollte. Das Resultat war eine bildgewaltige Horrormär mit einem zutiefst bedrohlichen De Niro, produziert von keinem Geringeren als Francis Ford Coppola, der zwei Jahre zuvor mit „Bram Stoker‘s Dracula" ein Meisterwerk in die Kinos brachte.
1995 steigerte sich Robert De Niro in Martin Scorseses „Casino" als mächtiger Manager einer Las-Vegas-Glücksspiel-Walhalla in den 1970ern und bebilderte brachial den Aufstieg und Fall von Sam „Ace" Rothstein, der als perfektionistischer Kontrollfreak höchst effizient eine Spielhölle für die Chicagoer Mafia managt. Als er sich in die Edelprostituierte Ginger McKenna (Sharon Stone) verschießt und mächtigen Politikern den Krieg erklärt, ist sein Ende vorprogrammiert. Publikum und Kritik bejubelten die semibiografische Brutalsaga und lobten die adrenalingeladene Dramaturgie sowie die furiose Bildsprache des an „Good Fellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia" gemahnenden Meisterstücks.
Seine Gagen stiegen erheblich
Ähnliches wiederholte De Niro gleich darauf in Michael Manns enervierendem Gangsterepos „Heat". De Niro ist abermals der perfekte Überwacher. Vincent Hanna (Al Pacino) gibt den energischen Cop mit Herz und Hingabe. Deshalb scheitert auch seine mittlerweile dritte Ehe. Aber er will nur eines, jene Banditen erledigen, die just die Stadt im Würgegriff haben. Auf der anderen Ringseite lauert der Extremprofi namens Neil McCauley (Robert De Niro), der mit seiner Meute unter der Führung von Chris Shiherlis (Val Kilmer) just einen Geldtransport erleichtert hat. Für Hanna der finale Funke an der Zündschnur zum Pulverfass. Beim nächsten Banküberfall ist er den skrupellosen Banditen dicht auf den Fersen, doch McCauley wittert Lunte und bläst den geplanten Raubzug ab. Hanna beendet das Katz-und-Maus-Spiel im finalen Showdown. Das Treffen der beiden Hollywoodtitanen markiert auch den Höhepunkt dieses fiebrig inszenierten Hochspannungskrimis.
„Heat" spielte weltweit rund 175 Millionen US-Dollar ein, „Casino" schnellte auf 118 Millionen. Somit markierte 1995 das bis dato erfolgreichste Jahr für Robert De Niro. Seine Gagen schnellten bis 1999 auf satte 14 Millionen Dollar empor. Mit Barry Levinsons Missbrauchsdrama „Sleepers" bilanzierte De Niro 1996 sogar ein Einspielergebnis von 167 Millionen Dollar. Als weniger lukrativ erwies sich 1996 Tony Scotts packender Stalker-Thriller „Der Fan" (1996), das Dramedy „Marvins Töchter" (1996) floppte dagegen trotz prominenten Casts mit Meryl Streep und Diane Keaton. De Niro agierte unverdrossen weiter, neben Sylvester Stallone und Harvey Keitel 1997 in „Cop Land", ein Jahr später in der Charles-Dickens-Adaption „Große Erwartungen". In John Frankenheimers Actionkrimi „Ronin" (1998) überzeugte er mit Jean Reno, zwölf Monate später mit Billy Crystal in der Mafia-Komödie „Reine Nervensache", mit weltweitem Einspielergebnis von 142 Millionen Dollar der nächste Kassenhit. De Niro war bis „Reine Nervensache" so gut wie nie in einer reinen Komödie aufgetreten, nun überraschte er als A-Lister in diesem fremden Genre.
Noch erfolgreicher war 2000 sogar noch „Meine Braut, ihr Vater und ich", in dem er als Schwiegerpapa des Krankenpflegers Gaylord Focker (Ben Stiller) als eiserner Ex-CIA-Schnüffler Jack Byrnes mit hauseigenem Lügendetektor im Verhörkeller den ungeliebten Schwiegersohn in spe terrorisiert. Mit einem weltweiten Einspielergebnis von 330 Millionen Dollar wurde die Komödie zu De Niros bis dato erfolgreichstem Blockbuster. Er selbst kassierte plötzlich Gagen um die 20 Millionen Dollar, die sonst nur Action-Ikonen wie Harrison Ford oder Komödien-Königen wie Jim Carrey reserviert blieben. Auch die mäßigen Fortsetzungen „Reine Nervensache 2" (2002), „Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich" (2004) sowie „Meine Frau, unsere Kinder und ich" ließen 2010 die Kinokassen noch mächtig klingeln. Danach jagte ein Filmflop den nächsten. Bis heute. Seinem Ansehen hat dies jedoch nie geschadet. De Niro ist immer noch ein ganz Großer des US-amerikanischen Kinos.