Baden-Württemberg gilt als technologischer Vorreiter. Die Heimat von Bosch, Daimler und Porsche steht seit jeher für technische Innovationen. Nun wollen die Big-Player gemeinsam in die Zukunft – mit der größten Forschungshalle Europas.
Eine lichtdurchflutete Halle, groß wie sechs Handballfelder und 16 Meter hoch. Viel Raum für Forschungsprojekte, bei einer Akustik, die sich wenig von der Außenwelt unterscheidet. Nichts hallt hier. Im weitläufigen Raum herrscht völlige Ruhe. Das ist die Arena 2036, die innerhalb weniger Monate auf einem Parkplatz vor dem Campus der Universität Stuttgart-Vaihingen in die Höhe spross. „Licht!" steht nun auch in meterhohen Lettern auf der Außenwand der Halle, während im Abendlicht die Sonne langsam hinter der Halle verschwindet. Drin ist kein Surren, kein Klappern oder Poltern zu vernehmen. Nur das Tippen auf Computertastaturen von einem Ende der Halle. Dort sitzen drei Werkstudenten des Autobauers Daimler. Sie arbeiten an Robotern und führen ihre Tests mithilfe der Computer an ihren Arbeitsstationen durch. Für sie ist es einfacher, direkt in der Fabrik zu arbeiten. Die Atmosphäre ist sogar besser als in einem Büro, sagt der Informatikstudent Emre Sahin: „Hier ist es nie langweilig, was dagegen in einem normalen Büro schon mal vorkommen kann." Sahin war beim Umzug des Projekts in die Fabrikhalle dabei. Nach und nach zogen die einzelnen Bausteine der projektbasierten Forschung, die 2013 begann, in die im Frühling 2017 eröffnete Fabrikhalle ein. Ein orangefarbener Roboterarm steht dort etwa, der eine Autotür greift. An diesem Projekt Namens Mensch-Roboter-Kollaboration forscht das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung daran, wie sich die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine weiterentwickeln lässt. An einem anderen Aufbau steht der Torso eines Kombis gespenstisch auf dem Bruchteil eines Fließbands. Das Logo Baden-Württembergs prangt auf dem Sockel des Aufbaus. Man schmückt sich mit den Innovationen, die hier entstehen. Damit, dass die größte Forschungsfabrik Europas in dem Land steht, in dem das Automobil einst seinen Siegeszug durch die Welt startete.
30 Projektpartner forschen gemeinsam
Daimler ist einer von mehr als 30 Projektpartnern der Forschungsfabrik aus Wirtschaft und Wissenschaft. Dabei sind klanghafte Namen wie Bosch, BASF, Siemens, Hewlett Packard, die Universität Stuttgart selbst, das Fraunhofer Institut und der Stuttgarter Autobauer, der offenbar großes Interesse daran hat, die Prozesse innerhalb einer Fabrik zu optimieren. Markus Schäfer ist Mitglied des Bereichsvorstands Mercedes-Benz-Cars, Produktion und Supply Chain und gleichzeitig Schirmherr der Arena 2036, über die er sagt: „Sie ist für uns ein wichtiger Katalysator, um neue Ideen zu entwickeln und voranzubringen. Durch das Kooperationsmodell aus öffentlich-privater Partnerschaft und enger Anbindung an Hochschule und Forschung können wir gemeinsam komplett neue Ideen für eine mobile Zukunft pilotieren." Das Projekt sei für den schwäbischen Autobauer ein wichtiger Schritt in die Zukunft, denn der Strukturwandel hin zu neuen digitalen Wegen ist auch dort längst angekommen. Schäfer: „Wir befinden uns mitten in einer digitalen Transformation, in der uns neue Fahrzeug- und Mobilitätskonzepte beschäftigen – aber auch die Anwendung von künstlicher Intelligenz, wandlungsfähige Fabriken oder der Einsatz von neuen Materialien und Kommunikationswegen."
Wandlungsfähige Fabriken könnten eine der Innovationen sein, die die Forschungsfabrik hervorbringen soll. Beim Gang durch die Halle fällt sofort auf, dass klassische Fließbänder hier der Vergangenheit angehören. Vier Forschungsbereiche gehen nahtlos ineinander über. Der Bereich „Produktion und Forschungsfabrik" arbeitet am grundlegenden Wandel des industriellen Produktionsprinzips und nutzt große Bereiche der Halle. „Materialien und Konstruktion" und „Simulation und Digitaler Prototyp" sollen das Fahrzeug der Zukunft entwickeln. „Kreativität – Kooperation – Kompetenztransfer" soll als Querschnittsbereich interdisziplinäre Kooperationen fördern.
Vorstandsvorsitzender des eingetragenen Vereins Arena 2036 e.V. ist Peter Froeschle, der als Entwicklungsingenieur langjährige Industrieerfahrungen aus dem Bereich der alternativen Antriebsforschung im Automobilbau mitbrachte. „Die Mission des ambitionierten Forschungscampus ist die wandlungsfähige Produktion der Zukunft für intelligenten, funktionsintegrierten, multimaterialen Leichtbau zu realisieren", sagt er. „Beides wird als Schlüssel für die Entwicklung und Umsetzung einer nachhaltigen Industrie 4.0 sowie die Gestaltung des Technologiewandels im Automobilbau angesehen."
Mehr als 90 Einzelprojekte sind in den ersten fünf Jahren des Projekts schon in der Halle in Arbeit gewesen. Der Forschungsbereich ForschFab, der Forschungsarbeiten zur wandlungsfähigen, nachhaltigen Produktion in der flexiblen Fabrik der Zukunft umfasst, ist einer davon. „Im Lauf der Zeit ändert sich das Bild der Halle immer wieder, weil Projekte kontinuierlich dazukommen oder auslaufen", sagt Froeschle. An das Bild der Halle an sich dürften sich inzwischen alle am Campus gewöhnt haben. Dort, wo heute die Forschungseinrichtung steht, war noch vor vier Jahren ein Parkplatz. Wie im Zeitraffer zogen Bauarbeiter dort das Gebäude hoch. Erst die Grundgerüste. Dann die Wände und die Decke, die trägerlos auf der 35 Meter breiten Halle liegt. Ein neues Parkhaus, dachten viele, die am Rohbau vorbeifuhren. Doch als die Glasfassade kam, war klar, dass es hier um etwas anderes ging. Ende 2016 dann die feierliche Schlüsselübergabe der Universität, 2017 der Umzug.
Global Player in gemeinsamen Büros
Für die Uni selbst ist die Forschungsfabrik von großer Bedeutung, sagt der Rektor der Universität Stuttgart, Wolfram Ressel: „Die an der Universität Stuttgart vorhandenen Kompetenzen in Leichtbau und Produktion werden strategisch gebündelt. So wird erreicht, dass Forschungserkenntnisse optimal in industrielle Innovationen übertragen werden. Mit der Forschungsfabrik trägt die Universität dazu bei, die weltweit führende Position Baden-Württembergs und Deutschlands in der Automobilindustrie zu stärken." Probleme darin, dass sich die Hochschule durch die engen Kooperationen sehr stark der Wirtschaft öffnet, sieht er nicht. Die Universität Stuttgart sehe traditionell in der engen Verflechtung von universitärer, außeruniversitärer und industrieller Forschung einen besonderen Wettbewerbsvorteil, der das Renommee der Hochschule als weltweit anerkannte Forschungsuniversität stärke. „Durch diese Kooperation ist die Universität auch ein zuverlässiger Partner für Wissens- und Technologietransfer in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft", sagt Ressel. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hält „die räumliche Nähe in einem Forschungscampus" für hilfreich, „die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Partner auszubalancieren und zu einem gemeinsamen Forschungs- und Transferansatz zu vereinen", wie es in der Projektbeschreibung des Forschungscampus‘ heißt.
Die Balance der einzelnen Partner ist ungewöhnlich. Die Global Player forschen aber nicht nur in einer gemeinsamen Fabrik, sondern sitzen auch noch gemeinsam im Büro. Von den Schreibtischen, die im Obergeschoss rund um die Fabrikhalle verlaufen, hat man einen uneingeschränkten Blick darauf, was sich in der Halle abspielt. Eine gläserne Wand trennt die Fabrik von weiteren Arbeitsplätzen und Besprechungsräumen im Obergeschoss. Feste Arbeitsplätze gibt es nicht. Die Mitarbeiter wählen ihre Arbeitsplätze frei. Ob an den Schreibtischen im Obergeschoss oder in der Halle selbst. Interdisziplinärer Austausch gehört somit zum Alltag der Protagonisten aus den einzelnen Unternehmen, die ihre Arbeitsplätze in der Arena 2036 haben. Bis das Projekt im Jahr 2036 endet? Nein – mit dem Projektzeitraum der Forschungsfabrik hat der Name nichts zu tun. Stattdessen bezieht er sich auf die Erfindung des Automobils. Das feiert im Jahr 2036 sein 150. Jubiläum.