Professor Jalid Sehouli zählt zu den international führenden Krebsspezialisten in der Frauenheilkunde. Im Interview verrät der Mediziner, welche Krebsarten bei Frauen besonders häufig vorkommen, welche Vorsorgemaßnahmen sinnvoll sind und welche Neuerungen es bei der Tumor-Therapie gibt.
Herr Professor Sehouli, welche typischen Frauenkrebsarten gibt es denn?
Als typische Frauenkrebskrankheiten gelten Brust-, Eierstock-, Eileiter- und Bauchfellkrebs – welche aber als eigene Erkrankungsgruppe anzusehen ist –, der Gebärmutterhalskrebs und der Gebärmutterkrebs. Und dann gibt es grundsätzlich viele andere Tumoren, die nur bei der Frau auftreten, zum Beispiel sogenannte Keimzelltumoren, die mit Schwangerschaft assoziiert werden. Ähnlich wie beim Mann auch, gibt es dann natürlich noch seltene Tumoren wie beispielsweise Sarkome, aus dem Bindegewebe hervorgehende bösartige Geschwulste.
In gewissen Altersgruppen häufen sich diverse Krebsarten, oder?
Auch bei Frauen ist es so, dass bestimmte Erkrankungen, je nach Alter, häufiger vorkommen. Grundsätzlich kann aber jedes Alter von jeder Krankheit betroffen sein. Zum Beispiel der Gebärmutterkrebs ist eher ein Krebs der älteren Frau, der Gebärmutterhalskrebs oder der Brustkrebs eher der jüngeren Frau.
Nicht nur das Alter hat Einfluss auf diverse Krebsarten, auch das HPV-Virus (Humaner Papilloma Virus), das viele Frauen in sich tragen, wird beispielsweise für Schamlippenkrebs oder Gebärmutterhalskrebs verantwortlich gemacht.
Das ist richtig. Aber 75 bis 80 Prozent der Gebärmutterhalskrebse könnten durch eine Impfung vermieden werden.
Das machen aber die wenigsten, oder?
In Deutschland ist es so, dass die Vorsorge noch nicht so adäquat in Anspruch genommen wird, obwohl die Verfügbarkeit wie in kaum einem anderen Land so flächendeckend ist. Hier geht es ja nicht nur um Gebärmutterhalskrebs, hier geht es auch um Brustkrebs oder auch Darmkrebs. Im Allgemeinen kann man sagen, dass bisher nur ein Drittel der Frauen und jungen Mädchen erreicht werden. Hier ist noch viel Aufklärungsbedarf nötig.
Die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs würden Sie also empfehlen?
Ja, auf jeden Fall. Bisher sind es ja nur Mädchen, aber es wird diskutiert, ob man – wie in einigen skandinavischen Ländern auch – die Jungs hinzuzieht.
Welche Vorsorgeuntersuchungen sollte man ab welchem Alter machen?
Für Brustkrebs sagt man ab dem 45. Lebensjahr. Das ist eigentlich die einzige Vorsorge der Frau, die schon seit einigen Jahren flächendeckend verfügbar ist. Dann gibt es die Gebärmutterhalskrebsfrüherkennung, also den Abstrich. Die Krebsvorsorge über die Abstriche ist zurzeit ab dem 20. Lebensjahr angesetzt. Ab nächstem Jahr sollen Frauen auch den HPV-Test in Anspruch nehmen können. Dann soll die Möglichkeit bestehen, neben jährlichen Abstrichen, alle fünf Jahre einen Virustest machen zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Patientin mit dem HPV eine Krebsvorstufenveränderung hat, ist aber eher gering. Die meisten Frauen, die ein Virus in sich tragen, werden nie einen Gebärmutterhalskrebs entwickeln. Und da haben wir ein kleines Problem. Das Virus ist zwar bei nahezu allen Krebsarten da, aber bei den wenigsten Frauen, die das Virus haben, wird jemals Krebs oder eine Krebsvorstufe eintreten. Deswegen sind wir der Meinung, dass man auch noch funktionelle Tests machen sollte. Das ist aber noch Teil der Forschung. Damit kann man aber Frauen, die tatsächlich ein Risiko haben, viel besser identifizieren und charakterisieren.
Was ist das für ein Test?
Zurzeit wird ja nur gecheckt, ob das Virus da ist oder nicht. Aber es gibt funktionelle Tests, die nicht nur schauen, ob der Virusnachweis da ist, sondern ob auch zum Beispiel Wachstumsmarker vorhanden sind, die eigentlich nur bei Krebs oder Krebsvorstufen vorhanden sind. Aktuell haben wir eine Studie in Marokko laufen, bei der wir diesen Test untersucht haben, in Kombination mit einer Selbsttestung, bei der sich die Frau selbst einen Tupfen aus der Scheide nimmt und dieser dann ausgewertet wird. Davon versprechen wir uns in Zukunft, dass man genauer Frauen identifizieren kann, die tatsächlich Krebs entwickeln.
Aber das dauert ja dann noch ewig, bis es eingeführt wird.
Ewig nicht, aber doch noch ein bisschen. In Forschungskonzepten der Charité ist er aber schon im Einsatz.
Es gibt ja nicht bei jeder Krebsart Symptome oder Anzeichen. Bei welcher gibt es welche?
Grundsätzlich muss man unterscheiden: Es gibt Tumore, die können relativ frühe Zeichen haben. Zum Beispiel: Hat eine Frau mit 70 Jahren eine vaginale Blutung, ist das ein wichtiges Anzeichen. Die sogenannte post-menopausale Blutung ist krebsverdächtig. Beim Gebärmutterhalskrebs können unregelmäßige Blutungen auftreten, Kontaktblutungen zum Beispiel beim Geschlechtsverkehr oder eben chronische Entzündungen in der Scheide, die nicht mehr weggehen. Beim Eierstockkrebs haben wir das Problem, dass sie im Bauch liegen und es keine frühzeitigen Symptome gibt. Viele Frauen kommen mit Schmerzen, Veränderungen des Stuhlgangs, Zunahme des Bauchumfangs. Aber das sind alles keine frühen, sondern bereits späte Tumorzeichen. Es gibt aber selten Tumore, die in frühen Stadien Anzeichen zeigen. Das ist bei Gebärmutterhalskrebserkrankungen und Brustkrebs anders. Gerade bei letzterem kann natürlich jeder tastbare Tumor oder Hauteinziehungen ein Anzeichen für das Vorhandensein eines Tumors sein.
Das heißt ja aber auch, dass man nur bei Brustkrebs- und Gebärmutterhalskrebs zum Arzt geht …
Richtig. Selbst die regelmäßigen Ultraschalluntersuchungen sind beispielsweise nicht in der Lage, Eierstockkrebs frühzeitigst zu erkennen. Für Eierstock-, Eileiter- und Bauchfellkrebs existiert kein eigentliches Screening.
Das macht ja Ihre Studie rund um die Wachstumsmarker umso wichtiger.
Genau. Auch eine unserer anderen Studien ist sehr interessant, dabei kooperieren wir mit den Österreichern. Wir versuchen mittels Abstrichen nach Gen-Produkten für Eierstockkrebs zu schauen. Wir versuchen über Abstriche Zellveränderungen zu entdecken, die vor der Erkrankung Eierstockkrebs stehen. Von der Krebsvorstufe bis zum Krebs kann es manchmal zehn, 15, 20 Jahre dauern.
Heißt das, dass Eierstockkrebs wie Brustkrebs stark genetisch veranlagt ist?
Ja, bis zu etwa 20 Prozent der Frauen haben eine genetische Belastung. Und diese genetische Belastung kann auch vorliegen, ohne dass jemand in der Familie erkrankt ist. Genetisches Belastungsrisiko bedeutet nur, dass man das Risiko in sich trägt, aber das ist nie bei 100 Prozent. Es ist maximal bei 80 Prozent. Heißt, die genetische Feststellung empfehlen wir deswegen allen Frauen, auch wenn die familiäre Anamnese unauffällig ist.
Gibt es denn, wie bei der Vorsorge, auch bei der Krebsbehandlung Neuerungen, Innovationen?
Dank wissenschaftlicher Untersuchungen und Studien verstehen wir heute, dass nicht alle Krebsarten gleich sind. Wir wissen mittlerweile, dass zum Beispiel von Eierstock- und Brustkrebs verschiedene Typen existieren. Wir setzen personalisierte Therapiestrategien ein und machen Krebsbehandlungen multimodal. Das heißt, es gibt Therapien, bei denen wir operieren, zur Chemotherapie oder Immuntherapie greifen oder auch eine Tumorgefäßblockade einbauen. In den letzten 15 Jahren wurde eine Vielzahl solcher zielgerichteten Therapien entwickelt. Wir versuchen ganz spezielle Mechanismen in der Krebsentstehung und im -wachstum zu blockieren. Die Medizin hat sich da sehr weiterentwickelt. Wir versuchen immer mehr die personalisierte Medizin bei der Patientin umzusetzen. Innovation ist der Schlüssel.
Inwiefern benutzt man schon die personalisierte Medizin? Gehört sie schon zum Standard?
Ja, beim Brustkrebs ist es schon Standard. Dort ist man am weitesten. Bei den anderen Tumoren ist man noch nicht ganz so weit, aber da ist schon viel Grundlagenarbeit getan. Beim Eierstockkrebs gibt es beispielsweise eine zielgerichtete Therapie gegen Tumorgefäßblockaden oder gegen Reparaturmechanismen. Dort gibt es jetzt insgesamt drei neue Medikamente auf dem Markt. Aber zum Abschluss noch eine Aussage: Auch im Bereich personalisierte Medizin bleibt aber die wichtigste Arznei das Arzt-Patienten-Gespräch.