Er muss den menschlichen Kehlkopf genau kennen, denn zu ihm kommen Sänger, wenn ihre Stimme kaputt ist: Prof. Dr. Dirk Mürbe ist Phonochirurg. Er nimmt mikrochirurgische Eingriffe an den Stimmbändern vor. Als klassisch ausgebildeter Sänger kennt er die Nöte seiner Patienten genau.
Herr Professor Mürbe, sind die Stimmbänder das Wichtigste an unserem Kehlkopf?
Entwicklungsgeschichtlich liegt die ursprüngliche Funktion des Kehlkopfes in einer sicheren Trennung des Atem- und Speiseweges. Der Kehlkopf bildet dabei die Weiche, welche durch einen mehrfach abgesicherten Verschlussmechanismus sicherstellt, dass Nahrungsbestandteile, aber auch Spucke nicht in die Luftröhre gelangen, sondern über die Speiseröhre ihren Weg in den Magen nehmen. Die Funktion des Kehlkopfes als „Stimmgenerator" ist entwicklungsgeschichtlich viel jünger – aber natürlich spielt diese Funktion in unserer heutigen „Kommunikationsgesellschaft" mit hohen Anforderungen an Stimme, Sprache und Hören eine besondere Rolle.
Sie haben Gesang studiert. Kommen Sie selbst noch regelmäßig zum Singen?
Regelmäßiges Singen ist ja die beste Stimmpflege und obendrein gesundheitsfördernd. Auch wenn ich den professionellen Umfang reduzieren musste, bemühe ich mich, meine Stimme durch tägliches Singen auch mit kleinem Zeitfenster „geölt" zu halten.
Mit welchen gesundheitlichen Problemen haben Sänger zu kämpfen?
Professionelle Sängerinnen und Sänger stehen in der Regel durch die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit unter starkem Leistungsdruck und haben dementsprechend große psychische Belastungen zu schultern. Atemwegsinfekte und stimmliche Überlastungen sind weitere alltägliche Gefahren. Der hohe mediale Druck darf dabei nicht zur Vernachlässigung von Selbstkontrolle und Disziplin führen, um die Balance zwischen Hochleistung und Regeneration zu halten.
Was ist anfälliger: die klassische Stimme oder die „Rockröhre"?
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass nicht-klassische Profi-Sänger ohne geschulte Stimmtechnik agieren würden. Auch im Jazz, Rock und Pop wird man höchste Leistungen nur durch das Zusammengehen von stimmtechnischer Professionalität, Musikalität und künstlerischer Exzellenz erreichen. Vielleicht sind Musiker im Jazz, Rock und Pop manchmal besonders strapaziert, da ihre Aufführungsserien und Tourneen über lange Zeiträume mit dichtem Vorstellungstakt gehen und oftmals nur wenig Erholungszeit eingeplant ist.
Welche Therapie-Möglichkeiten kennt die Phonochirurgie?
Die enormen Möglichkeiten der modernen stimmverbessernden Chirurgie (Phonochirurgie) in geübten Händen erlauben heute, dass beispielsweise durch Überlastung entstandene Schwellungen der Stimmlippen schonend und ohne Langzeitfolgen beseitigt werden können und einer vollständigen Wiedererlangung des stimmlichen Leistungspotenzials nichts im Wege steht. Allerdings sollte die Verfügbarkeit dieser hochspezialisierten Mikrochirurgie nicht dazu verleiten, die eigenen stimmlichen Möglichkeiten permanent zu überziehen.
Kann man sich die Stimme auch chirurgisch „frisieren" lassen? So eine Art Schönheits-OP für die Stimme?
Die Stimme stellt eines unserer wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale dar und prägt ganz maßgeblich unser Erscheinungsbild. Chirurgische Verfahren erlauben heute typische Stimmdefizite, zum Beispiel eine trotz Stimmübungsbehandlung nicht hinreichende Stimmstärke bei älteren Menschen, wieder zu kompensieren. Auch ist es uns möglich, die Tonhöhe der Stimme, zum Beispiel bei Transgender-Patienten, chirurgisch zu verändern. Aber, aus einem uninteressanten Stimmmaterial ein Edel-Timbre zu kreieren – da sind unsere Möglichkeiten sehr begrenzt. Dies bleibt eine Domäne des funktionellen Ausschöpfens des eigenen stimmlichen und künstlerischen Potenzials.
Können Sänger Kehlkopf- oder Stimmbandproblemen vorbeugen?
Stimmprofis sind sich in der Regel der Bedeutung einer vollumfänglichen Leistungsfähigkeit ihres „Hauptwerkzeugs Stimme" sehr bewusst und agieren durchaus präventiv im künstlerischen Alltag. Dennoch sind sie nicht gegen alle Gefahren gefeit – Atemwegsinfekte und zu enge Terminplanungen erfordern manchmal Kompromisse.
Sie operieren nicht nur Sänger am Kehlkopf, Sie forschen auch an der Charité. Was ist der Gegenstand Ihrer Forschung?
Die Klinik für Audiologie und Phoniatrie der Charité ist einer der traditionsreichsten Einrichtungen für Stimm-, Sprach- und Hörheilkunde in Deutschland. In Berlin stand vor über 100 Jahren die Wiege der Phoniatrie. Heute gilt es, das außergewöhnliche klinische und wissenschaftliche Potenzial der Berliner Universitätsmedizin zu nutzen und die gesellschaftlich sehr präsente Thematik einer hohen Leistungsfähigkeit von Stimme und Sprache für eine erfüllende kommunikative Teilhabe durch interdisziplinäre und transnationale Forschung zu unterstützen. Hauptarbeitspunkte sind dabei die Leistungsanalyse und Modellierung des Stimmsystems insbesondere von Profistimmen, wobei wir herausfinden möchten, durch welche stimmbildnerischen, gesangstechnischen und stimmtherapeutischen Maßnahmen sich bestimmte Effekte erzielen lassen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt in den neurowissenschaftlichen Grundlagen von Stimme und Sprache, hier werden wir mit Hirnstrommessungen beitragen, den Spracherwerb von Kindern mit Spracheinschränkungen besser zu beurteilen, um noch differenziertere Therapievorschläge entwickeln zu können.