Wie geht es im Handelsstreit mit den USA weiter? Wo steht Deutschland bei der Künstlichen Intelligenz? FORUM-Interview mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.
Herr Altmaier, ein Thema hängt wie ein Damoklesschwert über der globalen Wirtschaft: der drohende Handelskrieg. Wie steht es Ihrer Meinung nach um den Welthandel? Wie werden die Europäer reagieren, sollte US-Präsident Donald Trump die Daumenschrauben weiter anziehen – eskalieren? Deeskalieren?
Im Moment stehen die Zeichen tatsächlich eher auf Verständigung. Jean-Claude Juncker hat bei seinem Besuch in Washington die Türen für eine einvernehmliche Regelung weit geöffnet. Das eröffnet die Chance, einen Handelskrieg zu vermeiden. Wir dürfen allerdings keine Zeit verspielen. Wir müssen mit einer Mischung aus Verhandlungsbereitschaft und Stärke unsere europäischen Interessen vertreten. Meine Prognose ist: Wir können in den nächsten Monaten den freien Welthandel stärken. Der Umstand, dass Europa in dieser Handelsauseinandersetzung von Anfang an geschlossen war und dass wir uns entschieden haben, dem Protektionismus und dem Handelskrieg eine klare Absage zu erteilen, hat uns sehr geholfen, eine Verständigung zu ermöglichen. Ich gehe davon aus, dass wir bei den Industriezöllen ebenso wie bei denen für Stahl und Aluminium deutliche Fortschritte erreichen werden. Wir haben hier einen Paradigmenwechsel erlebt. Das ist auf einer guten Schiene.
Was ja den ironischen Effekt hätte, dass unter Trump der Welthandel vorangebracht worden wäre...
Es ist im Nachhinein eine Bestätigung für meinen Politikansatz: Werben für gute Lösungen, Gespräche führen und klare Positionen beziehen. Ich habe bei meinem Besuch in Washington in meinen ersten Amtstagen als Wirtschaftsminister viele Grundsteine gelegt, die jetzt die Vereinbarungen zwischen Donald Trump und Jean-Claude Juncker erleichtert haben. Das ist auch ein Grund, warum wir gute Chancen auf ein weiter starkes Wirtschaftswachstum haben. Unser Ziel ist, dass wir auch im zweiten Halbjahr eine Fortsetzung des Aufschwungs sicherstellen.
Wie wollen Sie das in Sachen Iran hinbekommen? Europa wird ja in Mitleidenschaft gezogen von Entscheidungen, die in Washington getroffen werden.
Die Europäer sind sich auch im Falle der Iran-Sanktionen einig. Wir wollen, dass der Iran auch künftig keine Atomwaffen entwickelt. Wir wollen daher, dass das Atomabkommen Bestand hat. Deshalb sind wir bereit, wirtschaftlich mit dem Iran zusammenzuarbeiten. Ich bin überzeugt, dass stabile Wirtschaftsbeziehungen mit möglichst vielen Ländern auch einen wesentlichen Beitrag zur politischen Stabilität leisten können. Wir beobachten die Auswirkungen der amerikanischen Sanktionen und ihre Auswirkungen auf unsere Unternehmen in Europa sehr genau und sind mit den betroffenen Unternehmen im Gespräch.
Gilt das für die Sanktionen gegen Russland auch?
Die EU-Sanktionen gegen Russland sind gerade eben erst verlängert worden, weil der Grund für die Sanktionen leider fortbesteht: Die russische Politik im Hinblick auf Krim und Ukraine. Wir haben gleichwohl ein Interesse daran, dass wir jenseits der Sanktionen mit Russland vernünftige Wirtschaftsbeziehungen entwickeln. Darüber gibt es Gespräche. Dabei beachten wir beispielsweise selbstverständlich auch die berechtigten Interessen der Ukraine. So läuft 2019 das Gas-Transitabkommen zwischen Russland und Ukraine aus. Wir arbeiten gemeinsam mit der EU-Kommission intensiv daran, einen Gas-Transit durch die Ukraine auch nach 2019 sicher zu stellen.
Eine schnelle Aufhebung der Sanktionen ist nicht in Sicht, wir sehen aber auch keinen Anlass, die Sanktionen zu verschärfen.
Hier wird aber doch Handelspolitik und Außenpolitik verquickt. Handelspolitik wird instrumentalisiert für andere Ziele. Ist das für Sie als Wirtschaftsminister nicht ärgerlich?
Das ist zu allen Zeiten so gewesen, allerdings – in vielen Fällen ohne durchschlagenden Erfolg. Wir haben ein hohes Interesse daran, dass der weltweite Wirtschaftsaufschwung, den wir seit einiger Zeit beobachten, sich fortsetzt, weil er dazu führt, dass mehr Stabilität und Wohlstand geschaffen wird. Grundsätzlich muss darum gelten, dass man mit dem Sanktionsinstrument sehr sorgfältig umgehen muss und es nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen sollte.
Naja, da gibt es noch andere Ausnahmen: Ausländische Investoren werden auch schon daran gehindert, in Deutschland zu investieren, wie jüngst bei einer Stromnetzbetreiber. Da spielen auch andere Kriterien in Wirtschaftspolitik hinein, oder?
Einspruch! Wir haben ein grundsätzliches Interesse, dass ausländische Unternehmen in den Industriestandort Deutschland investieren und begrüßen dies ausdrücklich. Das geschieht jedes Jahr zigtausendmal, ohne irgendwelche Probleme. Trotzdem gibt es ein nationales Sicherheitsinteresse, so dass wir bei einigen ganz wenigen Übernahmeprojekten genauer hinschauen wollen. Das gilt insbesondere dann, wenn es um sicherheitsrelevante Technologien geht, um sogenannte kritische Infrastruktur, also um Strom, Gas, Wasser oder Telekommunikation. Dort wollen wir prüfen, ob eine Übernahme vertretbar ist, oder die Sicherheit unseres Landes gefährdet. Das wird in den meisten Fällen kein Problem darstellen. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass in weniger als 0,1 Prozent der Fälle Probleme aufgetreten sind. Jedes Land hat aber das Recht, seine Sicherheitsinteressen auch in der Handelspolitik zu wahren.
Da haben Sie doch eine sehr weit gefasste Definition von „Sicherheit", oder nicht?
Natürlich: Sicherheitsinteressen sind heute in der Tat umfassend zu verstehen. Es geht um Sicherheit von Telekommunikation oder Krankenhausdaten, es geht um die Versorgung der Bevölkerung mit grundlegender Infrastruktur, und es bezieht sich auch auf Aspekte der inneren und äußeren Sicherheit.
Sie kommen gerade von großer Tour, um für neue Stromleitungen zu werben. Alle wollen den grünen Strom, aber keiner die Masten. Was ist Ihr Plan?
Die Energiewende hat zwingend eine lange Leitung: Der Strom wird nicht mehr dort produziert, wo er verbraucht wird, wie früher, sondern vor allem da wo Platz ist. Das bedeutet: Der Strom muss transportiert werden. Diese Leitungen müssen und können gebaut werden. Wir sind allerdings dabei bisher weniger schnell vorangekommen als mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Deshalb ist es höchste Zeit, dass der Leitungsausbau in Fahrt kommt. Mein Ziel besteht darin, dass wir bis Dezember, wenn sich Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin treffen, eine Verständigung darüber erzielen, wie es an den kritischen Punkten des Netzausbaus weiter geht. In vielen Fällen scheitert das daran, dass man sich über Standorte nicht einig ist, es scheitert daran, dass Entscheidungen über Erdleitungen oder Freilandleitungen nicht schnell genug zustande kommen. Das können wir uns nicht länger leisten. Darum ist mein Ziel, dass wir bis Ende des Jahres Klarheit haben, wann und wo gebaut wird. Vorschläge, wie dies beschleunigt werden kann, habe ich vorgelegt. Darüber rede ich mit Bürgerinitiativen, mit Landwirten und im September mit den Wirtschaftsministern der Länder.
Wollen Sie den Bauern denn dafür etwas anbieten, dass sie Masten auf ihren Äckern akzeptieren?
Ich bin sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, neue große Kostenblöcke für die Energiewende zu schaffen, weil am Ende die Menschen das bezahlen müssen. Aber ich verstehe auch das Anliegen der Landwirte, nicht nur auf diejenigen zu schauen, die Windräder und Biogasanlagen auf den Äckern haben, sondern auch auf diejenigen, über deren Äcker die Stromleitungen laufen. Das sind zu 99 Prozent unterschiedliche Betroffene. Wir müssen auch im Blick haben, dass es schon jetzt einen Mangel an landwirtschaftlich nutzbarer Fläche gibt, der nicht weiter verschärft werden sollte. Ich habe bei meiner Netzausbaureise verstanden, dass es bei Landwirten eine Vielzahl unterschiedliche Interessen gibt. Die Bauern sind ja nicht grundsätzlich gegen Leitungsbau, im Gegenteil. Sie können sogar wichtige Verbündete für den Leitungsbau werden, wenn wir es klug anstellen, und wenn wir die bisherigen ideologische Scheuklappen beiseitelegen. Darum habe ich den Ausbau der Leitungen zur Chefsache gemacht. Ich bin überzeugt davon, dass das Gelingen der Energiewende davon abhängig ist. Ich jedenfalls reiche allen die Hand.
Ist das also das Hauptthema Ihrer Arbeit als Minister?
Nicht nur. Mein Kernprojekt als Wirtschaftsminister ist Deutschland, die Stärke der deutschen Wirtschaft, den Erhalt unseres Wohlstands und der sozialen Sicherheit. Das geht, wie die Erfahrung zeigt, am besten mit Wachstum und neuen Arbeitsplätzen. In den letzten Jahren haben wir 500.000 Arbeitsplätze pro Jahr dazu bekommen. Ich möchte, dass wir zu Vollbeschäftigung und weiter steigenden Einkommen kommen. Das werden wir nur erreichen, wenn erstens mehr Menschen sich selbständig machen und als mittelständische Unternehmer ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Zweitens, wenn der Staat für die richtigen Rahmenbedingungen sorgt, und wenn drittens die außenwirtschaftliche Bedingungen positiv sind. Daran arbeiten wir.
Fühlen Sie da eigentlich Unterstützung im Land? Als Wirtschaftsminister sind Sie ja selten in der Lage, Geschenke zu verteilen und sich auf diese Weise beliebt zu machen…
Ja, ich spüre ein hohes Interesse bei jungen Menschen an wirtschaftlichen Zusammenhängen und der sozialen Marktwirtschaft. Daraus kann eine Aufbruchsstimmung entstehen, die wir klug nutzen müssen – insbesondere im Hinblick auf die vielen neuen Technologien, die derzeit an Bedeutung gewinnen. Etwa im Bereich der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz. Da sehen wir einen enormen Bedeutungszuwachs. Unser Ziel muss sein, dass Deutschland bei der Digitalisierung ganz vorne mit dabei ist: Dass wir selbstfahrende Autos, Assistenzroboter und 3-D-Drucker nicht nur entwickeln, sondern sie auch hier industriell anwenden. Ich habe zum Beispiel kürzlich ein führendes deutsches Unternehmen im Bereich Big Data besucht, nämlich die Firma Celonis, die große Datenmengen verarbeitet.
Diese gepriesene KI könnte aber auch viele Jobs kosten! Sehen Sie keine Risiken, dass das der gewünschten Vollbeschäftigung entgegensteht?
Das Spannungsverhältnis verlangt nach politischer Gestaltung. Wir haben in den vergangen Jahren gesehen, dass Millionen neue Jobs trotz der Digitalisierung entstanden sind. Das halte ich auch in Zukunft für möglich. Ich bin überzeugt, dass wir gerade mit Digitalisierung neue Arbeitsplätze schaffen können. Wir müssen aber dafür sorgen, dass sie tatsächlich in Deutschland und Europa entstehen und nicht nur in den USA und China. Das ist die große Herausforderung der nächsten Jahre. Dazu braucht man aber Gründergeist und eine bessere Finanzausstattung von jungen Unternehmen. Wir brauchen dazu auch die Bereitschaft in neue Technologien und Zukunftsbereiche stärker zu investieren…
… was ja erst mal überall schnelles Internet voraussetzen würde.
Deshalb unterstütze ich meinen Kollegen Andreas Scheuer, den Bundesverkehrsminister, nachdrücklich beim Ausbau der Breitbandnetze. Wir werden für ein investitionsfreundliches Klima sorgen. Richtig ist, dass wir die Netze auch deshalb ausbauen müssen, damit in ganz Deutschland die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gewährleistet ist. Dazu gehört heute nicht mehr nur eine Bundesstraße, sondern insbesondere vergleichbare Datennetzqualität überall in Deutschland.
Beim Thema KI ist das Saarland ja schon jetzt weit vorn dabei. Was wird sich da weiter tun?
Wir sind sehr stolz drauf, dass wir mit dem Forschungszentrum für KI einen Leuchtturm geschaffen haben. Das Fraunhofer-Institut wird die Bedeutung des Standorts Saarland noch unterstreichen. Aber die Herausforderungen sind damit noch nicht bewältigt. Wir erleben, dass Amazon, Facebook, Google und Apple wesentlich mehr investieren in KI als alle EU-Staaten zusammen. Das muss uns alarmieren. Deshalb muss der der Staat da weit mehr tun als nur Forschungsförderung zu gewährleisten. Wir haben heute schon gute Forscher, die werden dann oft von US-Unternehmen wie Google unter Vertrag genommen. Heute ist es so, dass Forscher z.B. einen Vertrag mit Google abschließen, weil sie nur so die Möglichkeit sehen, ihre Ideen umzusetzen. Künftig sollen sie Partner in Deutschland finden können.
Der Staat soll also mehr als nur Forschung finanzieren. Ist das Industriepolitik? Können Sie sicher sein, dass dabei die Fehler der alten Industriepolitik vermieden werden?
Ich bin ein großer Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. Ich bin überzeugt, dass der Staat sich aus den betriebswirtschaftlichen Entscheidungen eines einzelnen Unternehmens heraushalten sollte. Aber hier geht es nicht um Betriebswirtschaft, sondern um Volkswirtschaft. Es geht hier darum, dass wir im weltweiten Wettbewerb als Europäer die Digitalisierung nicht verschlafen. Das wird nur gelingen, wenn auch der Staat hilft, allerdings nicht durch dauerhafte Subventionen, sondern dadurch, dass wir private unternehmerische Initiativen in Gang bringen. Dass wir dafür sorgen, dass ähnlich wie bei Google und Uber - auch in Deutschland Unternehmen entstehen, die die Anwendung der Künstlichen Intelligenz in die Praxis umsetzen. Das ist ein dickes Brett, das wir bohren müssen, aber es ist absolut notwendig. In den 70er und 80er Jahren haben wir auf diese Weise eine europäische Luftfahrtindustrie geschaffen mit EADS bzw. Airbus. Das hat dazu geführt, dass heute etwa 50 Prozent des weltweiten Flugzeugmarktes von Airbus beliefert werden. Das ist ein gewaltiger Erfolg und unser Ziel muss sein, dass wir auch bei der Künstlichen Intelligenz einen fairen Anteil der globalen Wertschöpfung nach Europa bringen.
Wir exportieren derzeit sehr viel mehr, als wie importieren - Deutschland wird in diesem Jahr einen Leistungsbilanzüberschuss von fast acht Prozent des Bruttoinlandprodukts erzielen. Ist es zu viel?
Ich sehe darin weniger ein Problem, als mehr eine Herausforderung für unsere europäischen und außereuropäischen Nachbarländer und Mitbewerber. Wir haben diesen Überschuss erreicht wegen des hervorragenden Zustandes der deutschen Wirtschaft und ihrer Wettbewerbsfähigkeit, die wir mit unseren Anstrengungen in den letzten 15 Jahren wieder hergestellt haben. Ich wünsche mir überall in Europa wettbewerbsfähige Länder, was dann auch uns Deutschen zugutekommt. Das geht aber nicht durch staatliche Eingriffe in den Außenhandel. Sondern wir müssen europaweit Wettbewerbsfähigkeit viel höher gewichten als das in Vergangenheit der Fall war.
Also gar kein Problem?
Ich sage nicht, ich bin damit froh. Aber die einzige Möglichkeit es zu ändern ist, dass andere Länder wettbewerbsfähiger werden. Wir können ja nicht absichtlich schlechtere Produkte oder Leistungen anbieten. Es gibt ja auch das Argument, wir sollten mehr investieren, um den Überschuss abzubauen. Aber wenn wir jetzt zwei Milliarden in den sozialen Wohnungsbau investieren, dann hätte Präsident Trump gar nichts davon: Der Zement, der Sand, der Kies, das kommt ja alles aus Deutschland, nicht aus den USA. Die Lösung besteht vielmehr darin, dass amerikanische Firmen in Europa wettbewerbsfähig werden.
Schon der Ökonom David Ricardo hat vor 250 Jahren gesagt: Die Stärke des Wettbewerbers bedeutet auch unsere Stärke. Je mehr Außenhandel, je mehr Wettbewerb es gibt, desto größer sind die positiven Effekte auf allen Seiten. Nicht nur für Deutschland und Europa. Auch jenseits des Atlantiks gibt es glücklicherweise verantwortungsvolle Politiker, die das so sehen.