Der Grünen-Co-Fraktionschef Anton Hofreiter kämpft seit Jahrzehnten für den Tierschutz und gegen übermäßigen Fleischkonsum. Im Interview spricht er darüber, dass Verbraucher fortschrittlicher sind als die Politik, was Kennzeichnungen bewirken könnten und wie die Regierung bei Regenwaldrodungen wegschaut.
Herr Hofreiter, in Deutschland wird gerne viel Fleisch gegessen. Zu erträglichen Preisen geht das nur mit Massentierhaltung, zulasten der Umwelt. Das ist doch nicht mehr zeitgemäß.
Die industrielle Produktion von Fleisch aus Massentierhaltung schädigt unter anderem unser Klima, die Artenvielfalt und unser Grundwasser. Wie sehr Klima und Landwirtschaft sich wechselseitig beeinflussen, haben wir diesen Sommer beobachten können.
Die industrielle Tierhaltung in Deutschland produziert vor allem Verlierer. Neben der Umwelt sind das die Tiere, die in vielen Betrieben leiden. Und die Bäuerinnen und Bauern, für die die Massenproduktion kaum Gewinne abwirft. Das passt nicht in ein modernes Land wie die Bundesrepublik.
Ich denke, dass viele Menschen ein großes Bewusstsein für diese Probleme haben. Der Fleischkonsum in Deutschland sinkt – wenn auch langsam – seit Jahren. Die Menschen in Deutschland essen also immer weniger Fleisch. Damit sind sie weiter als die Politik der Bundesregierung. Die setzt weiter auf industrielle Massentierhaltung, fördert damit den Export von Dumpingfleisch in andere Länder, was dort wiederum dazu führt, das lokale Erzeugungsstrukturen zerstört werden.
Schon lange übersteigt die Fleischproduktion das, was wir in der Bundesrepublik verzehren. Das zeigt deutlich: Wir dürfen die Verantwortung für die großen Probleme in der Tierhaltung nicht auf die Verbraucher abwälzen. Sondern wir als Politiker müssen uns darum kümmern, die Tierhaltung in Deutschland auf ein akzeptables Maß herunterzufahren.
Aber das Fleisch in Deutschland ist eventuell auch zu billig?
Fleisch zu Dumpingpreisen führt zu Problemen – das ist unbestritten. Umweltkosten werden externalisiert, Tierleid in Kauf genommen. Für Bäuerinnen und Bauern bleibt kaum genug Geld übrig, um in Tier- und Umweltschutz zu investieren. Nicht zuletzt deswegen fordern wir beim Fleisch eine klare Tierhaltungskennzeichnung, wie es sie für Eier gibt. Für die Verbraucher wäre dann klar: Wurden die Tiere anständig gehalten, hatten sie ausreichend Platz und Auslauf? Oder waren sie eingepfercht auf Betonböden und haben nie das Sonnenlicht gesehen? Eine solche Kennzeichnung würde faire Wettbewerbsbedingungen schaffen. Und auch der Lebensmittel-Einzelhandel müsste dann Farbe bekennen. Er müsste sich fragen: Möchte ich meinen Kunden wirklich weiterhin Produkte anbieten, hinter denen Tierleid steht?
Viele Tiere brauchen viel Futter, dafür werden flächendeckend Monokulturen angelegt. Doch die schaden nachweislich der Artenvielfalt, Stichwort Insektensterben. Was muss getan werden, um die Bauern davon zu überzeugen, nicht nur für die Fleischindustrie anzubauen?
Die industrielle Landwirtschaft ist eine der Hauptursachen für das rasante Artensterben. Gleichzeitig belegt der Futtermittelanbau für die Tiere einen großen Teil der landwirtschaftlichen Flächen. Es besteht also ein deutlicher Zusammenhang. Ein wichtiges Instrument für die Landwirtschaft wäre es, die Tierhaltung wieder an die Fläche zu binden. Das heißt, ein Bauer kann nur so viele Tiere halten, wie er auch selber Futter anbauen oder regional zukaufen kann. Ich fände es sinnvoll, wenn wir endlich ein vollständiges Verbot von Bienenkillern, den sogenannten Neonikotinoiden, auf unseren Äckern hätten. Und wir müssen auch vom Glyphosat wegkommen, von dem noch immer mehr als 4.000 Tonnen gespritzt werden.
Der Landverbrauch für Futtermittel ist ja kein rein deutsches Problem und wird beispielsweise nach Südamerika ausgelagert. Unser Schnitzel auf dem Teller raubt den Menschen in Südamerika damit ihre Heimat, doch niemand spricht darüber.
Das ist ein Skandal, auf den viele NGOs auch hinweisen, wie zum Beispiel Misereor es tut. Und auch wir Grünen beschäftigen uns intensiv damit. Ich selber war 2015 in Brasilien und habe dort mit Kleinbauern gesprochen, die von Vertreibungen bedroht wurden und werden. In Ländern wie Brasilien ist der Einsatz für den Umweltschutz und für Landrechte auch heute extrem gefährlich. Regelmäßig gibt es Berichte, dass Landkonflikte oft tödlich enden. Aber wo ist die Antwort der Bundesregierung darauf? Wo ist die des Lebensmittelhandels?
Es kann doch nicht sein, dass bei uns Futtermittel im Trog landen, für die Regenwälder gerodet und Menschen von ihrem Land vertrieben wurden. Handel und Bundesregierung dürfen bei Lieferketten nicht einfach wegschauen. Wenn wir weniger Tiere halten würden, dann müssten wir auch nicht so viel Gen-Soja importieren.
Laut UN-Landwirtschaftsorganisation FAO stammen mehr als 14 Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen aus der Haltung und Verarbeitung von Tieren. Der Anteil ist damit höher als der des weltweiten Verkehrs!
Die Landwirtschaft ist sowohl Leidtragende als auch Mitverursacherin der Klimakrise. Das haben wir in diesem Extremsommer mit der krassen Dürre deutlich gesehen. Ich hoffe, dass diese Dürre endlich mehr Menschen wachgerüttelt und ihnen klar gemacht hat, was da mit der Klimakrise auf uns zukommt. Wir können nicht länger nichts tun. Für den Klimaschutz ist es wichtig, dass alle Bereiche ihren Beitrag leisten, so auch die Landwirtschaft. Weniger Tiere bedeuten auch weniger Treibhausgase. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Landwirtschaft krisenresistenter wird.
Hoher Fleischkonsum geht nur mit Massentierhaltung, und die ist nicht artgerecht und schadet erheblich der Umwelt, das wissen wir. Warum ist es dann so schwer, dass man sich davon endlich verabschiedet?
Ganz einfach: Die Art und Weise, wie wir Tiere in Deutschland halten, hängt von politischen Entscheidungen ab. Es ist politisch gewollt. Das kann dann auch politisch geändert werden. Doch dafür fehlen die politischen Mehrheiten. Wir haben eine Agrarministerin, die sich dafür einsetzt, dass die mehr als sechs Milliarden Euro EU-Steuergelder, die jährlich in die deutsche Landwirtschaft fließen, das System der industriellen Landwirtschaft weiter stärken, auf Kosten der kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe. Und die sich weigert, die Tierhaltung in Deutschland durch kluge Gesetze zu verbessern. Zwar kann jeder einzelne Mensch durch bewussten, nachhaltigen Konsum etwas tun, doch einen grundlegenden Wandel, einen Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung, erreichen wir nur politisch.