Die Bilder aus dem Hambacher Forst waren erwartbar. Die Fragen um den Ausstieg aus der Kohleverstromung bleiben. Ohne den sind die Klimaziele kaum erreichbar.
Es war eine Eskalation mit Ansage von beiden Seiten und ein Auftakt, der Satiriker neidisch machen konnte. Keine Baugenehmigung für die Baumhäuser und fehlender Brandschutz sollen die Gründe für einen der größten strategisch und taktisch vorbereiteten Polizeieinsätze der vergangenen Jahre in Nordrhein-Westfalen gewesen sein. Ähnlich hilflos wirkte der Einwand von Umweltschutzverbänden, dass Teile des Waldes jetzt zerstört würden, obwohl doch eine Schonfrist und ein Rodungsverbot bis 1. Oktober gelten.
Aus einer eigentlich klimaschutz- und energiepolitisch höchst strittigen Angelegenheit ist eine Frage der inneren Sicherheit geworden. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte im Vorfeld vor gewalttätigen Auseinandersetzungen gewarnt; und zu Beginn die Räumungen mit dem Hinweis verteidigt, seine Behörden hätten festgestellt, „dass immer mehr kriminelles Personal auch vom Ausland" angereist sei. Die Grünen warfen der schwarz-gelben Landesregierung eine „unverantwortliche Provokation" vor. Kirchen und Naturschutzverbände beklagten unisono „einen unnötigen Eskalationskurs".
Tatsächlich zieht sich die Auseinandersetzung um den Hambacher Forst nun schon gut sechs Jahre hin. 2012 gab es die erste Besetzung von Aktivisten der Anti-Kohle-Bewegung. Mit „Hambi bleibt" und „Ende Gelände" hat der Protest immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt. Das Gebiet zwischen Jülich und Düren gilt als wohl größter europäischer Braunkohle-Tagebau. Seit der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren ist die Region bewaldet. Von 4.100 Hektar sind nach Angaben des Betreibers RWE Power 3.900 bereits für den Abbau gerodet. Der aktuelle Streit geht um die verbleibenden 200 Hektar, von der ab dem 1. Oktober geplanten Rodung wäre die Hälfte davon betroffen. Das Gelände gehört RWE, der Konzern verfügt über die notwendigen Genehmigungen. Und ausgerechnet die ehemalige rot-grüne Landesregierung in NRW hat diese Grundlagen in einem Deal bekräftigt.
40 Millionen Tonnen pro Jahr
Die Rechtslage in Hambach sei „ziemlich einfach", urteilt denn auch Innenminister Reul im Blick auf die Leit-entscheidung der Vorgängerregierung. Der umstrittene Tagebau Garzweiler II wurde um ein Fünftel verkleinert, während RWE gleichzeitig die Zusicherung erhielt, das Hambacher Abbaugebiet komplett auskohlen zu können. Bei den 70 Meter dicken Kohleflözen unter dem Forst ist das für den Energiekonzern kein schlechtes Geschäft. Etwa 15 Prozent des Stroms in Nordrhein-Westfalen wird laut RWE derzeit aus Hambach-Kohle erzeugt. Mit 40 Millionen Tonnen pro Jahr ist Hambach der größte Förder-standort, die Kohle wird weitgehend in den eigenen Kraftwerken eingesetzt. So argumentiert der Konzern nicht nur mit bedrohten Arbeitsplätzen. Wenn der Abbau gestoppt würde, müssten Kraftwerke stillgelegt werden. Denn im Gegensatz zur Steinkohle gebe es keinen Weltmarkt, auf dem sich Ersatz beschaffen ließe. Letztlich wird immer wieder die Zahl von bis zu 5.000 gefährdeten Arbeitsplätzen genannt.
Lars Kulik, für Braunkohle zuständiger Vorstand von RWE Power, verwies gegenüber dem „Handelsblatt" auch auf technische Bedingungen, aus denen sich das Unternehmen unter einem Zeitdruck sieht. Braunkohle wird in treppenförmigen Tagebau abgebaut. Geht es auf der obersten Stufe nicht weiter, müssten auch die Bagger darunter stehen bleiben. Und auf der obersten Sohle sei man „schon in Sichtweite des Waldrandes". Deshalb bliebe allenfalls ein Zeitfenster bis Dezember.
Das aber ist den Umweltverbänden und Initiativen, die mit RWE über ein längeres Moratorium verhandeln wollten, zu wenig. Auch die „Initiative Friedensplan", ein breites Bündnis gesellschaftlicher und kirchlicher Gruppen, die angetreten sind, den gewaltsamen Konflikt zu entschärfen, war mit dabei. Sie forderten, zumindest das Ergebnis der „Kohlekommission" abzuwarten, das bis Ende des Jahres vorliegen sollte. Diese Kommission mit dem offiziellen Titel „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" soll nach den Worten von Bundesumweltministerin Svenja Schulze „Maßnahmen für einen sozialverträglichen Strukturwandel empfehlen, ein Enddatum der Kohleverstromung in Deutschland nennen… und den Ausstiegspfad definieren". Das alles möglichst bis zur Weltklimakonferenz in Kattowitz Ende des Jahres. Damit hofft die Bundesregierung, ihre Ernsthaftigkeit in Sachen Klimaschutz zeigen zu können, musste doch Bundeskanzlerin Angela Merkel einräumen, die selbst gesetzten Klimaziele zu verpassen. „Wir in Deutschland müssen zugeben, dass wir besser werden müssen", räumte sie beim Petersberger Klimadialog im Juni ein.
Mitglieder der Kohlekommission reagierten nach Räumung der Baumhäuser unterschiedlich. Der BUND stellte eine weitere Mitarbeit der Kommission infrage. Die Vorbereitung der Rodung im Hambacher Forst sei „unnötig und politisch fatal", so der Bundesvorsitzende Hubert Weiger. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verwies dagegen darauf, dass es sich um eine unternehmerische Entscheidung handele, die „durch Gerichte bestätigt ist, die durch ein Parlament bestätigt ist, die durch demokratische Entscheidungen bestätigt ist".
Bitte um ein Moratorium
Vor Ort in Nordrhein-Westfalen argumentiert Innenminister Reul ähnlich: Der RWE-Konzern sei Eigentümer des Hambacher Forstes und habe das Recht zu roden. Politisch und gerichtlich sei dies so entschieden. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) fühlt sich „gebunden" an den Beschluss der Vorgängerregierung. Und auch SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty steht uneingeschränkt zu der damaligen Entscheidung der Landesregierung, der er als Justizminister selbst angehört hatte. „RWE hat eine gültige Rodungsgenehmigung."
Von einem von führenden SPD-Politikern wie Bundesumweltministerin Svenja Schulze geforderten Moratorium für den Hambacher Forst hält Kutschaty nicht viel: „Ein möglicher Aufschub der Rodung verschiebt nur den Polizeieinsatz." Bereits verschoben haben die Grünen ihren Landesparteitag. Der sollte ursprünglich Anfang Oktober in Bochum stattfinden, ist nun aber auf ein BUND-Grundstück am Rand des Hambacher Forstes verlegt worden. Die Landesvorsitzende Mona Neubaur will das als Bekräftigung der Forderung nach einem „Abholz-Moratorium" verstanden wissen. Das wiederum will ihr Ex-Koalitionspartner nicht durchgehen lassen und hält es für „wenig glaubwürdig". Schließlich hätten die Grünen vor zwei Jahren dieser Rodung zugestimmt, betont Kutschaty. Im Übrigen könne man nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen.