Gefärbtes Sonnenblumenöl wird verkauft als hochwertiges Olivenöl – nur eine von vielen Lebensmittelfälschungen. Im Bundesamt für Risikobewertung (BfR) arbeitet eine Fachgruppe daran, Gestrecktes und Unechtes zu enttarnen. FORUM sprach mit Leiter Carsten Fauhl-Hassek.
Herr Fauhl-Hassek, können Sie eigentlich Ihr Essen noch genießen? Oder ist Ihnen durch Ihre Forschungsarbeit der Appetit vergangen?
Ich bin genau wie Sie ein ganz normaler Konsument und habe genauso wenige Chancen wie Sie, im Essen etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Für den normalen Verbraucher ist es nämlich in den meisten Fällen fast unmöglich, gepanschte Lebensmittel zu erkennen. Es sei denn, Sie hätten ein spezialisiertes Labor in der Hinterhand. Oder es handelt sich um sehr primitive Fälschungen. Bei raffinierten Fälschungen jedoch – und die meisten Fälschungen gehören zu dieser Kategorie – hat der Normalbürger keine Chance.
Was verstehen Sie unter einer primitiven Fälschung?
Dazu zählte zum Beispiel ein Öl, das als ein qualitativ hochwertiges extra natives Olivenöl verkauft wurde. In Wirklichkeit handelte es sich um Sonnenblumenöl, dem Chlorophyll, also der grüne Pflanzenfarbstoff, zur Färbung beigemischt wurde.
Wie wurde das herausgefunden?
In diesem Fall wurde der Schwindel im Rahmen einer Betriebsbegehung in Süddeutschland aufgedeckt. Das gepanschte Öl wurde in großem Stil an Restaurants verkauft. Den Gästen war das gar nicht aufgefallen. Dass es dennoch auflog, war eher Zufall. Oftmals sind es auch Whistleblower, die den entscheidenden Hinweis geben. Häufig handelt es sich um Mitarbeiter, die Gewissensbisse haben. Dass die Lebensmittelkontrolle Beschwerde-Proben von aufmerksamen Kunden mit dem Verdacht auf Betrug bekommt, ist eher selten.
Was gibt es noch für Fälschungen?
Bei Fisch wird gern gemogelt. Billiger Pangasius wird als teure Seezunge verkauft. Zu den harmloseren Varianten zählt mit Olivenblättern gestreckter Oregano. Aber es gibt auch hochgradig gesundheitsschädliche Verfälschungen wie mit Bleioxid eingefärbtes Paprikapulver. Letzteres wurde in Ungarn gefunden. Oder erinnern Sie sich an Melamin in Milchpulver in China. 300.000 Babys wurden davon krank, einige starben. Auch Rohwaren werden gefälscht. Zum Beispiel wurden schon gemahlene Haselnüsse oder auch Kumin mit Erdnüssen gestreckt, was besonders für Allergiker dramatische Folgen haben kann. Auch Alkohol wird gern gepanscht. 2013 war in der Tschechischen Republik eine Spirituose mit Methanol, besser bekannt unter dem Namen Methylalkohol, im Handel. Es gab mehrere Todesfälle. Übrigens werden nicht nur Endkunden, sondern auch Händler betrogen.
Wann sollte ich als Verbraucher alarmiert sein?
Misstrauisch werden können Sie dann, wenn etwas extrem billig ist. Wenn in einem Kellergeschäft Wein für zwei Euro angeboten wird, der sonst 40 Euro kostet. Da sollten Sie hellhörig werden. Oder wenn Sie als Tourist auf einem Markt sehr günstigen Safran angeboten bekommen. Dann ist die Chance groß, dass es sich um eine Fälschung handelt. Die Lebensmittelkontrolle deckt Betrug durch gezielte Kontrollen auf. Wenn zum Beispiel ein Ernteeinbruch vorhergesagt wird, etwa für Haselnüsse, dann werden schon mal gezielt Stichproben genommen. Die Lebensmittelkontrolle guckt auch genauer hin, wenn Lebensmittel aus Staaten kommen, in denen politisch eine große Unsicherheit herrscht. Dort kann natürlich auch unbemerkter gefälscht werden.
Wäre eine Verschärfung der Kontrollen die Lösung?
Das Problem: Bislang konnte man nur aufdecken, wonach man gezielt gesucht hat. Die größte Gefahr lauert in noch unbekannten Verfälschungen, die möglicherweise giftig oder toxikologisch bedenklich sind. Die sogenannte Suche nach dem Unbekannten hat sich aber erst in den vergangenen zehn Jahren entwickelt. Wir erarbeiten neue Methoden, um Lebensmittelfälschungen im Labor zu entdecken. Erst untersuchen wir, wie das Lebensmittel normalerweise aussieht. Mit Analysegeräten nehmen wir das charakteristische Spektrum zum Beispiel von Wein oder Gewürzen auf. Anschließend verfälschen wir im Labor Proben und testen, ob der Betrug erkannt wird. Mit solchen Verfahren kann man dann auch nachweisen, ob Rindfleisch Pferdefleisch zugesetzt wurde. Die Überprüfungsmethoden stellen wir anschließend der Lebensmittelüberwachung oder den Herstellern zu Verfügung, um noch größere Sicherheit zu gewährleisten.
Das klingt, als seien Lebensmittelchemiker gewissermaßen Rechtsmediziner?
Da gibt es tatsächlich Überschneidungen. Auch ein gewisser detektivischer Geist und eine genaue Beobachtungsgabe gehören dazu. Allerdings sind die Verfälscher den Chemikern oft einen Schritt voraus. Sie kommen immer wieder auf neue Ideen. Da gibt es die verschiedensten Spielarten.
Sind Lebensmittelfälschungen eigentlich ein Phänomen der Neuzeit?
Ganz und gar nicht. Fälschungen gab es schon immer. In der Antike wurde Wein verwässert und später mit Bleiazetat gesüßt. Im 18. Jahrhundert wurde Milch mit Kreide gepanscht. Die Lebensmittelchemie entstand Mitte des 18. Jahrhunderts. Im Vergleich zu damals ist das, was heute passiert, vergleichsweise harmlos. Wir haben heute aber andere Herausforderungen. Durch die Globalisierung passieren die Lebensmittel viele Stationen.
Wer steckt hinter den Fälschungen?
Das geht bis zur organisierten Kriminalität. Wir sagen ja nicht umsonst Lebensmittelbetrug. Die Gewinne sind immens, und es wird gesagt, dass sie bisweilen die von Drogenhandel und Prostitution übersteigen. Und einige Fälschungen sind oft schwer nachzuweisen wie etwa ein geringer Wasserzusatz zu Wein oder Zusätze in Gewürzen.
Trotz Lebensmittelkontrolle also keine absolute Sicherheit?
Wir haben zwar eine gut funktionierende Lebensmittelkontrolle, trotzdem gibt es auch in Deutschland Vorfälle. Etwa Weinverfälschungen. Wie viele das wirklich sind, ist schwer zu sagen. Dafür bräuchten wir Statistiken. Es gibt Initiativen, das voranzutreiben. Zum Beispiel könnte das Nationale Referenzzentrum für authentische Lebensmittel solche Statistiken führen. Hilfreich ist es auch, wenn die Behörden gut zusammenarbeiten. Betrüger, die zuvor in Italien straffällig geworden sind, verlegen ihre Aktivitäten zum Beispiel nach Deutschland. Wichtig ist noch einmal: Wir sind nicht die Kontrolleure. Diese Aufgabe obliegt den Bundesländern. Unsere Hauptaufgaben am BfR im Bereich der Fälschungen sind jedoch die Laborarbeit und die Weiterentwicklung der chemischen Analyse.
Was müsste sich ändern?
Im Rahmen europaweiter Überwachung brauchen wir einen besseren Informationsaustausch. Zum Beispiel über das Food Fraud Netzwerk. Im Nachklang zum Pferdefleischskandal ist vieles angelaufen. Leider ist die Vorgehensweise in den verschiedenen Bundesländern nicht einheitlich. Da ist noch einiges zu tun. Auch sollte in die Ausbildung von Lebensmittelkontrolleuren das Thema Betrug verstärkt mit aufgenommen werden. Vieles ist auch schon auf einem guten Weg. So arbeiten wir intensiv mit China zusammen und haben auch mit vielen anderen Ländern Kooperationen.
Woran arbeiten Sie gerade?
Ich beschäftige mich gerade mit Wein. Wir entwickeln ein neues Analyseverfahren. Auch Futtermittel stehen auf meiner Agenda. Gleich muss ich im Labor die Herkunft von Mais überprüfen. Wir wollen wissen, ob der manchmal woanders herkommt, als es behauptet wird.