Qvevris: So heißen die riesigen Tongefäße, in denen der einzigartige georgische Wein ausgebaut wird. Langsam besinnt sich das Land auf dieses 6.000 Jahre alte Erbe. Aber nicht nur gehaltvolle Tropfen kurbeln die Wirtschaft an. Das grüne Land am Kaukasus wird zunehmend zum Tourismus-Magneten.
Ein staubiger Feldweg führt, so scheint es, mitten ins Nirgendwo, kein Dorf weit und breit in Sicht. Doch, jetzt, da ist etwas: In der Entfernung ist die Ruine eines Gebäudekomplexes mit futuristisch anmutenden Kuppeln wie von riesigen Radioteleskopen auszumachen. Und hier soll es das erste biodynamische Weingut Georgiens geben?
Wir rumpeln weiter, und nach ein paar Hundert Metern kommen einige flache Holzgebäude, eher Schuppen, in Sicht; dazu eine aus Holz gezimmerte überdachte Terrasse. Laut bellend laufen unserem Minibus Hunde entgegen. Weinbauer Georges Aladashvili nimmt uns in Empfang – und führt uns auch gleich in seine Reben. Der in der Schweiz ausgebildete Weinbauer und Unternehmer übernahm 2014 ein Stückchen geerbtes Land beim Dörfchen Ruisipiri, um hier biodynamischen Weinbau zu betreiben. Anfangs, erzählt er, seien die Nachbarn von seiner Vorgehensweise ziemlich irritiert gewesen, zumal er einen vom Pferd gezogenen Pflug ebenso wie natürlich hergestellte Düngemittel unter anderem aus gekochter Eichenrinde, Nesseln und Zwiebelschalen einsetzt. „Unsere Vorfahren haben ja auch biologisch Wein angebaut", sagt Georges, nur seien diese ursprünglichen Methoden durch die industrialisierte Produktion verdrängt worden. Die ursprünglichen Methoden: Damit bezieht er sich auf die mindestens 6.000 Jahre lange Geschichte des Weinanbaus in Georgien, das sich – mitunter zum Ärger seines Nachbarn Armenien – auch gern als „Wiege des Weins" bezeichnet.
Altes Wissen, in die Moderne geholt
Zu Zeiten der Sowjetunion wurde georgischer Wein zu Hunderttausenden Hektolitern nach Russland verkauft – süßlich-schwere Massenware, mit denen die heutigen Qualitätsweine in der Regel nichts mehr zu tun haben. Denn ebenso wie sich Georgien als Nation nach dem Zerfall der Sowjetunion neu zu definieren suchte, hat sich auch der georgische Wein in den vergangenen Jahren quasi neu erfunden – ohne dabei seine nur ihm eigene Besonderheit aufzugeben.
Um seinen Gästen zu demonstrieren, was darunter zu verstehen ist, lotst Georges die Gruppe in den schuppenartigen Flachbau. Der Boden hier besteht aus gestampfter Erde – aber was hat es mit den kreisrunden Löchern auf sich?
„Hier sollen einige neue Qvevris versenkt werden", erzählt Georges. Qvevris, das sind riesige Tongefäße. In ihnen reift der georgische Wein. Die bis zu 2.000 Liter fassenden Riesenkrüge, die innen mit einer Schicht aus Bienenwachs bestrichen sind, werden bis zum Hals in der Erde versenkt. So gekühlt, können sie dort rein theoretisch Hunderte von Jahren überdauern – eine einzigartige Methode, die längst zum immateriellen Welterbe ernannt worden ist.
Die zweite Besonderheit des georgischen Weins ist die Vergärung des Mosts mitsamt Schalen, Stielen und Kernen der Trauben. Natürliche Farbstoffe und Tannine werden aus dieser Maische durch den Alkohol herausgelöst, was dem Wein eine teilweise herbe Note verleiht. Auch die Farbe wird beeinflusst – Weißweine haben oft einen honig- oder bernsteinfarbenen Ton.
Nach so viel Theorie geht es ans Probieren. Hinauf also auf die etwas improvisierte, aber mit Sitzbänken und Kissen rustikal-stylish hergerichtete Terrasse. Buntes Geschirr steht auf einer langen Tafel und Georges’ Mitarbeiter reichen Schüsseln mit Salat und Platten mit Gemüsepasten sowie frisch gebackenes Brot. Dazu gibt es selbstverständlich Wein. Seine herbe, etwas pflanzliche Note fügt sich mit den pikant gewürzten Gerichten und dem Blick auf die Berge des Kaukasus zu einem Gesamterlebnis. Während die Gäste schauen und probieren, erzählt Georges von seinen Plänen: Die Anbaufläche solle auf fünf Hektar erweitert werden, denn der Absatz – überwiegend in die Schweiz – laufe gut.
Wein zu einem wichtigen Exportartikel weiterzuentwickeln, darauf setzen nicht nur Unternehmer wie Georges. Auch die die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, sieht die Wein-Produktion als bedeutenden Wirtschaftsfaktor für Georgien und unterstützt in erster Linie im Bereich Ausbildung. So entsteht gerade in Telawi, dem Hauptstädtchen der Weinbauregion Kachetien, eine Berufsschule für angehende Winzer – mit Unterstützung der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. Der Nachwuchs soll hier künftig in modernsten Methoden unterrichtet werden, andererseits aber auch die traditionellen Produktionsweisen nicht verlernen.
Allerorts werden Hotels gebaut
In diese gibt auch ein Besuch bei Zaza Kbilashvili Einblick. Ein paar Dörfer hinter Telawi halten wir vor einem rotbraun gestrichenen Metalltor in einer Seitenstraße. Zaza winkt uns auf sein Grundstück, am Wohnhaus vorbei geht es in einen kleinen Hof und dann in die Werkstatt. Hier trocknen gerade zwölf Qvevris, jedes Gefäß drei Köpfe größer als sein Hersteller. Drei Monate dauere die Produktion eines Qvevri, sagt Zaza, er hole den Ton aus den Bergen, beginne dann zu formen, schließlich müssten die Gefäße dann noch bei hoher Temperatur tagelang gebrannt werden. Einige etwas kleinere Exemplare hat er in einem Nebengebäude in den Boden eingelassen – denn Zaza produziert selbstverständlich auch seinen eigenen Wein. Mit einer Art Pipette wird dieser per Unterdruck aus den Qvevris gezogen – auch hier entfaltet sich ein fast erdiger Geschmack. Der Qvevri-Hersteller ist einer der letzten seines Fachs in Georgien und somit bereits touristische Anlaufstelle für Individualreisende oder kleine Gruppen.
Weintourismus in einem Land, das sich als „Wiege des Weins" bezeichnet? Was sich völlig selbstverständlich anhört, gibt es momentan erst in Ansätzen, einige kleine Veranstalter bieten Touren zu verschiedenen Weingütern an. Ein touristisches Produkt, das mit Sicherheit Potenzial hätte, gerade, wenn es mit Aktivitäten wie Wandern, Rad- oder Kajakfahren verknüpft würde. Und das auch dazu beitragen würde, Touristenströme, die sich momentan an ein paar Hotspots im Land ballen, umweltverträglich zu entzerren.
Im vergangenen Jahr zählte Georgien mit seinen knapp fünf Millionen Einwohnern rund 7,6 Millionen Besucher, Tendenz steigend. 43.000 der Gäste kamen nach Angaben der Nationalen Tourismusbehörde aus Deutschland – die größte Gruppe aber aus den Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan sowie aus Russland. Doch auch die Zahlen asiatischer oder arabischer Touristen nehmen stetig zu. Letztere schätzen beispielsweise das „grüne Kachetien" mit seinen Wäldern, Weinbergen und kleinen Seen und haben oft recht andere Vorstellungen von einem Urlaub im Ausland als beispielsweise Wander- oder Kulturtouristen aus Mitteleuropa, die ihren Urlaub vergleichsweise sportlich angehen. Dass es manchmal zu skurrilen Begegnungen kommt, wenn beide Gruppen im Feriendomizil aufeinandertreffen, lässt sich auch in den kachetischen Resorts beobachten. Und wie überall gibt es Reaktionen vom Kulturschock bis zu freundlicher Annäherung.
Stellt sich die Frage: Tourismus ja, doch wie? Immerhin rechnet das Wirtschaftsministerium in Tbilissi in diesem Jahr mit umgerechnet 3,4 Milliarden US-Dollar an Einnahmen aus Tourismus. Eine Beratergesellschaft geht davon aus, dass sich die Zahl der ausländischen Gäste bis 2022 verdoppeln wird. Kein Wunder also, dass gefühlt allerorts neue Hotels hochgezogen oder neue Hostels eröffnet werden – nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in den anderen Touristenorten.
Weintourismus als ganz neue Idee
Dazu gehört auch Stepanzminda im Norden des Landes am Fuße des Kasbek, mit knapp über 5.000 Metern dritthöchster Gipfel in Georgien. Die Schotterstraßen sind hier von Baugräben zerfurcht, Leitungen müssen zu neuen Hotelanlagen verlegt werden. Auf grünen Wiesen werden gesichtslose Betonbauten hochgezogen, in den Kiosken im kleinen Ortszentrum Touren zur berühmten Gergetier Dreifaltigkeitskirche angeboten. Keine Spur von Bergdorf-Charme, im Gegenteil: Busse und Autos fahren hupend um Schlaglöcher, knochige Pferde suchen Essbares in Müllcontainern. Die Bautafeln für weitere Hotelprojekte lassen Schlimmes befürchten. Und Ähnliches gilt auch für andere Regionen des Landes, die momentan vom Massentourismus noch unberührt geblieben sind. So plant das georgische Infrastrukturministerium den Bau einer Straße durch ökologisch bedeutende Gebirgsregionen im Norden des Landes – bis nach Tuschetien, das momentan nur über abenteuerliche Schotterpisten oder per Helikopter zu erreichen ist. Umweltschützer, darunter auch der Schriftsteller Archil Kikodze, haben daher eine Onlinepetition gegen das Bauprojekt initiiert. Sie fordern sowohl den Stopp der Planungen als auch, alle Entscheidungen dazu laut der Aarhus Konvention transparent zu machen und die Bürger zu beteiligen. Über 9.000 Unterschriften sind bereits gesammelt worden.
Bleibt zu hoffen, dass die Sorge um die schützenswerte Natur bei den Verantwortlichen ankommt. Schließlich würde sich Georgien durch Betonburgen an grünen Kaukasus-Flanken selbst einen großen Teil seines Charmes zerstören und dadurch auch viele der gewünschten Gäste vertreiben – oder anders herum: Ein vorsichtiger, nachhaltiger Tourismus bringt vielleicht nicht sofort solche Umsätze wie riesige Bettenburgen. Aber dafür käme er nicht nur der Region mit Flora und Fauna, sondern auf etwas längere Sicht gesehen auch den Georgiern dauerhaft zugute.