Nur eine knappe Autostunde von Manhattan überrascht das Hudson Valley mit seiner stillen Schönheit. Natur, geprägt von Fluss und Bergen, jede Menge Kunst und noble Gastlichkeit laden zum Entspannen ein.
Nach ein paar Tagen New York City ist der Nacken steif vom Wolkenkratzer-Schauen, die Füße pflastermüde. Das niemals endende Konzert aus Motorenlärm und Warnsignalen dröhnt noch in den Ohren, als das Auto Manhattan längst verlassen hat. Ein Stückchen durch New Jersey rollt es am Hudson-Strom entlang nach Norden und über eine unsichtbare grüne Grenze wieder nach New York.
Die größte Stadt der USA ist nur ein paar Dutzend Meilen weit entfernt, und doch fühlt man sich hier bereits wie in einer anderen Welt. Denn auf dem Lande überrascht der Bundesstaat New York mit Stille und Beschaulichkeit. Vorbei an steilen Klippen und sanften Hügeln zieht der breite Fluss. Dahinter dichte Wälder, Grasland, kleine Seen. Das Hudson Valley animiert zum Runterschalten.
Vor „„Glenmere Mansion"" bleibt der Wagen stehen. Das alte Herrenhaus bei Chester, 1911 von wohlhabenden Industriellen im Stil eines toskanischen Landschlosses erbaut, gehört zu den edelsten dieser Zeit in ganz Amerika. Entworfen wurde es von Carrere und Hastings – den Architekten, die auch die berühmte New Yorker Public Library kreierten. Bis heute setzt das Bauwerk der verträumten Szenerie die Krone auf. Vom Hügel, auf dem Haus und Garten liegen, schweift der Blick weit über unverbaute Flächen und den Glenmere Lake.
Der größte Luxus, den der aparte Landsitz heute als Boutique-Hotel zu bieten hat, ist Ruhe. Seine Gäste – unter ihnen viele Stars und Prominente – schätzen den entspannten Pulsschlag. Gehütet und gepflegt wird er von zwei guten Geistern, Gentlemen wie aus dem Bilderbuch.
Der eine, Hoteldirektor Alan Stenberg, ist bei jedem Wunsch zur Stelle, verwöhnt den Gast vom ersten bis zum letzten Augenblick und fesselt ihn mit Charme und Witz. Sein Partner Daniel DeSimone – Geist Nummer zwei – ist zwar gänzlich unsichtbar, jedoch nicht weniger präsent. Aus dem Hintergrund sorgt er für alles Schöne, Feine, Leckere. Er kocht und backt, kreiert und richtet ein und arrangiert die zahlreichen Bilder, Skulpturen und Objekte, die „Glenmere Mansion" zu einem wahren Kunsterlebnis machen.
Entlang einer Eisenbahnstrecke
Die 125 teils hochkarätigen Werke – unter anderem von Helen Frankenthaler, Robert Motherwell und Robert Rauschenberg – gehören zur Sammlung des Unternehmerpaares Alison und Peter W. Klein. Die US-Amerikanerin und der Deutsche erwarben das Anwesen vor elf Jahren und machten es mit Dans und Alans Hilfe zu dem, was es heute ist: ein Refugium für Genießer.
„Das Projekt war ein echtes Abenteuer – nicht zuletzt, weil alles denkmalgerecht saniert werden musste", berichtet Angelika Amunategui. Die Tochter des Ex-Managers aus Nussdorf in Baden-Württemberg studiert Kunstgeschichte in den USA und lebt mit Mann und Kind in New York City. So oft wie es nur geht, verbringen sie die freie Zeit „auf dem Lande in New York".
Für die kunstaffine junge Schwäbin hat allein die Nachbarschaft von „Glenmere Mansion" allerhand zu bieten. Im nahen Mountainville, New Windsor, liegt das Storm King Art Center. Mit über 100 zeitgenössischen monumentalen Freilandobjekten auf einer Fläche von rund 200 Hektar gilt der Kunstpark in den USA als größter seiner Art. Die 1960 von Ralph E. Ogden begründete Kollektion, zu der auch ein Museum mit zahlreichen Stücken anderer Genres gehört, umfasst Arbeiten der weltweit meistgefeierten Skulpturen- und Objektschaffenden wie zum Beispiel Alexander Calder, Maya Lin oder Richard Serra.
Wer Storm Kings weitläufiges Gelände nicht zu Fuß durchstreifen will (damit aber leider die Chance verpasst, possierlichen Murmeltieren zu begegnen), kann sich per Golfcar-Shuttle fortbewegen. Angelika empfiehlt das Fahrrad und obendrein den Picknickkorb: „Es gibt so wunderbare Aussichten, die man einfach länger genießen möchte – und es ist genügend Platz, um sich auch mal ganz allein mit der Natur und Kunst zu fühlen."
Vom Fahrradsattel aus lassen sich im Hudson Valley viele Gegenden erkunden. Der knapp 25 Kilometer lange Orange Heritage Trailway etwa, der sich ebenso zum Skaten eignet, führt von Middletown nach Monroe – entlang einer der ältesten Eisenbahnstrecken der USA, der Erie Railroad. Der 1841 in Betrieb genommene Schienenweg war einst die kürzeste Verbindung zwischen New York City und den Großen Seen.
Von der Lage an der Eisenbahn profitierte das Städtchen Chester, das wie sein britisches Vorbild immer schon von Milchprodukten lebte und ebenfalls eine eigene Käsesorte hervorbrachte. Doch während man den Käse in England tatsächlich nach seiner Stadt benannte, wurde der 1880 erfundene amerikanische Chester – ein cremiger Frischkäse – unter dem Namen „Philadelphia" bekannt. Das und mehr erfährt man in dem 1915 gebauten Bahnhof von Chester, der heute als Museum dient.
Artenreiches Feuchtbiotop
Schöne Rad- und Wanderwege sowie Gelegenheit zum Paddeln oder Angeln bieten ebenfalls die nahe gelegenen State Parks „Bear Mountain" und „Harriman", wo unter anderem wilde Truthähne, Waschbären, Hirsche, Luchse und Schwarzbären zu Hause sind und sich mit etwas Glück auch zufälligen Besuchern zeigen.
Zu den seltensten Tierarten im Hudson Valley gehören die Nördlichen Grillenfrösche. Die zwitschernden Winzlinge aus der Familie der Laubfrösche werden nur 19 bis 38 Millimeter lang. Als einziger verbliebener Lebensraum dieser vom Aussterben bedrohten Spezies gilt Glenmere Lake. Der ehemals von europäischen Einwanderern als Mühlteich angelegte See zählt heute zu den artenreichsten Feuchtbiotopen im Bundesstaat New York. Neben den zirpenden Zwerglurchen, die man eher hört als sieht, leben hier vor allem Seeadler, Falken und Eulen. Für eine „Vogel-Safari" empfiehlt sich ein Ruder- oder Paddelboot.
Wer lieber Jagd auf hochwertige Schnäppchen machen möchte, hat dazu in der nahe gelegenen Woodbury Common Outlet Mall in Central Valley ausreichend Gelegenheit. Da eine Tour durch die 220 Designermode-Läden kaum mit leeren Einkaufstaschen endet, sollte man dafür lieber gleich ein Auto nehmen, und zwar am besten eins mit großem Kofferraum.