Wie tickt der Osten wirklich? Sie muss es doch wissen, die „Superillu", inoffizielle Stimme des Ostens mit über zwei Millionen Lesern. Wir fragen bei ihr direkt nach.
Wie ist mit der deutschen Vereinigung groß geworden, hat sich von einem Revolverblatt zu einer seriösen Illustrierten entwickelt und auch in schwierigen Zeiten auf Optimismus statt auf Gejammer gesetzt. Superilllu, die „Stimme des Ostens" (Werbung Burda-Medien). Die einzige Zeitung, die nicht über die Ostdeutschen schreibt, sondern für sie. Fragt man jemanden in Hamburg oder München, ja selbst in Berlin-Charlottenburg, ob er oder sie die „Superillu" kennt, wird man auf verständnisloses Achselzucken treffen. Das war schon immer so, der Westen hat sie nie zur Kenntnis genommen.
Kann man von ihr erfahren, wie der Osten tickt? Eine Zeitschrift mit einer Auflage von heute noch 262.000 Exemplaren, mit 2,3 Millionen Lesern fast ausschließlich in den neuen Bundesländern, muss eigentlich nah an den Befindlichkeiten der Ostdeutschen sein.
Nicht über, sondern für den Osten
„Die DDR-Vergangenheit in all ihren Facetten – von der Stasi-Diskussion bis zum „Kessel Buntes" – waren stets wichtige Themen für „Superillu" – weit mehr als das bei einer „West-Zeitschrift" der Fall gewesen wäre," sagt Gerald Praschl (51). Der Chefreporter stammt aus Bayern, er ist schon durch die Redaktionsräume am Alexanderplatz marschiert, als die „Superillu" noch im alten ADN-Gebäude residierte. Jetzt sitzt er im vierten Stock eines schnieken Bürogebäudes am Potsdamer Platz. „Auch die PDS und später Linke, die in den 90ern nicht nur im Westen, sondern auch in den östlichen Bundesländern ähnlich umstritten war wie heute die AfD, bei nicht wenigen bis heute, war immer ein Thema. Schließlich schreiben wir nicht nur über den Osten Deutschlands, sondern für die Menschen in den östlichen Bundesländern und über die Themen, die sie bewegen", sagt er. Einige Kritiker würden ihnen Ostalgie vorwerfen – weil sie dabei auch den Alltag in der DDR und die schönen Erinnerungen thematisieren, die viele an die Zeit damals haben.
Praschl war von Beginn an dabei, aber sein Bayerisch hat er nie verlernt. Er hat Bücher geschrieben über Zivilcourage und über „Mut-Frauen in der DDR". „Ostalgie – das ist für mich ein Schimpfwort", sagt er. „Superillu" habe die Vergangenheit nie verklärt. „Wir schreiben auf, was gewesen ist. In der DDR hat auch die Sonne geschienen, nicht wegen, sondern trotz der SED-Diktatur."
Im August 1990 kam die erste Ausgabe heraus, noch vor der offiziellen Wiedervereinigung. 20 Redakteure, zwei Drittel aus dem Osten. Der Burda-Verlag und der Nürnberger Sebaldus-Verlag (heute Gong-Verlag) gaben das Geld. Das Konzept stammte von Hubert Burda selbst, Helmut Markwort (Focus) und Jochen Wolff. Wolff leitete die Düsseldorfer Illustrierte „Neue Welt" und wurde der erste Chefredakteur von „Superillu".
Die westdeutschen Redakteure meinten, sie müssten auf Sex and Crime setzen – beides war für die gelenkte DDR-Presse Tabu-Themen. Die ersten Hefte gingen mit einer Auflage von über 900.000 Exemplaren an den Start. Das machte „Superillu" sofort zum Marktführer im Osten. Nach zwei Jahren waren die Busen- und Blut-Themen out. Die Menschen verloren ihre Jobs, wer seine Familie durchbringen musste, hatte andere Sorgen: Zukunft, Alltag, Versicherungen. „Superuillu" setzte auf Ratgeber-Themen.
Gerald Praschl erinnert daran, dass es in der DDR eine ganz besondere Tradition gab. „Wer ein Problem hatte und überhaupt nicht mehr weiterkam – ein undichtes Dach oder ein fehlendes Ersatzteil –, der konnte es mit einer Eingabe beim Staatsrat versuchen. Und das hatte meist sogar Erfolg." Der Ranghöchste im Apparat stauchte einen Rangniederen in einer untergeordneten Behörde zusammen, und schon flutschte es – manchmal jedenfalls. Die „Superillu" knüpfte an die Tradition an und startete ihre bis heute populären Hilfe-Aktionen. „Wir bekommen immer noch 30 bis 40 Briefe am Tag. Da geht es um Arbeitsrecht, Versicherungsbetrug oder dubiose Bankgeschäfte." Drei Kolleginnen kümmern sich darum, und man kann sich vorstellen, dass sie durchaus etwas bewirken können, wenn sie mal mit der „Superillu-Auflage" drohen.
In den 90er-Jahren ging die Auflage zurück und pendelte sich bei 600.000 ein. Aus dem Revolverblatt wurde eine Familienzeitschrift. Das ist sie bis heute. Die Reisereportagen sind allerdings nicht mehr aus dem Bayerischen Wald oder von der Ostsee, jetzt kommen auch Bali oder die Seychellen vor. Und es geht weniger um Reparatur-Tipps für Autos, sonder eher um Tests von Neuwagen, unter anderem der gehobenen Mittelklasse. Praschl: „Wir stellen uns vor, dass die ‚Superillu‘ auf dem Wohnzimmertisch liegt, und jeder in der Familie kann sich etwas herausnehmen – die Kochrezepte und Gesundheitsreportagen für die Frau, der Auto-Test für den Vater, die Star-Geschichten für den Nachwuchs." Auch wenn das Klischee so nicht mehr stimmen mag, denn die Leserschaft wird wie die aller bunten Blätter immer älter – im Prinzip setzt die Redaktion immer noch auf diese Mischung. Der Unterschied: Geschichten über Krankheiten und wie man ihnen vorbeugen kann, bekommen immer mehr Platz.
40 Leserbriefe am Tag
Und die Politik? Chemnitz? Europa und die Flüchtlinge? „Kommt alles vor", sagt Praschl. „Ich war selbst in Kroatien an der EU-Außengrenze und habe darüber berichtet, wie dort die Flüchtlinge verprügelt und misshandelt werden." Zu Chemnitz schreiben Gregor Gysi und Arnold Vaatz (CDU-Bundestagsabgeordneter aus Sachsen) je eine Kolumne. Gysi warnt davor, dem Rechtsextremismus Tür und Tor zu öffnen. Vaatz möchte Sachsen nicht als „braunen Sumpf" dahin gestellt sehen. Praschl ergänzt: „Deutschlands politisches Thema Nummer eins beschäftigt natürlich auch uns besonders. Wie wollen wir es nennen: Islam, AfD, Migration, Demos dafür und dagegen, mit oder ohne Gewalt, Hitlergruß oder Feine Sahne Fischfilet? Hoffentlich etwas unaufgeregter, als das viele andere Medien tun. Dafür mit vielen Fakten. Und einem Blick nicht auf den Osten, sondern aus dem Osten. Sorgen macht in der Tat die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft zu diesem Thema, die sachliche Debatten immer schwieriger macht. Diese Polarisierung erscheint mir im Osten Deutschlands besonders ausgeprägt."
Ein Urknall für „Superillu" war 1995 die Erfindung der „Goldenen Henne". Sie heißt so zur Erinnerung an die 1991 verstorbene Entertainerin Helga Hahnemann, die den Spitznamen „Henne" hatte. Die „Goldene Henne" ist ein Publikumspreis, an dem sich später auch der RBB und der MDR beteiligen. Sie ist so etwas wie der ostdeutsche Bambi. Der Sprung ins gesamtdeutsche Programm war vor zehn oder 15 Jahren mal in der Diskussion, ist es aber schon lange nicht mehr. Anfangs ging es natürlich um die Ostdeutschen und ihre Stars: Henry Maske, Kai Pflaume, die Puhdys und Sigmund Jähn. Helene Fischer erhielt die Henne sieben Mal, Carmen Nebel vier Mal.
In den 2000er-Jahren kamen mehr und mehr auch westdeutsche Showgrößen wie Udo Lindenberg, Günter Jauch und Nena dazu. Gorbatschow erhielt eine, Helmut Kohl, auch Hans-Dietrich Genscher – Kategorie „Verdienste um die Einheit". In diesem Jahr wurde in der Kategorie „Lebenswerk" neben Gregor Gysi auch Otto Waalkes geehrt. Die Henne in der Kategorie „Schauspiel" ging an Elyas M’Barek, als besten Entertainer wählte das Publikum Ross Anthony, Dschungelkönig und Schlagersänger. Die Verleihung fand jahrelang im Berliner Friedrichstadtpalast statt, seit vier Jahren wird sie auf dem Leipziger Messegelände mit über 4.000 Gästen und zwei Millionen Fernsehzuschauern glanzvoll begangen. RBB und MDR übertragen den Abend in die ostdeutschen Haushalte. Die „Henne" – das sei auch ein Stück Heimat, etwas Eigenes, worauf man stolz sein kann, meint Praschl.
Es ist das Gefühl, zwischen Ostsee und Erzgebirge zu Hause zu sein. Die „Superillu" bedient es mit Schwerpunktthemen wie „Unsere schöne Heimat" oder einer Kochbuchreihe „Unsere leichte Heimatküche". Sie veröffentlichen regelmäßig Sonderhefte – über die Schönheiten der östlichen Bundesländer (zum Beispiel jährlich ein Sonderheft „Ostsee") sowie zu Ratgeber-Themen. Bedeutet das, dass sich der Osten einigelt? Davon will Gerald Praschl nichts wissen.
„Wo steht der Osten Deutschlands heute?", fragt er stattdessen. „Wirtschaftlich gesehen, so belegt es auch der Anfang Oktober 2018, pünktlich zum Tag der Deutschen Einheit veröffentlichte ‚Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit‘ bleibt eine Lücke zum Westen. Vor allem Großkonzerne fehlen, der Zusammenbruch der großen Kombinate zur Wendezeit wirkt bis heute stark nach. Hauptmotor der ostdeutschen Wirtschaft sind, so der Bericht, rund 3.000 mittelständische Firmen mit Wachstumsraten über zehn Prozent pro Jahr. Viele auch als Zulieferer großer Firmen im Westen, zum Beispiel in der Automobilindustrie oder Niederlassungen im Westen sitzender Großkonzerne."
Publikumsliebling Goldene Henne
Und trotzdem ist da immer noch die leichte Häme zu spüren, wenn es um Ostprodukte oder um so eine Zeitschrift wie „Superillu" geht. „Heimat, Unterhaltung, Zeitgeschehen, Politik, Wirtschaft und Ratgeber/Service – das ist unsere Währung beim Leser!", hält Praschl dagegen. „An der Stelle hat sich das Erfolgsrezept von „Superillu" nicht viel verändert. Anders als der optische Auftritt unserer Zeitschrift, der genau wie der Osten Deutschlands auch mit den Jahren hochwertiger und schöner wurde."
Haben sie es geschafft, die Klagemauer in den Köpfen der Ostdeutschen niederzureißen? „Viele Ostdeutsche haben sich ja in dieser selbst zugeschriebenen Rolle als Bürger zweiter Klasse eingerichtet", sagte der frühere Bürgerrechter Werner Schulz, später Abgeordneter der Grünen im Europaparlament, vor Kurzem. „Sie sind es aber nicht. Sie hätten allen Grund, mit Selbstbewusstsein und Stolz auf das bisher Erreichte zurückzublicken und mit zupackendem Optimismus ihre Zukunft zu gestalten." Wer sie daran hindert? Nach Schulz‘ Ansicht hat die AfD diese Rolle übernommen, die zuvor die Linke hatte: Sie redeten den Bürgern das Negative ein.
Die „Superillu" („… eine von uns") hat die Ossis nie bedauert oder idealisiert, sie hat all die Jahre daran gearbeitet, eine positive Stimmung zu vermitteln. Ob sie sie heute noch erreicht? Sind ja alle älter geworden, auch die „Superillu". Stellt man sich – wie das manche Zeitungsforscher gerne tun – die „Superillu" als einen Menschen vor, dann denkt man unwillkürlich an so jemanden wie Wolfgang Stumph, fünffacher „Henne"-Preisträger, sympathisch, gesellig, sächsisch-heimatverbunden und pragmatisch-zupackend. Einer, der sich auch mit dem Bayern Gerald Praschl gut verstehen würde.