Vor dem Weltcupstart erreichte die deutschen Biathleten eine Hiobsbotschaft: Die körperlich geschwächte Laura Dahlmeier muss eine Zwangspause einlegen. Eine neue Trainerstruktur sorgt für Veränderungen.
Laura Dahlmeier schien alles immer leicht zu fallen. Auf ihre unwiderstehliche Art holte sie in der Loipe scheinbar mühelos ihre Konkurrentinnen wieder ein, die ihr am Schießstand oft ein Stück enteilt waren. Auch der ständige Vergleich mit der Biathlon-Ikone Magdalena Neuner war für Dahlmeier keine Last, zumindest nicht nach außen. Einen Sieg nach dem anderen feierte die Bayerin, sie musste sich jahrelang wie auf der Überholspur fühlen. Doch jetzt war das Gefühl ein anderes.
„Ab und zu muss man auch mal einen Gang zurückschalten!" – mit diesen Worten und einem weiblichen Emoji, das die Hände überkreuzt vor dem Körper hält, kündigte die zweifache Olympiasiegerin auf ihrer Facebook-Seite eine Auszeit vom Leistungssport an. Wann Deutschlands beste Biathletin der vergangenen Jahre zurückkehrt? Ungewiss. Der Weltcup-Auftakt in Pokljuka (30. November bis 9. Dezember) dürfte aber zu früh kommen.
„Ich muss jetzt auf meinen Körper hören"
Dahlmeier wird sich alle Zeit der Welt nehmen, die sie für ihre Erholung braucht. Daran ließ die 25-Jährige in ihrem Statement keine Zweifel. „Aktuell fühle ich mich einfach nicht so, wie es notwendig ist, um professionell trainieren zu können", schrieb sie. „Ich muss jetzt einfach auf meinen Körper hören und, wie man so schön sagt, Luft ranlassen‘. Auch wenn mir das nicht wirklich leichtfällt."
Der Deutsche Skiverband (DSV) ließ verlauten, dass das Immunsystem seiner Vorzeigeathletin sehr geschwächt sei. Dazu ist es nicht durch eine starke Erkrankung oder ernste Verletzung gekommen, sondern durch die Summe vieler kleiner Probleme. Im Juli erlitt die Sportfanatikerin bei einem Radunfall eine Schnittverletzung am Oberschenkel. Kurz danach zwang sie eine Weisheitszahn-Operation zum Kürzertreten. Zuletzt setzte sie ein langwieriger Infekt außer Gefecht. Und das sind nur die Dinge, die nach außen drangen.
„Einzeln betrachtet waren die diversen Schwierigkeiten in letzter Zeit zwar nicht besonders gravierend", so Dahlmeier. „Aber immer, wenn ich dachte, dass es jetzt endlich aufwärts geht, kam gleich der nächste Infekt oder wieder irgendein gesundheitliches Problem."
Der Schluss liegt nahe, dass Dahlmeier für die körperlichen und mentalen Strapazen der höchst stressigen Olympiasaison nun ihren Tribut zollt. Beim Trainingslager der deutschen Mannschaft im österreichischen Hochfilzen war Dahlmeier zwar mitgereist, aber schon da hatte sie nicht alle Einheiten wie geplant absolviert. Sie sei eigentlich ganz zuversichtlich gewesen, Olympia gut verkraftet zu haben. Doch ihr Körper sagt etwas anderes. Und Dahlmeier hat gelernt, auf ihren Körper zu hören.
Nach ihren zwei Goldmedaillen im vergangenen Winter im Sprint und in der Verfolgung hatte sie auch in ihren Körper „hineingehört", um herauszufinden, ob die Kraft für weitere sportliche Heldentaten noch da ist. Die Spekulationen um ein Karriereende hielten sich hartnäckig, doch Dahlmeier startete nach reiflicher Überlegung voller Tatendrang in die Vorbereitung zur nacholympischen Saison: „In mir brennt wieder das Feuer. Mir ist klar geworden, dass ich auf alle Fälle für den Biathlon bereit bin. Ich bin supermotiviert."
„In mir brennt wieder das Feuer"
Jetzt will sie von Training erst mal nichts wissen, und dass der DSV nicht einmal einen ungefähren Zeitrahmen für die Rückkehr der weltbesten Biathletin verkündet, vergrößert die Sorgen in der Szene. „Kommt Dahlmeier überhaupt zurück?", titelte die „Süddeutsche Zeitung" nach Bekanntwerden der Trainingspause. In dem Artikel wird darauf hingewiesen, dass Dahlmeier zu einer neuen Generation von Biathletinnen gehört, die nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag mit dem Gewehr auf dem Rücken durch die Wälder fahren. Neuner zum Beispiel trat 2012 im Alter von nur 25 Jahren zurück, weil der Stress und die Verantwortung größer wurden als die Freude am Sport. Hier gibt es eine deutliche Parallele zu Dahlmeier. Sie ist wie Neuner vor ihr das größte Zugpferd für den DSV, die Veranstalter, die Sponsoren, die TV-Sender. Sie nimmt im deutschen Team den Druck von den anderen Athleten und schüchtert gleichzeitig die Konkurrenz ein. Dahlmeier ist nicht zu ersetzen, dabei liegt ihr diese Rolle eigentlich überhaupt nicht.
Die Berchtesgadenerin zeigt sich nur selten in der Öffentlichkeit, und wenn der Rummel um ihre Person mal wieder groß ist, fühlt sie sich sichtlich fehl am Platz. Dahlmeier liebt eher die Einsamkeit beim Bergklettern, bei Heimabenden mit Netflix, beim Lesen dicker Bücher. In diesem Sommer bestieg sie einen Berg in Georgien. Dort sei sie „wirklich eingetaucht in eine ganz andere Welt", sagte sie kürzlich. Die Rückkehr in die Welt des Biathlons war verbunden mit Schmerzen und Rückschlägen.
„Es ist nicht so, dass Laura Trübsal bläst", beschwichtigt DSV-Sprecher Stefan Schwarzbach. Und auch Dahlmeier selbst gibt Hoffnung, dass ihre Abstinenz nicht allzu lange dauern wird: „Ich bin mir sicher, dass ich den Trainingsrückstand wieder ganz gut aufholen kann, wenn ich wieder voll belastbar bin."
Eine schnelle Rückkehr der siebenmaligen Weltmeisterin wäre für das deutsche Frauenteam wichtig, denn eine ausgewiesene Weltklasseathletin, die im Weltcup beständig aufs Podest stürmen kann, findet man im restlichen Kader nicht. Franziska Hildebrand und Vanessa Hinz können zwar an guten Tagen in die Top Ten laufen, an schlechten fallen sie aber im Vergleich zur Weltspitze deutlich ab. Maren Hammerschmidt wird zudem durch eine Fuß-Operation die ersten Saisonrennen verpassen.
Außerdem gibt es neue Kompetenzen im Trainerbereich: Der frühere Männer-Trainer Mark Kirchner trägt jetzt als Chef-Bundestrainer die Gesamtverantwortung, der umstrittene Damen-Bundestrainer Gerald Hönig ist nun für die Schießausbildung zuständig. Hönig stand trotz Doppel-Gold von Dahlmeier in der Kritik, Hildebrand hatte öffentlich über die Besetzung der Staffel, die in Südkorea nur auf Platz acht eingelaufen war, gemeckert. Eine Aussprache mit den Sportlerinnen nach Olympia soll die Gräben nur noch vertieft haben.
Hönig (59) darf zwar bleiben, aber der starke Mann heißt nun Kirchner (48). Der dreimalige Olympiasieger schlüpft in die Rolle, die zuletzt Uwe Müßiggang bekleidet hatte, ehe der Posten des Chef-Bundestrainers nach dem Zwei-Medaillen-Debakel von Sotschi 2014 abgeschafft wurde. „Mit der Umstrukturierung und dem damit einhergehenden personellen Wechsel reagiert der Deutsche Skiverband auf die zahlreichen Herausforderungen, um im anstehenden Olympiazyklus bis 2022 weiter erfolgreich sein zu können", erklärte der DSV in einer Mitteilung seine „Rolle rückwärts".
Bei den Männern ruhen die Hoffnungen vor allem auf Arnd Peiffer. Der 31 Jahre alte Sprint-Olympiasieger von Pyeongchang fühlt sich fit, die vielen Trainingslehrgänge in der Vorbereitung lassen ihn mit einem guten Gefühl in die WM-Saison starten. „Wir waren wirklich gut beschäftigt", sagte Peiffer. Motivationsprobleme nach seinem Karrierehöhepunkt, der Goldmedaille bei Olympia im vergangenen Winter, hat der Polizeihauptmeister keine: „Mit den anderen unterwegs zu sein, allein das motiviert mich."
Denn Peiffer weiß: Er ist kein Ausnahme-Biathlet wie zum Beispiel der Franzose Martin Fourcade, er muss sich Erfolge stets hart erarbeiten. „Wir haben starke junge Athleten im Team. Ich spüre jeden Tag, dass ich mich neu beweisen muss", sagt Peiffer. „Von alleine geht nichts." Sein großes Ziel ist in dieser Saison zwar die Weltmeisterschaft im schwedischen Östersund, „aber auch ich muss mich erst qualifizieren".
Philipp Horn rüttelt an der Hierarchie
Der mit 31 Jahren älteste deutsche Weltcupstarter muss sich teamintern nicht nur mit den Etablierten Simon Schempp, Erik Lesser und Benedikt Doll messen. In Philipp Horn rüttelt auch ein Newcomer an der Hierarchie. Der 23-Jährige wurde vom Bundestrainer ins Weltcup-Team berufen, nachdem er mit seinem Sieg im Massenstart bei den deutschen Meisterschaften überzeugt hatte.
Podestplätze werden aber von anderen erwartet. Neben Peiffer wollen auch die Weltmeister Schempp und Doll sowie der zweimalige Weltcupsieger Lesser beständig in die Top-15 fahren. Dabei setzten sie auf die Hilfe von Cheftrainer Kirchner, den Lesser als „besten Trainer der Welt" bezeichnet.
Der Oberhofer Kirchner hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass die Biathlon-Männer zum Saisonhöhepunkt auf den Punkt topfit sind. Seit Kirchner die Verantwortung bei den Männern 2010 von Frank Ullrich übernommen hat, sind seine Athleten von keinem Großereignis ohne Medaille nach Hause gekommen. Im Gegenteil: Die Anzahl des Edelmetalls ist steigend.
Von Kirchners Trainingssteuerung sollen nun auch die Frauen profitieren. Der neue Chef-Bundestrainer gilt jedoch nicht gerade als besonders kommunikativ, das könnte zu Problemen im nicht ganz einfachen Frauen-Team führen. Auch deshalb wäre eine frühe Rückkehr der immer lächelnden und um Ausgleich bemühten Laura Dahlmeier wichtig.