SPD-Sozialpolitiker wollen die Armutsbekämpfung im Saarland forcieren. Magnus Jung, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, hat ein Konzept vorgelegt, in dem unter anderem ein Sozialticket für den ÖPNV und Toto-Fördergelder für soziale Teilhabe gefordert werden.
Über einen Mangel an Zahlen, Analysen, Statistiken, Forderungen und Papieren kann man wirklich nicht klagen. Dass Armut im eigentlich reichen Deutschland eine Realität ist, ist nicht zu bestreiten. Auch wenn eine Reihe von Maßnahmen zumindest durch Korrekturen an der ein oder anderen Stelle für eine Entschärfung gesorgt haben mögen, hat sich an der grundlegenden Situation bislang wenig bis nichts geändert.
„Wir hätten 40 Seiten voll schreiben können", sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Magnus Jung nach intensiven Gesprächen mit Sozialverbänden und Kommunalvertretern, aus denen er für seine Fraktion einen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung entwickelt hat. Am Ende stehen auf vier Seiten komprimiert die Punkte, in denen er nun Druck sowohl dort machen will, wo das Land selbst aktiv werden kann. Zugleich listet er in einem Forderungskatalog auf, was der Bund in seiner Zuständigkeit beispielsweise für die Sozial-, Steuer- und Rentengesetzgebung zu leisten hätte.
Es ist nicht das erste Papier, in dem sich die SPD dem Problem der Armutsbekämpfung zuwendet. Jung misst dem neuen Vorstoß größere Umsetzungschancen ein. Schließlich haben die Regierungspartner im Koalitionsvertrag dieser Thematik einen besonderen Schwerpunkt gewidmet, in dem unter anderem anderem vereinbart ist: „Wir wollen daher noch effektiver gegen Armut im Saarland vorgehen". Unter anderem ist dort als eine konkrete Maßnahme „die Einrichtung eines Sonderfonds zur Förderung von Armutsprojekten und -initiativen" festgehalten.
Die Koalitionspartner seien sich einig gewesen, „dass Armutsbekämpfung ein Schwerpunkt sein muss, gerade auch, weilKinderarmut in den vergangenen Jahren im Saarland sichtbar gestiegen ist", betont Jung. 2012 lag der Anteil junger Menschen unter 18 Jahren, die in „Hartz-IV-Familien" aufwachsen, bei 13,3 Prozent, im vergangenen Jahr lag der Anteil bereits bei 19,6 Prozent, besonders betroffen ist der Regionalverband Saarbrücken, in dem gut ein Drittel der jungen Menschen unter Armutsbedingungen aufwächst. Dazwischen lag der erste Armuts- und Reichtumsbericht für das Saarland (2015), der die Entwicklung bestätigte und zugleich auf zwei weitere Hauptproblemgruppen hinwies. Zum einen sind insbesondere Alleinerziehende mit Kindern betroffen, zum anderen wird Altersarmut zu einem immer massiveren Problem. Zudem bestätigte der Bericht, dass das Armutsrisiko im Saarland höher ist als im Bundesdurchschnitt. Eigentlich sollte auf dieser Basis ein Aktionsplan mit Maßnahmen bereits 2016 vorliegen. Sozialministerin Monika Bachmann räumte noch im Sommer dieses Jahres ein, man sei „zu Recht gerügt" worden, weil dies nicht zustande kam, und kündigte dabei einen Fahrplan zur Erstellung, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, bis Sommer 2019 an.
„Effektiver gegen Armut vorgehen"
Jung will nun Druck machen, eine „wirksame Armutsbekämpfung durch die Landesregierung in den Fokus rücken" und „von allen Beteiligten eine stärkere Mitarbeit einfordern". Menschen, die „in der Regel unverschuldet in diese Situation geraten" seien, hätten Anspruch darauf, dass „die Gesellschaft solidarisch" hilft, aus der Situation herauszukommen, und Teilhabe zu ermöglichen, angefangen vom Klassenausflug bis zur Mobilität, eben in allen Lebensbereichen.
An erster Stelle im landespolitischen Teil des Papiers steht die Forderung nach mehr bezahlbarem Wohnraum. Das war zwar auch bereits Bestandteil eines früheren Konzepts zur Bekämpfung von Kinderarmut, rückt aber nun ganz oben auf die Prioritätenliste. Kosten der Unterkunft müssten sich an den tatsächlichen Mietkosten orientieren, und vor allem müsste mit mehr bezahlbarem Wohnraum sozialer Spaltung in Stadtvierteln begegnet werden. Versäumnisse der Vergangenheit müssten abgearbeitet werden, Kommunen sollten beispielsweise mit Investitionszuschüssen begleitet werden. Dies gilt dann auch für eine stärkere Förderung von Projekten in benachteiligten Stadtteilen. Angesichts der bekannt angespannten finanziellen Lage der Kommunen sieht Jung hier Land und Bund in der Pflicht, für „eine Erhöhung kommunaler Einnahmen zur Finanzierung der Gemeinwesenarbeit" zu sorgen.
Einen weiteren Schwerpunkt setzt das Papier auf Integration und Bildung. Soziale Probleme und Armut wirkten sich schließlich unmittelbar in den Schulen aus. Jung plädiert deshalb für eine verstärkte Verzahnung von Bildungs- und Sozialpolitik, Jugendhilfe und Schule. Soziale Porbleme durch Armut oder Vernachlässigung wirken sich auf Schulen aus und verhindern erfolgreiche Bildungsbiografin. In der hohen Vereinsdichte sieht Jung das Saarland geradezu als prädestiniert an für Modellprojekte zur Integration. Für eine bessere Teilhabemöglichkeit könnten beispielsweise Vereinsbeiträge oder notwendige Ausrüstungen für ärmere Kinder zumindest teilweise übernommen werden. Geld dafür sollte aus einer anderen Verteilung von Saartoto-Mitteln kommen, deren Ausschüttung stärker an die Förderung sozialer Teilhabe gekoppelt werden sollte.
„Wir müssen uns auf den Weg machen"
Schließlich soll, weil Mobilität unentbehrliche Voraussetzung für soziale Teilhabe sei, ein flächendeckendes Sozialticket für das Saarland auf den Weg gebracht werden. Sozialverbände weisen schon lange darauf hin, dass die im Regelsatz für Sozialleistungen vorgesehenen Beträge hoffnungslos zu niedrig angesetzt sind. In vielen Fällen seien damit gerade mal die notwendigen Behördengänge zu absolvieren. In ländlichen Gegenden berichten etwa Tafeln, dass ihre Kundschaft sich eine Fahrt zur Tafel oft nur schwerlich leisten könne, wenn das Geld für andere Notwendigkeiten, wie etwa auch für Arztbesuche, bereits aufgebraucht ist.
Jung ist sich bewusst, dass diese Reform im ÖPNV „nicht in ein paar Monaten" umzusetzen ist. Kosten für sozialpolitische Reformen beim ÖPNV dürften im Übrigen nicht an den Kommunen oder dem Land hängen bleiben. Aber nur, weil die Finanzierung solch sozialpolitischer Reformen nicht von heute auf morgen realisierbar scheint, „heißt das ja nicht, dass wir sie nicht fordern dürfen".Im Gegenteil, „wir müssen uns auf den Weg machen".
Genau das beinhalten auch die Forderungen in Richtung Bundespolitik, die im Wesentlichen eine gerechtere Steuerpolitik mit Erhöhung des Spitzensteuersatzes, einer Reform der Erbschaftssteuer und der Einführung einer Vermögenssteuer umfasst. Schließlich dürfe Armutspolitik als sozialökonomisches Problem nicht losgelöst von der Reichtumsentwicklung eines Landes betrachtet werden.
Weitere Punkte, die nach Forderung des SPD-Papiers auf Bundesebene angegangen werden müssten, sind Reformen bei der Sozialgesetzgebung, eine Absicherung der Renten, eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12,63 Euro, dazu eine Kindergrundsicherung und ein verbessertes Bildungs- und Teilhabepaket. Im Wesentlichen also Punkte, die bereits länger auf der Agenda bundespolitischer Auseinandersetzungen stehen.
Dieses nach Angaben von Jung einstimmig in der SPD-Fraktion angenommene Papier zur Armutsbekämpfung sieht er vor allem als „Selbstverpflichtung der Sozialpolitiker", politisch Druck auf die Umsetzung zu machen, gleichzeitig auch als Maßstab, an dem sie sich messen lassen wollen angesichts der „verheerenden Folgen" von Armut. Schließlich belegen Studien: Wer arm ist, wird häufiger krank und stirbt früher. Und die Angst vor sozialem Abstieg in der Mittelschicht ist ein wachsendes Phänomen und deshalb ein Thema, das „nicht nur eine marginalisierte Unterschicht betrifft", betont Jung.