Kambodscha, das uralte Land der Khmer ist bekannt für seine märchenhaften Tempel und Paläste. Doch immer mehr Reisende entdecken seine tropische Natur und wunderschönen Landschaften wie das Kardamomgebirge oder den Tatai-Fluss mit Wasserfällen und von Regenwald bewachsenen Ufern.
Der Sonnenaufgang über Angkor Wat ist eigentlich großes Kino. Von allen Seiten strömen Menschen in die 900-jährige Tempelstadt im Nordwesten von Kambodscha, stolpern durch die kühle Finsternis des frühen Morgens. Auf dem Weg über den Wassergraben, der den knapp zwei Quadratkilometer großen Komplex als symbolisches Ur-Weltmeer umgibt, wird es allmählich eng. Hunderte Menschen drängen sich schon vor den dicken, dunklen Mauern. Nur schemenhaft erkennt man die Konturen des gewaltigen Superbauwerks. Einst religiöses Zentrum im alten Königreich der Khmer, zählt es heute zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten und lockt jährlich mehr als vier Millionen Reisende in das kleine südostasiatische Land. Endlich wird es heller – und der Himmel bewölkt sich. Die Morgenröte über Angkor Wat fällt heute aus.
Macht überhaupt nichts. Das ungünstige Fotowetter bringt ungemeine Platzvorteile. Denn viele Sonnenaufgangsfotografen sind schon wieder weggegangen oder gar nicht erst erschienen. Ohne allzu großen Trubel lässt sich so der einzigartig schöne Ort mit seinen reich verzierten Tempelhallen, Höfen, Skupas und Skulpturen erkunden. Immer wieder andere Details, immer wieder neue Perspektiven. Allein 2.000 Himmelstänzerinnen – sogenannte Apsaras – zieren als Reliefs die Wände der Gebäude. Junge zeitgenössische Kollegen der steinernen Grazien posieren ganz lebendig und in schillernden Kostümen für Touristenfotos.
Mehr als 1.000 Tempel
Vom höchsten der fünf Türme reicht der Blick weit in die alte Dschungeltempelstadt hinein. Aus dieser Perspektive sieht man ganz deutlich, dass Angkor Wat, das größte sakrale Bauwerk der Erde, hier nur eins von vielen ist. Mehr als 1.000 Tempel und Heiligtümer diverser Größe sind über ein Gebiet von 200 Quadratkilometern verstreut. Die meisten sind nur noch Ruinen, im tropischen Dickicht versteckt. Manche sind erstaunlich gut erhalten.
Ein halbes Dutzend Tempel und andere Gebäude stehen auf dem Tourprogramm. Ta Prohm, der nach Angkor Wat wohl zu den bekanntesten Bauwerken des Komplexes gehört, beeindruckt mit seinen von riesigen Bäumen durchwachsenen Mauern und Wänden. Die vielen Türme des Bayon Tempels sind mit meterhohen, wunderschönen Gesichtern geschmückt. Er zieht den Betrachter ebenso in seinen Bann wie der etwas weiter entfernt – am oberen Siem-Reap-Fluss – gelegene, im zehnten Jahrhundert gebaute Banteay Srei mit seiner überaus kunstvollen Ornamentik. Auch den Baumeistern der im zwölften und 13. Jahrhundert errichteten Königsstadt Angkor Thom, durch deren prächtige Tore beängstigend viel Verkehr rollt, gehört der Respekt der Besucher. Von den obersten Stufen des Pyramidentempels Pre Rup, der Gott Shiva geweiht wurde, genießen sie den Sonnenuntergang.
Nach einer Massage bei „Seeing Hands", einer Organisation, die Blinde als Masseure ausbildet und beschäftigt, einem fantastischen Abendessen im Restaurant der Hotelfachschule Sala Baï, wo Jugendliche aus unterprivilegierten Familien eine chancenreiche Ausbildung erhalten, und einem späten Bummel über den Nachtmarkt von Angkor freuen sich alle auf den nächsten Tag. Wenn die lange Busfahrt auch nicht ganz unbeschwerlich ist, beschert sie den Reisenden doch eine großartige Szenerie von Landschaften und Dörfern sowie Erlebnisse, die sie ihr Leben lang nicht vergessen werden.
Zu Letzteren gehört ein Besuch auf dem Spinnenmarkt von Skuon. Dessen begehrteste Produkte sind tatsächlich frisch frittierte Vogelspinnen sowie jede Menge ähnlich zubereiteter „Leckereien" aus der Insektenwelt. Tütenweise wechseln geröstete Schaben, Grillen, Käfer und Larven die Besitzer. Meist wird der bizarre Snack an Ort und Stelle weggeknabbert. Für Einheimische gelten all die Krabbeltiere als Delikatesse. Die allermeisten Fremden beschränken sich auf einen Blick darauf. Weder der angeblich gute Geschmack noch der unbestritten hohe Proteingehalt können sie bewegen, auch nur das Beinchen einer Knusperspinne zu probieren. Ohnehin sind die schwarzen Achtbeiner lebend viel sympathischer. Bei dieser Einsicht hilft ein Mädchen, das geschnittene Mangos verkauft und eine Vogelspinne auf der Schulter trägt. Wer möchte, kann das ungewöhnliche, doch offenbar recht nette Haustier streicheln und es über seinen eigenen Körper laufen lassen.
Je näher der Reisebus der Hauptstadt kommt, umso dichter wird der Verkehr. Die Zahl der Autos in Phnom Penh ist dabei noch ziemlich überschaubar. Für großstädtisches Chaos sorgen hier vor allem Mopeds. Mehr als eine halbe Million davon knattern täglich durch die meist schmalen Straßen der 1,5-Millionen-Metropole. Oft ist auf dem beliebten Zweirad die ganze Familie unterwegs, und nicht selten auch der halbe Hausrat noch gleich mit.
Das erste Ziel liegt mitten in der City. Es ist das Heiligtum Wat Phnom, der Hügeltempel, 27 Meter über einem Kreisverkehr. Für fünf Buddhastatuen, die man am Ufer des Mekong gefunden hatte, wurde er im 14. Jahrhundert errichtet. Um ihn herum entstand die Stadt Phnom Penh. Exponate zur Geschichte, vor allem viele Khmer-Kunstwerke, gibt es im Nationalmuseum zu bestaunen. In der königlichen Palastanlage beeindruckt neben der Thronhalle die berühmte Silberpagode mit über 5.000 Bodenfliesen aus reinem Silber und einem lebensgroßen Buddha aus purem Gold. Einem abendlichen Spaziergang an der Uferpromenade mit Blick auf den Mekong folgt ein Gute-Nacht-Getränk im geschichtsträchtigen „Foreign Correspondents’ Club". Von hier aus schickten im zweiten Indochinakrieg und dem darauffolgenden Bürgerkrieg Anfang der 70er-Jahre internationale Journalisten ihre Nachrichten in die Welt.
Das größte Leid erfuhr das Land, das heute 16 Millionen Einwohner hat, während der Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Das kommunistische Regime forderte zwischen 1975 und 1979 mehr als zwei Millionen Menschenleben. Weitere zehn Jahre litt Kambodscha unter dem Guerillakrieg der vertriebenen Roten Khmer gegen die vietnamesischen Besatzer. Wirklich aufgearbeitet ist diese Ära der Geschichte bis heute nicht. Immerhin sorgten ein UN-Friedensabkommen (1993) und die Wiedererrichtung der Monarchie für Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. Gehörte Kambodscha nach zwei Jahrzehnten Krieg Anfang der 90er-Jahre zu den ärmsten Ländern der Welt, nimmt es laut Uno-Index menschlicher Entwicklung inzwischen einen mittleren Rang, an 143. Stelle, unter allen Ländern der Welt ein.
Am nächsten Morgen wird das Abenteuer fortgesetzt. Fast 300 Kilometer geht nun die Fahrt ins malerische Kardamomgebirge. Im Dorf Tatai am gleichnamigen Fluss werden die angehenden Dschungelentdecker von einem Boot erwartet. Umringt vom dichten Tropengrün des Regenwalds, steuert der kleine Kahn flussabwärts. Etwa 15 Kilometer, bevor sich der Tatai mit dem Prek Khlang Yai vereinigt, um kurz danach in den Golf von Thailand zu münden, ist der südlichste Punkt dieser Reise erreicht. Zugleich ist es eine ihrer schönsten Etappenziele, denn die „4-Rivers-Floating-Lodge" ist ein Luxus-Zelthotel. Es liegt mitten auf dem friedlich dahinfließenden Strom, der so ruhig ist, dass sich die kleinen komfortablen Stoffgebäude im Wasser spiegeln.
Ein Hotel mitten im Fluss
Bei allen Annehmlichkeiten, die den Gästen aus der modernen, fernen Stadtwelt geboten werden, bleibt für sie der größte Luxus die atemberaubende exotische Natur, der sie hier so nahe sind. Noch näher können sie ihr kommen, als es dunkel wird. In einem Boot bricht die kleine Gruppe auf in die tropische Nacht. Selbst wenn die Wasserwanderer nur wenig sehen, verraten ihnen unzählige Stimmen und Geräusche, wie vielfältig belebt um sie herum das Urwalddickicht ist. Als Überraschung gibt es echte Highlights – winzige zwar nur, doch dafür massenhaft: Tausende von Glühwürmchen taumeln liebestrunken funkelnd durch die Finsternis.
Mit einem kühlen Bad im Fluss, in den man praktisch direkt vom Bett aus steigen kann, beginnt der Tag im Zeltresort. Den Tatai flussaufwärts geht es per Boot zu einem Ort, in den sich jeder auf den ersten Blick verliebt. Die Wasserfälle des Tatais finden so großen Gefallen, dass alle dort den ganzen Tag lang bleiben wollen. Das saubere, klare Nass, das über große, glatte Felsen strömt, bevor es sich einige Meter tiefer nur wenige Sekunden lang in brodelnden Schaum verwandelt, verlockt zum Planschen, Paddeln, Springen. Ein paar Affen machen es den Menschen vor: Die Riesensteine sind zum Klettern wie geschaffen. Hier und da haben sich zwischen ihnen natürliche Pools gebildet. Ein wunderbarer Platz zum Schwimmen, ein Naturspielplatz – auch für große Kinder!
Nur die Aussicht auf eine kambodschanische Massage und köstliches Essen kann die Ausflügler dazu bewegen, zum Flusshotel zurückzukehren. Mit Begeisterung und eigener Muskelkraft erobern sie nun den Tatai in Zweierkayaks. Durch seine Strömung macht er es ihnen leicht. So bleibt genügend Kraft und Zeit, die Schönheit dieser Dschungel-Fluss-Landschaft in tiefen Zügen zu erleben.