Schön, schlank, sexy – das Leben der Models auf Instagram wirkt verheißungsvoll. Doch der schöne Schein birgt auch große Gefahren: unter anderem krankhafte Essstörungen. Nun fordern Politiker gesetzliche Regelungen gegen die vermeintliche Selbstoptimierung.
Wenn Anastasia hungrig wird, greift die junge Frau zu einem Glas Wasser. „In der Regel kippe ich gleich noch ein Glas hinterher, damit der Magen richtig voll wird", verrät die Fünfzehnjährige. Sie ist 1,70 Meter groß und wiegt nur 50 Kilo. Vor einem Jahr stopfte sich die Schülerin sogar mit nassen Wattebällchen voll, um ihr niedriges Gewicht halten zu können. „Doch das ging leider nur ein paar Wochen so", bedauert die junge Saarbrückerin, „bis meine Mutter herausfand, dass ich Watte esse. Dann rastete sie richtig aus und schleppte mich zum Arzt." Ihre ‚Diät‘ musste Anastasia ihrer Mutter zuliebe abbrechen. „Weil es auch gefährlich für den Körper war und zu einem Darmverschluss führen konnte." Richtig essen kann sie dagegen bis heute nicht. „Ich nehme es mir zwar immer wieder vor, etwas mehr und vor allem regelmäßiger zu essen, so wie zum Beispiel Obst und Gemüse. Aber wenn ich dann in der Schule mein Schulbrot aus der Tasche hole, wandert das Essen zum Schluss doch in den Müll." Auch abends verweigert Anastasia oft das Familienessen. „Dann erzähle ich meiner Mutter, dass ich bereits gegessen hätte oder hole meinen Teller mit auf mein Zimmer und verstecke das Essen in meiner Schultasche. Am nächsten Tag entsorge ich es dann auf dem Weg zum Bus." Auf die Frage, warum sie sich so verhält, hat Anastasia prompt eine Antwort. „Zum einen esse ich einfach nicht sonderlich gerne. Das schmeckt mir nicht, und zum anderen möchte ich auch so erfolgreich und glücklich sein wie die Instagram-Models. Sie sind schön, haben einen perfekten Körper und ein aufregendes Leben. Das wünsche ich mir auch. Und um das zu erreichen, muss ich dünn bleiben."
Auch Politiker von Union und SPD sehen den Grund für diese verzerrte Selbstwahrnehmung der Jugendlichen in falschen Vorbildern aus der Modelbranche. „Size-Zero-Models gaukeln ein Ideal vor, welches weder ästhetisch noch gesund ist – mit gefährlichen Langzeitschäden für Körper und Seele bis hin zum Tod", sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gegenüber dem „Spiegel". Auch der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, fordert eine politische Lösung. „Wir brauchen eine gesetzliche Regelung zum Schutz vor Magersucht". So, wie auch seine CSU-Kollegin Dorothee Bär. „Aufklärung allein scheint an ihre Grenzen zu stoßen", betont die Politikerin.
Ein Gedanke, der sich auch in der Statistik widerspiegelt. Laut der aktuellen AOK-Nordost-Studie stieg der Anteil der diagnostizierten Essstörungen bei den 13- bis 17-Jährigen im Zeitraum zwischen 2010 und 2016 um ganze 50 Prozent. Alleine im Jahr 2016 wurden in deutschen Krankenhäusern insgesamt 7.764 Fälle von Anorexie* und 1.949 Fälle von Bulimie** diagnostiziert. Im vergangenen Jahr erschütterte der Fall der ehemaligen Miss Sachsen 2006, Henriette Hömke, die Medien. „Als wir sie das letzte Mal sahen, waren ihre Beine so dünn wie meine Arme", sagte ihr Großvater Rudi Hömke dem Kölner „Express". In ihrem Ägypten-Urlaub brach die 29-jährige plötzlich zusammen und verstarb kurz darauf an den Folgen ihrer Magersucht. Doch es sind nicht ausschließlich weibliche Patientinnen, die mit erschreckendem Untergewicht stationär aufgenommen werden müssen. Auch bei den jungen Männern scheint sich der Schlankheitswahn immer mehr zu etablieren.
Noch überlegen Deutschlands Politiker, was zu tun sei. Andere Länder sind bei diesem Thema schon einen Schritt weiter. In Frankreich beispielsweise dürfen seit Oktober des vergangenen Jahres keine Models ohne entsprechende Kennzeichnung auf Plakaten retuschiert werden. Auch auf dem Laufsteg dürfen die Mager-Models nicht länger laufen. Wer keinen ärztlichen Nachweis über seinen Gesundheitszustand vorlegen kann, wird schlichtweg vom Catwalk verbannt. Gesundheit geht vor. Zumindest in Frankreich. Wer sich nicht an diese Regeln hält, riskiert eine Geldstrafe von 75.000 Euro. Aber auch weitere Länder wie Israel und Spanien folgen dem französischen Beispiel und grenzen Mode und Models von Magersucht ab.
In Deutschland steckt diese Idee noch in den Kinderschuhen. Kommt aber jetzt schon gut an, zumindest bei Anastasia. „Ich weiß nicht, ob ich mehr essen würde, wenn alle Instagram-Mädels, denen ich folge, etwas fülliger wären. Vermutlich schon. Dann wären ja alle fülliger und hätten ein ganz anderes Schönheitsideal."