„Retten, löschen, bergen, schützen" – das ist das eine. Gerade die Freiwilligen Feuerwehren bieten aber noch viel mehr: soziale Kontakte, eine Aufgabe, ein Zuhause. „Trotzdem sind unsere Helfer oft Blitzableiter für politisch Frustrierte", sagt Hartmut Ziebs, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbands. Er hofft auf bessere Ausstattung und mehr Anerkennung bei Bevölkerung und Politik.
Herr Ziebs, in Deutschland hat man die Heimat wiederentdeckt, sogar ein entsprechendes Ministerium gibt es inzwischen. Das sollte Ihnen doch gefallen – gehört zur Feuerwehr nicht auch der Heimatschutz?
Ja, durchaus! Feuerwehr ist nicht nur zur Gefahrenabwehr da. Das ist sicherlich unsere Hauptaufgabe, aber nicht die einzige. Feuerwehr hat gleichzeitig auch eine soziale Funktion: Wir binden ja gerade im ländlichen Bereich die Menschen an ihr Dorf, ihre Stadt, ihre Gemeinde durch den Schutzauftrag, den wir dort übernehmen. Das machen wir zum einen natürlich über unsere regelmäßigen Übungen, aber natürlich auch durch andere Aktivitäten, wie zum Beispiel Feuerwehrfeste. Man könnte also schon sagen: Feuerwehr ist auch ganz klar mit Heimat gleichzusetzen.
Oft hapert es ja genau an dieser Anbindung – sind Sie als Feuerwehr im ländlichen Raum die letzte Instanz?
Na, ich hoffe nicht, dass wir die letzte sind. Aber es ist schon richtig: Zuerst wird die Buslinie eingestellt oder der Regionalzug hält nicht mehr. Dann schließt der letzte Lebensmittelladen, der Kiosk am Bahnhof ist schon lange weg. Und in der Tat ist dann das alte Spritzenhaus das letzte, was noch öffentlich funktioniert in so einem Ort. Die Freiwillige Feuerwehr bleibt, solange es geht.
Auch wenn alle anderen schon weg sind?
Ich sage mal so: Auch wenn nur noch zwei oder drei Aktive vor Ort sind, sollte man diesen Standort beibehalten. Denn wenn irgendetwas sein sollte, hat man zumindest noch die Möglichkeit, etwas zu tun. Und sei es auch nur, eine qualifizierte Rückmeldung an die Leitstelle durchzugeben, was genau passiert ist und was gebraucht wird. Wenn so ein Standort erst mal dicht ist, wird er so schnell nicht wieder neu eingerichtet. Darum legen wir dann im Zweifelsfall lieber Standorte zusammen und binden die letzten Aktiven in der Freiwilligen Feuerwehr zusammen, als auch nur einen Standort wirklich aufzugeben.
Wird denn von der Bundespolitik ausreichend wahrgenommen, was Sie da leisten?
Das wird parteiübergreifend sehr unterschiedlich wahrgenommen. Viele Bundespolitiker haben uns zwar auf dem Schirm, aber dass man sich auch darum kümmern muss, ist dann noch eine andere Frage. Nehmen Sie Innenminister Horst Seehofer: Er hat ja nun die Heimat für sich entdeckt, aber die Feuerwehr hat er überhaupt nicht im Blickfeld. Seehofer hat sich nicht mal auf unserem Parlamentarischen Abend im Sommer blicken lassen, da waren alle führenden Feuerwehrmänner aus ganz Deutschland zusammen. Keine 200 Meter vom Bundesinnenministerium entfernt, in unserer Wache am Kanzleramt – aber ohne Seehofer.
Er hatte noch gar keine Zeit für Sie?
Nein, Horst Seehofer hat es bislang geschafft, alle Zusammentreffen mit unserem Verband zu vermeiden – das finde ich dann schon sehr traurig. Wenn der Bundesinnenminister monatelang keine Zeit für den Feuerwehrverband hat, zeigt das ja auch, wie unsere Tätigkeit von ihm wertgeschätzt wird. Ich habe dafür keine Erklärung.
Ein großes Problem gerade bei den Freiwilligen Feuerwehren ist der Nachwuchs. Noch dazu gab es in den letzten Jahren angeblich auch noch Schwierigkeiten, weil Leute, die rechten Parteien oder Gruppierungen nahestehen, Feuerwehren „übernehmen" wollten ...
Sehen Sie, das ist ja auch bei der Bundeswehr nicht ganz so einfach – und auch bei der Freiwilligen Feuerwehr gilt: Wir sind der Querschnitt der Bevölkerung. Da haben wir Sozialdemokraten, Grüne, Linke oder CDU-Mitglieder in unseren Reihen, und dann kommen natürlich auch andere dazu. Die Feuerwehr hat den Nimbus, sehr traditionalistisch, sehr patriotisch zu sein, eben an der Heimat orientiert. Das lockt dann auch eine ganz bestimmte Klientel an. Ich stelle aber fest – und das gilt bundesweit, in Ost und West: Nationalisten, rechte Extremisten haben in unseren Reihen keine wirkliche Chance. Tauchen solche Leute auf, stehen sie sehr schnell allein da, die Kameraden wenden sich von ihnen ab.
Das heißt, es gibt in den Freiwilligen Feuerwehren selbstreinigende Kräfte?
Ja, das regelt die Mannschaft von ganz allein, ähnlich wie in einem Sportverein. Wenn da zehn Leute zu dem einen Rechtsaußen sagen, du machst hier nicht länger mit, dann kommt der vielleicht noch zu einer Löschübung. Und wenn er da auch wieder nicht mit ran durfte, dann kommt er bei der nächsten nicht mehr. Wenn da jemand politisch auffällig wird, also den Boden der freiheitlichen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in seinen Ansichten längst verlassen hat, dann wird der auch nicht von uns weiter gefördert. Das hängt aber auch mit der Geschichte der Entstehung der Freiwilligen Feuerwehren in Deutschland zusammen: Die geht ja auch auf Freiherr vom Stein um 1800 zurück.
Den großen preußischen Staatsreformer?
Genau, da muss man kurz auf die Geschichte der Freiwilligen Feuerwehren schauen: Die kommen ja aus der Demokratiebewegung, die mit der Französischen Revolution ihren Anfang nahm. Man hat sich vom Adel getrennt, man wollte mehr Bürgerbeteiligung. Die Menschen wollten damit auch ihren Schutz selbst in die Hand nehmen. Also keine Bevormundung mehr durch Adel und Klerus, sondern kommunale Selbstverwaltung. Und aus dieser deutschen Demokratiebewegung sind dann auch die Freiwilligen Feuerwehren entstanden. Schon allein von der Geschichte her hat blanker Nationalismus keinen Platz in unseren Reihen, weil wir ja aus einer Art liberaler Volksbewegung hervorgegangen sind. Unser Auftrag ist der Schutz der Menschen.
Wenn Sie die Beschützer sind – warum kommt es dann gerade in letzter Zeit immer wieder zu Übergriffen gegen Rettungskräfte?
Das ist ein wirklich seltsames Phänomen. Immer wenn ich die entsprechenden Bilder sehe, bin ich völlig ratlos. Ein Erklärungsversuch: Ich glaube, wir schaffen es nicht mehr, den Bürgern unseres Landes zu erklären, was diesen Staat ausmacht. Zu ihm gehören ja auch die Feuerwehrleute, die in ihren Uniformen und mit Sonderrechten schnell helfen wollen. Eine der Grundlagen für diese Staatsferne könnte unter anderem mit der Aussetzung der Wehrpflicht zu erklären sein.
Was meinen Sie damit genauer?
Bei der Bundeswehr gab es ja noch so eine Art Staatskundeunterricht. Unter anderem wurde auch jedem erklärt, wie im Ernstfall die Sicherheit dieses Staates funktioniert: Was dürfen die Feuerwehr, die Polizei oder das Technische Hilfswerk – und was nicht. Das bekommen heute nicht mehr alle mit. Und ich glaube schon, dass aus dieser Unwissenheit heraus dann auch die Hemmschwelle gegenüber Feuerwehrleuten fällt.
Wir werden nur noch als Repräsentanten des Staates wahrgenommen – und dann meint der eine oder andere, seinen politischen Ärger gegen unsere Helfer austoben zu müssen.
Also sind Ihre Kollegen von der Feuerwehr sozusagen der Blitzableiter für die politisch Frustrierten?
Ja, man meint eigentlich die Politik und nimmt die Feuerwehrleute dafür, so zumindest kommt mir das vor. Das gab es sicherlich früher auch schon, das habe selbst ich erlebt. Der Klassiker: Stark Angetrunkene gehen auf die Feuerwehr los. Aber solche Vorfälle konnten Sie pro Jahr an einer Hand abzählen. Anders heute: Die Bundesregierung hat ja gerade erst bestätigt, allein in den letzten zehn Jahren hat die Gewalt gegen Rettungskräfte um 25 Prozent zugenommen. Zusätzlich werden die Fälle immer gefährlicher. Im September wurden zum Beispiel in Thüringen zwei Feuerwehrmänner bei ihrem Einsatz mit Benzin übergossen und sollten selbst angezündet werden. Da fällt mir dann echt nichts mehr ein.
Helfen härtere Strafen?
Die Politik hat ja schon alles getan, was sie tun konnte, die Gesetze wurden erheblich verschärft. Aber es bedarf da dann doch eines veränderten Bewusstseins. Wir waren im Sommer zu Besuch beim Bundespräsidenten, und der hat ja auch ganz deutlich die Gewalt gegen Rettungskräfte angeprangert. Ich glaube, dagegen hilft jetzt nur noch Zivilcourage: Wenn Sie mitbekommen, da wird gegen eine Feuerwehrfrau oder einen Feuerwehrmann mit Gewalt vorgegangen, dann stellen Sie sich dazwischen. Zeigen Sie deutlich: Bis hierher und nicht weiter.
Aber das ist ja nicht Ihr einziges Problem: Auch bei der Ausstattung der Feuerwehr ist ja noch viel Luft nach oben, heißt es oft.
Das muss man sehr differenziert betrachten. Was sich hier bei der Berliner Feuerwehr abspielt, ist katastrophal und einer Hauptstadt schon lange nicht mehr würdig. Wie man eine Feuerwehr so kaputtsparen kann, ist mir rätselhaft. An dieser Stelle zolle ich den Mitarbeitern hohen Respekt, die mit ihrer wochenlangen „Aktion Brandtonne" vor dem Rathaus des Bürgermeisters protestiert haben – alles außerhalb ihrer Dienstzeit.
Und bei den Freiwilligen Wehren?
Da ist das anders: In den Städten und Gemeinden hat man sehr schnell begriffen: Bei der Freiwilligen Feuerwehr spare ich lieber nicht an der falschen Stelle. Da sind die Wege viel direkter, da merkt das auch sehr schnell der Wähler, der das ja als Freiwilliger bei der Löschübung in seiner Kommune selbst mitbekommt. Was mir allerdings sehr zu denken gibt, ist die Ausstattung in Sachen Zivilschutz: Hier hat der Bund sein Wort gegeben, ihn weitestgehend zu ergänzen, und das ist bis heute nicht wirklich geschehen.
Bei einem Chemieunfall wären die Freiwilligen also überhaupt nicht vernünftig ausgerüstet, um die Bevölkerung zu schützen?
Richtig. Der Bund stellt das Material und die Freiwilligen Feuerwehren das Personal. Nur: Dieses Personal fährt tatsächlich mit 30 bis 40 Jahre alten Zivilschutzfahrzeugen umher, da hat man die Erneuerung mit dem Ende des Kalten Krieges komplett eingestellt. Momentan werden für materielle Neubeschaffungen in diesem Bereich 50 Millionen Euro bundesweit aufgewendet, das reicht vorn und hinten nicht. Wir müssen diesen Betrag mindestens verdoppeln, um zumindest den Investitionsstau aufzuholen. Das habe ich an den entsprechenden Stellen schon mehrfach gesagt, aber wie das so ist: Ich werde mich da wohl noch ein paar Mal wiederholen müssen. Die Bundesfinanzminister schreiben seit Jahren ihre schwarze Null auf Kosten der Feuerwehren und des Zivilschutzes. Denn auch für den sind Feuerwehren zuständig, nicht die Bundeswehr. Und wenn es zu einem modernen Unglück oder einem atomaren oder biologischen Angriff kommen sollte, sind wir rein vom Material dafür nicht ausgerüstet. Wir gurken da mit 30 bis 40 Jahren altem Material rum, das geht so nicht.
Lag es auch an der fehlenden Ausrüstung, dass Sie in diesem Sommer immer wieder Probleme mit der Löschung von Flächenbränden auf ehemaligen Truppenübungsplätzen hatten?
Nicht nur. Zum einen lag es an der fehlenden Ausrüstung, aber dazu kommt ein anderes Phänomen, das mir ein Forensiker erklärt hat: Die Erde arbeitet und fördert das Unterste über die Jahrzehnte auch wieder nach oben. So werden nicht nur prähistorische Gesteinsreste an die Oberfläche gebracht, sondern auch Munitionsreste. Durch die Hitze eines Waldbrands kommt es zu den bekannten Detonationen. Da heißt es dann für die Feuerwehren: Wir gehen da nicht rein, weil niemand die unmittelbaren Gefahren für die Rettungskräfte abschätzen kann. Man hätte diese Waldbrände natürlich schneller im Griff haben können, wenn wir über entsprechende Löschdrohnen verfügen würden. Damit würden wir sehr nah an die Brände rankommen und könnten effektiv löschen. Übrigens sollte die Bundesregierung schon allein aus Umweltschutzgründen über die Anschaffung von Löschdrohnen nachdenken: Denn was da in diesem Jahr an CO2 allein durch die Waldbrände in Deutschland in die Luft gelangt ist: Dagegen können Sie die ganzen Dieselfahrverbote in den Innenstädten getrost vergessen.