Sie ist das neue Gesicht der CDU und steht für ein neues Selbstbewusstsein der Partei. Annegret Kramp-Karrenbauer über die Partei als Denkfabrik, das Verhältnis zu Friedrich Merz, die neuen Wege der CDU und warum „proeuropäisch" allein nicht reicht.
Frau Kramp-Karrenbauer, wir stehen vor einem Jahr mit Europawahlen und ostdeutschen Landtagswahlen. In beiden Fällen geht es um Richtungsentscheidungen. Was ist für die CDU die größere Herausforderung?
Wir haben in diesem Jahr auch Wahl in Bremen; da haben wir die echte Chance, eine 70-jährige, erfolglose SPD-Regierung zu beenden. Und parallel zur Europawahl finden Kommunalwahlen in zehn Bundesländern statt. Ich will, dass die CDU sich in diesen Wahlkämpfen nicht an anderen abarbeitet. Ich will, dass wir aus eigener Stärke überzeugen. Unser Wachstum ist in die Jahre gekommen genauso wie feste Gewissheiten und politische Ansätze. Aber die Themen, die uns fordern, bleiben: eine starke und innovative Wirtschaft, ohne die gute Jobs und soziale Sicherheit nicht möglich sind. Ein konsequentes Eintreten für Sicherheit – nach innen wie nach außen. Und wir spüren alle: Der Zusammenhalt in unserem Land ist fragil. Ich bin fest davon überzeugt: Die CDU kann hier die richtigen Antworten geben.
Emmanuel Macron hat seine Präsidentschaftswahl vor knapp zwei Jahren mit einem klar proeuropäischen Kurs gewonnen. Ist diese Erfahrung auf den bevorstehenden Wahlkampf in Deutschland übertragbar?
Ich bin bei den Begriffen proeuropäisch oder antieuropäisch immer sehr vorsichtig. Nicht jeder, der sich proeuropäisch nennt, macht auch Politik für Europa. Die Grünen wollen proeuropäisch sein, kämpfen aber gegen Freihandelsabkommen. Die Sozialisten wollen proeuropäisch sein, reden nur übers Geldverteilen – Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit sind da Fehlanzeige. Die Liberalen nennen sich proeuropäisch, behindern mit ihrem völlig merkwürdigen Verständnis von Datenschutz aber den wirksamen Kampf gegen den Terror. Und die Anti-Europäer von Links und Rechts sind eine Bedrohung für Wachstum und Beschäftigung, das sind wahre Wachstums- und Jobkiller und im Grunde genommen Armutsparteien. Deshalb wird es bei der Europawahl nicht ausreichen, einfach einen proeuropäischen Kurs zu fahren. Die Mehrheiten im neuen Europäischen Parlament werden darüber entscheiden, mit welchen Konzepten Europa in den kommenden Jahren seine großen Aufgaben anpackt. Und da ist es angesichts unserer Mitbewerber wichtig, dass wir unsere Ideen und Konzepte deutlich machen. Wir werden die Auseinandersetzung nicht in der Frage suchen: mehr oder weniger Europa? Wir werden uns mit der Frage auseinandersetzen: welches Europa?
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier warnt: „Nationalismus ist ideologisches Gift." Der Giftschrank scheint ziemlich offen zu stehen. Hat die CDU ein wirksames Gegenmittel?
Nationalismus ist deshalb gefährlich, weil er sich immer über die Verachtung des anderen definiert. Und wohin Nationalismus in Europa führt, kann man in jedem Geschichtsbuch nachlesen. Dort, wo sich Menschen Sorgen um ihre Zukunft machen und reflexartig Schutz in nationaler Abschottung suchen, werden wir deutlich machen, dass es diesen Schutz nur in einer starken europäischen Gemeinschaft gibt. Und in einer Welt, die auf der Grundlage von fairen Regeln zusammenarbeitet für eine bessere Zukunft der Menschen, egal wo sie leben.
Sie haben angekündigt, die Migrationspolitik unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit zu überprüfen, was als Abkehr von der Politik der Bundeskanzlerin gedeutet wurde. Ist das eine zutreffende Einordnung?
Es geht nicht um Vergangenheitsbewältigung, sondern um konkrete Verbesserungen, die wirken. Wirksamkeit erreichen wir nur, wenn wir eine ehrliche Bestandsaufnahme machen und uns fragen, wo es welche Entscheidungen oder Korrekturen braucht. Wir werden uns dabei die gesamte Wirkkette der Mi-gration anschauen: die Situation in den Herkunftsländern, der Schutz der EU-Außengrenzen, die Lage an den deutschen Grenzen, Asylverfahren, Rückführungen und Integration. Wenn wir die Debatte in diesem Sinne führen, dann ist das nicht nur ein Gewinn für die CDU, dann ist das ein entscheidender Beitrag für die Sicherheit und auch für den Zusammenhalt in unserem Land.
Mit großer Aufmerksamkeit ist verfolgt worden, wie es gelingt, die ehemaligen Konkurrenten um den Parteivorsitz einzubinden. Friedrich Merz hat zuletzt anerkennende Worte gefunden. Der Schulterschluss funktioniert also?
Ja. Dieser Schulterschluss war im Übrigen unser aller Anspruch schon im Vorfeld des Parteitages. Nachdem Friedrich Merz auf dem Parteitag selbst nicht für Präsidium oder Bundesvorstand kandidiert hat, freue ich mich umso mehr, dass er zu seiner Zusage steht, sich auch künftig in die Arbeit der Partei aktiv einzubringen. Das ist ein echter Gewinn für die CDU, denn wir können von seiner Expertise und Erfahrung nur profitieren.
Für die CDU mit dem Anspruch einer Volkspartei sind 40-Prozent-Ergebnisse Zielmarke. Ein realistisches Ziel angesichts der veränderten Parteienlandschaft?
Ja natürlich ist das der Anspruch. Aber ich weiß auch, dass dieser Anspruch nicht einfach mal so mit einem Fingerschnipsen zu erfüllen ist. Das wird das Ergebnis harter Arbeit, auf die ich mich aber sehr freue. Völlig klar ist, dass wir 40 Prozent nicht über die Schwäche anderer erreichen. Die erreichen wir nur aus eigener Stärke heraus. Dafür muss die CDU die relevanten Themen besetzen, die richtige Sprache sprechen und attraktiv für Mitglieder und Wähler sein. Mir ist bewusst, dass wir dabei neue Wege gehen müssen – thematisch, organisatorisch und kommunikativ.
Sie haben (noch als Generalsekretärin) davon gesprochen, inhaltliche Debatten „vom Kopf auf die Füße" zu stellen und 400.000 Mitglieder als „größte Denkfabrik" bezeichnet. Die Erwartungen an den Prozess um ein neues Grundsatzprogramm sind entsprechend hoch. Zu hoch?
Nein, sonst hätte ich diesen Anspruch auch nicht formuliert. Vor allem aber unterschätze ich keines unserer Mitglieder. Ich war im vergangenen Jahr viel in der Partei unterwegs. Und was ich dort an Engagement, an Expertenwissen, an Erfahrungen und Fähigkeiten erlebt habe, das hat mir noch mal deutlich gemacht, welche Kraft und welches Potenzial in unserer CDU schlummern. Und genau das müssen und wollen wir nutzen. Wir dürfen uns nicht als verlängerter Arm der von uns geführten Regierung verstehen. Andersherum wird ein Schuh draus.
Der Anspruch lautet „CDU pur" und „kein politischer Gemischtwarenladen". Wird die CDU „konservativ" neu definieren?
Na ja, CDU pur ist erst mal nicht gleichbedeutend mit konservativ. Zu unserer Identität gehören neben der konservativen Wurzel noch die soziale und die wirtschaftsliberale Wurzel. CDU pur bedeutet, dass wir unsere Kraft aus allen drei Wurzeln ziehen, die alle drei im gemeinsamen Boden wachsen, der aus unserem Bekenntnis zum christlichen Menschenbild besteht. Dabei müssen wir aber natürlich auch schauen, was konservativ heute bedeutet. Ein Konservativer steht für ein Denken des Uns. Er spielt Zukunft und Vergangenheit nicht gegeneinander aus, sondern denkt es zusammen. Und dieses Denken des Uns macht auch die CDU aus. Wir spielen nicht oben gegen unten aus. Wir spielen nicht die Bewahrung der Schöpfung und wirtschaftlichen Erfolg gegeneinander aus. Wir spielen nicht Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber aus. Wir spielen nicht die klassische Industrie gegen Start-ups aus. Wir denken das alles zusammen. Anderseits braucht es eine Neubestimmung dessen, was in Zukunft zusammenzudenken ist. Also auch hier: Ein Denken des Uns und nicht des Entweder-oder.
Glaubt man den Hinweisen zum Jahreswechsel, dann wird die Wirtschaft in schwieriges Fahrwasser kommen. Dabei melden sich immer mehr Stimmen, die beklagen, Deutschland drohe in wichtigen Zukunftsfeldern den Anschluss zu verpassen. Ist das eher pessimistische Schwarzmalerei oder zutreffende Bestandsaufnahme?
Zunächst einmal: Gemessen an den Entwicklungen und Debatten in Europa und darüber hinaus ist Deutschland nach wie vor ein stabiles Land mit einem funktionierenden Gemeinwesen, politischer Stabilität und Wohlstand, der von einem anhaltenden Wirtschaftswachstum und einer guten Verfassung des Arbeitsmarkts getragen ist. Das ist alles andere als selbstverständlich. Aber natürlich spüren wir, dass Wachstum und Wohlstand in die Jahre gekommen sind. Und wir sehen, dass Deutschland bei zentralen Zukunftsfeldern nicht ganz vorne mit dabei ist. Es ist auch wahr, dass wir zu viel Bürokratie haben und deshalb etwa die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu lange dauern.
Deshalb kann es keinen Zweifel daran geben, dass wir angesichts dieser und anderer Entwicklung Deutschlands wirtschaftliche Stärke und Arbeitsplätze neu sichern müssen. Wir haben uns in der CDU darauf verständigt, dass wir die wirtschaftlichen Grundlagen unseres Wohlstands zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit in diesem Jahr machen.
Der Tonfall der politischen Auseinandersetzung nimmt zunehmend an Schärfe zu. Das Vertrauen in „die Wirtschaft" ist, Stichwort Diesel-Skandal, nachhaltig gestört. Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel verstärken Verunsicherungen. Wie soll es bei dieser gesellschaftlichen Situation gelingen, politisches Vertrauen zurückzugewinnen?
Es ist wie bei einem Auto. Je schneller und dynamischer man eine Kurve nehmen will, desto mehr muss man sich auf die Sicherheit des Autos verlassen können. In der Tat sind Stabilität und Zusammenhalt angesichts rasanter Veränderungen wichtiger denn je. Und da spielt Vertrauen natürlich eine große Rolle – Vertrauen in staatliche Institutionen, Vertrauen in Politik, Vertrauen in Unternehmen, selbstverständlich auch Vertrauen in Medien. Deshalb sind alle in der Pflicht, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und durch ihr Wirken keinen Anlass zu geben, Vertrauen zu zerstören. Das gilt für die Automobilindustrie, das gilt für die großen Internetgiganten und ihren Umgang mit unseren Daten, das gilt für die Berichterstattung in den Medien, und das gilt zweifelsohne auch für Parteien und Politik. Vertrauen entsteht durch Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit im Handeln und in der Kommunikation. Vertrauen entsteht vor allem aber auch als Zutrauen in eigene Handlungsfähigkeit. Das ist das, was mich leitet bei meiner Arbeit als Vorsitzende der CDU.