Der große Haushaltsstreit mit der EU gehörte zur Strategie der Regierungskoalition. Für Superminister Luigi Di Maio ging es dabei auch darum, Wahlversprechen seiner populistischen „Fünf Sterne" umzusetzen. Für die Finanzprobleme des Landes ist das Gebahren früherer Regierungen mitverantwortlich.
Als Luigi Di Maio im vergangenen November den Verbleib Italiens in der Eurozone „garantiert" hatte, war das durchaus bemerkenswert. Schließlich sind die Euro-kritischen Aussagen von ihm und vor allem dem Gründer der „Fünf Sterne", Beppe Grillo, aus Wahlkampfzeiten noch recht frisch im Ohr. Wie tief aber bei dem 32-jährigen Superminister das Unbehagen am Euro sitzt, wurde in der Auseinandersetzung mit Frankreich überdeutlich.
Von der Polemik abgesehen, Frankreich trage mit Schuld an der Flüchtlingskrise, geht es in der Sache darum, dass der „afrikanische Franc", CFA, in dessen Währungsraum 15 afrikanische Staaten teilnehmen, an den Euro gekoppelt und nach Ansicht vieler Kritiker damit überbewertet ist. Umstritten ist, wie schädlich diese Überbewertung ist, aber die gleiche Argumentation im Blick auf das eigene Land ist auch von italienischen Euro-Kritikern zu hören.
Die Konfrontation mit der EU-Kommission, deren Aufgabe es ist, als „Hüter der Verträge" auf die Euro-Regeln zu achten, war von Anfang an einkalkuliert. Die Verträge verlangen, die Staatsverschuldung zu begrenzen, eigentlich auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Italiens Verschuldung liegt mehr als doppelt so hoch, und das schon seit Jahrzehnten. Die neue Regierung wollte nun doch mehr Geld ausgeben, als die – abgewählte – Vorgängerregierung mit Brüssel vereinbart hatte: Ein Defizit von 2,4 statt der vereinbarten 0,8 Prozent. Am Ende des Streits steht ein offensichtlich absurder Kompromiss von 2,04 Prozent. Nicht einmal die Ziffer vor dem Komma ist von einer Regierung sicher zu steuern, die Festlegung auf eine zweite Stelle nach dem Komma ist schlicht ein Witz. Aber die EU-Kommission hatte ein Machtwort gesprochen und zum ersten Mal ihr neues Vetorecht in der Haushaltsplanung eingesetzt. Was wiederum Innenminister Matteo Salvini auf den Plan rief, der sich für eine Abschaffung dieses Veto-Rechts aussprach.
Besser als Spanien und Frankreich
Der Konflikt befeuerte das Vorurteil, Italien habe seine Staatsfinanzen nicht im Griff. Obwohl weit verbreitet, entspricht das nicht der Wirklichkeit. Italien hat kein Problem mit dem Staatshaushalt. „Im Gegensatz zu dem allgemeinen Bild, das oft von Italien in nordeuropäischen Ländern gemalt wird, geht Italien mit Staatsgeld nicht verschwenderisch um", schreibt Sergio Cesaratto von der Universität Siena in einem Beitrag für „Intereconomics". „Italien hat seit 1992 Primärüberschüsse im Staatshaushalt" – wenn man die Zinszahlungen weglässt. „Damit ist Italien nur mit Deutschland zu vergleichen." Italien geht mit seiner Staatskasse deutlich vorsichtiger um als etwa Frankreich oder Spanien.
Das Problem sind die Zinsen. Italien zahlte im vergangenen Jahr 64,6 Milliarden Euro an Zinsen, doppelt so viel wie Deutschland mit seinen 31 Milliarden.
Italien leidet unter den Schulden, die Regierungen in den 80er- und 90er-Jahren aufgehäuft haben und baut diese tatsächlich seit vielen Jahren langsam ab. Mit 2323,6 Milliarden Euro ist der italienische Schuldenberg absolut gesehen zwar noch immer der höchste in Europa, höher als der Frankreichs und Deutschlands. Die Quote von 133 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung, ist aber seit Jahren stabil und sinkt leicht. Die Regierung konnte die Zeit der niedrigen Zinsen nutzen, um die Belastung zu senken.
„Der eigentliche Konflikt Roms besteht nicht mit Brüssel, sondern mit den Finanzmärkten", sagt Jens Südekum von der Uni Düsseldorf. Entscheidend für Rom sei nicht Brüssel, sondern die sogenannten Spreads auf den Kapitalmärkten. Damit ist der Abstand zwischen den Renditen der italienischen und den deutschen Staatsanleihen gemeint. Dieser Abstand darf nicht zu hoch werden, sonst werden die Anleger nervös, könnten ihr Geld abziehen und zum Beispiel in deutsche Papiere anlegen. Das tatsächlich größere Problem sind die Banken, aber auch da ist die Lage nicht so schlecht wie oft behauptet. Zwar ist mit der Bank Carige vor Kurzem eine Bank von der EZB unter Zwangsverwaltung gestellt worden. Die Krisenbank Monte die Paschi war schon 2016 verstaatlicht worden und muss sich nun verkleinern. Die Banken bereiten Sorge wegen ihren hohen Bergen an Krediten, bei denen die Rückzahlung der Schuldner stockt. Sie leiden darunter, dass viele Kunden ihre Kredite nicht mehr pünktlich bedienen können. Der Berg dieser „Problemkredite" lag zuletzt bei 123 Milliarden Euro, immerhin deutlich kleiner als 2017 mit damals über 200 Milliarden.
Wirtschaft ankurbeln und Chancen für Jüngere schaffen
Das eigentliche Problem mit Italiens Wirtschaft ist schlicht, dass sie seit vielen Jahren kaum noch wächst, insbesondere nicht mehr seit der großen Krise 2008. Das Ziel der neuen Regierung, die Wirtschaft anzukurbeln, steht im Einklang mit Fachleuten.
Nach dem Kompromiss mit der EU-Kommission über den Staatshaushalt hat die Regierung nun die Reformvorhaben bei der Einführung eines Grundeinkommens sowie der Rentenreform beschlossen. Das Grundeinkommen soll monatlich bis zu 780 Euro betragen und bis zu fünf Millionen Menschen helfen können, sagt Di Maio. Die Rentenreform soll faktisch das Renteneintrittsalter senken. Nach einer interessanten Regel mit dem Namen „Quote 100" soll man in Rente gehen können, wenn man bei der Summe aus Lebensjahren plus Beitragsjahre 100 erhält. So soll ein Anreiz geschaffen werden, in den Ruhestand zu gehen, um jüngeren Platz zu machen. Allerdings sind die Renten in Italien im Durchschnitt recht niedrig, so dass Arbeiten bis 70 oder länger durchaus üblich ist.
Mit der Neuregelung will die Regierung vor allem Jüngeren eine Chance auf dem Arbeitsmarkt erhöhen, denn die Arbeitslosenquote unter den Jüngeren ist noch immer unerträglich hoch. Einige Ökonomen allerdings kritisieren, dass von diesen Reformen keine Wachstumsimpulse ausgehen.
Die aktuelle Lage sieht nicht berauschend gut aus: Im dritten Quartal sank die Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent, ähnlich wie in Deutschland. Das muss nichts heißen, aber Dynamik sieht anders aus. Bislang jedenfalls hat die Regierung keinen Aufschwung erzeugen können.