Die Sicherheit ist eine der primären Aufgaben des Staates, sagt Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei GdP. Um mit Kriminellen mithalten zu können, braucht die Polizei mehr Befugnisse. Aber auch mehr Einheit in den Länder-Gesetzen, damit kein sicherheitspolitischer Flickenteppich entsteht.
Herr Jendro, Bayern und Nordrhein-Westfalen haben ein neues Polizeigesetz bekommen, das den Beamten mehr Rechte einräumt. Auch in anderen Bundesländern wird aktuell darüber diskutiert. Braucht Berlin ebenfalls ein schärferes Polizeigesetz?
Zumindest ein zeitgemäßes – denn es gibt Entwicklungen in unserem Land und auch global, die heute ganz andere polizeiliche Maßnahmen erfordern als noch vor einigen Jahrzehnten. Deswegen fordert auch die Gewerkschaft der Polizei eine Novellierung des ASOG, des „Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes", wie es offiziell heißt.
Wo gibt es den größten Handlungsbedarf?
Berlin ist eines der letzten Bundesländer, in denen der finale Rettungsschuss gesetzlich nicht klar geregelt ist. Dieser wäre im Fall einer terroristischen Bedrohung letztlich das Mittel, um den Täter auszuschalten. Damit überlassen wir den einzelnen Kollegen die Entscheidung, wie sie handeln – und damit auch das Risiko, dass sie sich falsch entscheiden und dafür haften müssen. Das schafft eine Rechtsunsicherheit. Es ist sicher nicht von Vorteil, wenn ein Kollege den Abzug betätigen sollte, um andere zu schützen, aber aus Unsicherheit zögert, das zu tun. Ein weiterer wesentlicher Aspekt sind die sogenannten Body-Cams, also von den Kollegen sichtbar getragene Videokameras. Diverse Testläufe in anderen Bundesländern haben gezeigt, dass die Kameras durchaus auch einen präventiven Charakter haben, weil sie von einer Straftat abschrecken. Etwa von einem Angriff auf Polizisten, wie er in Berlin täglich 18-mal passiert. Bislang gibt es nur die Möglichkeit, aus dem Auto heraus zu filmen, was aber nicht praktikabel ist. Man stelle sich vor, die Kollegen machen eine Verkehrskontrolle und die Lage eskaliert plötzlich – dann muss man erst zurück zum Fahrzeug und dort auf den Kopf drücken. Wir kämpfen seit Jahren für den Einsatz von Body-Cams und die aktuelle Regierungskoalition hat im Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass es auch in Berlin einen Probelauf geben soll. Bislang fehlt dafür aber noch die Rechtsgrundlage.
Ist denn der Einsatz von Body-Cams inzwischen weitgehend akzeptiert?
Es gibt durchaus ein paar strittige Punkte. Zum Beispiel: Was ist mit Tonaufnahmen – da gelten noch einmal ganz andere Regeln, was den Datenschutz angeht. Und wie ist es in Wohnungen, darf die Kamera dort ebenfalls mitlaufen? Das muss klar geregelt werden. Der dritte Punkt sind weitere Befugnisse bei der Telekommunikationsüberwachung und der polizeiliche Zugriff auf Messenger-Dienste. Wir sehen, dass Kriminelle vermehrt über solche Dienste und soziale Medien kommunizieren. Es geht darum, an die Daten zu kommen, bevor sie verschlüsselt werden. Ich weiß, dass da schnell der Eindruck eines gläsernen Bürgers entstehen kann, aber die meisten Daten interessieren niemanden. Der Staat hat kein Interesse daran, unbescholtene Bürger auszuleuchten.
Die Linke als Regierungspartei ist gegen eine Verschärfung des ASOG und insbesondere gegen die „immer umfassenderen Überwachungskompetenzen in allen Lebensbereichen" oder auch gegen mehr Videoüberwachung …
Ich finde die ganze Diskussion sehr eigenartig. Jeder pocht heutzutage auf seine Privatsphäre, stellt aber selbst persönliche Daten ins Internet. Und wir freuen uns als Stadt doch auch immer, wenn Videobilder dazu führen, dass jemand, der ein Gewaltverbrechen begangen hat, festgenommen wird. Die Aufklärungsquote nach der Veröffentlichung von Bildern ist enorm. Es ist doch ein Armutszeugnis, wenn wir nach einem terroristischen Anschlag wie am Breitscheidplatz erst die Bürger fragen müssen, ob sie uns Handyaufnahmen zur Verfügung stellen, weil die Sicherheitsbehörden selbst keine Bilder haben.
Sie können die Bedenken also nicht nachvollziehen?
Es ist immer ein schmaler Grat zwischen dem Wunsch nach mehr Sicherheit und der Wahrung der Freiheit des Einzelnen. Man muss bei allen Gesetzesverschärfungen den Bürger an die Hand nehmen. Durch die polarisierende Diskussion gerade in Bayern ist ja teilweise der Eindruck entstanden, Polizisten würden bald mit Handgranaten durch die Straßen laufen. Als GdP stehen wir nach wie vor für das Prinzip einer Bürgerpolizei. Wir können stolz darauf sein, dass wir in Deutschland und speziell in Berlin eine Polizei haben, die nahbar ist und die eben nicht den ganzen Tag mit Sturmgewehren herumläuft. Das darf aber eben auch nicht als Schwäche ausgelegt werden. Uns wird seit Jahren versprochen, dass neue Ermächtigungsgrundlagen geschaffen werden – auch von dieser Koalition. Ich frage mich wirklich, wie lange die Kollegen noch darauf warten sollen. Die Parteien sollten nicht nur an ihr Wählerklientel denken, sondern das tun, wofür sie gewählt wurden: nämlich die Sicherheit in dieser Stadt zu gewährleisten. Das ist eines der primären Aufgabenfelder eines Staates. Ich finde es außerdem falsch, dass man die GdP mit ihrer Fachexpertise bei der Debatte nicht mit ins Boot geholt hat. Wir haben den Entwurf des Innensenators jedenfalls nicht vorgelegt bekommen.
Würde eine Gesetzesnovelle mit weiteren Befugnissen nicht auch eine höhere Belastung bedeuten?
Ich sehe nicht, dass durch eventuelle Veränderungen im ASOG Maßnahmen hinzukommen, die personell nicht zu stemmen wären. Die Hauptstadtpolizei muss ohnehin ständig priorisieren. Sinnvolle Ermächtigungsgrundlagen können die Arbeit effektiver machen.
Würden dadurch kleinere Vergehen wie Taschendiebstahl nicht noch mehr als jetzt schon unter den Tisch fallen?
Die Polizei unterliegt dem Legalitätsprinzip, und es ist nicht so, dass eine Straftat überhaupt nicht verfolgt wird. Allerdings muss eben immer abgewogen werden, ob sich der Aufwand lohnt und ob es einen Ermittlungsansatz gibt. Momentan fehlt es aber eher an den Ermächtigungsgrundlagen, um Schwerstkriminellen, die für eine Reihe von Straftaten verantwortlich sind, das Handwerk zu legen. Wer ist denn für viele Wohnungs- oder Kellereinbrüche oder Taschendiebstähle verantwortlich? Das sind häufig eben nicht Einzeltäter, sondern organisierte Banden, gegen die man tatkräftig ermitteln muss, um Beweise zusammenzutragen und so Verurteilungen zu ermöglichen.
Bräuchte es dafür nicht eher personelle und strukturelle Veränderungen?
Ein Gesetz allein reicht sicher nicht, um die Kriminalität in der Stadt besser zu bekämpfen. Am Ende scheitert es immer am fehlenden Personal. Da muss man auch einmal prüfen, ob man die Arbeitsprozesse optimieren kann. Viele unserer Vollzugsbeamten verbringen etliche Stunden im Büro, weil sie noch Berichte schreiben müssen. Vielleicht wären Schreibdienste die bessere Lösung, auch technische Lösungen können Arbeitsabläufe beschleunigen. Klar ist, dass uns jeder neue Kollege lieber ist als jede Videokamera. Ebenso klar ist aber leider auch, dass weder SPD, Grüne und Linke noch irgendeine andere Partei in dieser Stadt so viele Polizisten einstellen können, wie wir eigentlich bräuchten. Eine hundertprozentige Sicherheit wird es auch mit einer Revision des ASOG nicht geben. Und hinzu kommt ja noch ein weiteres Problem …
… nämlich welches?
Wir haben in Deutschland 17 Polizeigesetze – eines für jedes Bundesland und eines im Bund, eine Folge des Föderalismus. Polizei und innere Sicherheit sind in Deutschland Ländersache. Aber damit bauen wir uns selbst Barrieren auf, die bei der Verbrechensbekämpfung extrem hinderlich sind. Wir haben einen sicherheitspolitischen Flickenteppich, der oftmals auch an der Kommunikation untereinander scheitert. Deshalb fordern wir seit Langem ein bundeseinheitliches Musterpolizeigesetz. Aber wenn ich sehe, dass gerade jedes Bundesland sein Polizeigesetz auf seine Weise novelliert, bin ich da eher skeptisch, was eine Umsetzung angeht.