Christoph Burkhardt ist Innovationspsychologe und hilft Unternehmen dabei, Ideen zu entwickeln. Ein Gespräch über gute Ideen, die Arbeit der Zukunft und die Frage, was den Mensch zum Menschen macht.
Herr Burkhardt, Sie helfen Unternehmen dabei, Ideen zu entwickeln. Kommen Ideen nicht von ganz alleine, warum brauchen sie Ihre Unterstützung?
Wir alle sind trainiert, in gewohnten Bahnen zu denken. Wir wiederholen ähnliche Gedankengänge immer und immer wieder. Das sind Routinen, die wir nicht einfach ablegen können. Unternehmen sind zudem in Gefahr, im eigenen Saft zu schwimmen, also den Blick nach draußen zu vernachlässigen. Und selbst wenn der Blick nach draußen gelingt, reicht er häufig nur bis zur Konkurrenz. Was dann typischerweise passiert, ist der Fokus auf alles, was die anderen machen. Wir versuchen die gleichen Technologien, die gleichen Strategien und ähnliche Produkte auf den Weg zu bringen wie die anderen in unserem Markt. Wenn das eine Weile läuft, besteht die Gefahr von Disruption von außen, also von jemandem, der nicht nach den Routine-Regeln spielt, sondern neue Regeln etabliert. Damit das nicht passiert, stellen mein Team und ich frühzeitig unangenehme Fragen, entwickeln mit Klienten ihre eigenen Disruptionen und helfen indirekt dabei, einen Kulturwandel hin zu einer effektiven Innovationskultur zu meistern.
Inwiefern ist es eine Frage der Psyche, ob Innovationen gelingen können?
Zukunftsfragen sind immer mit Unsicherheit behaftet. Wir wissen nicht genau, was da wirklich kommt. Wir wissen aber, dass nichts so bleibt, wie es ist. Besonders Technologien werden heute schneller ersetzt als je zuvor. Das bedeutet, dass wir uns in dem Moment, in dem wir eine Technologie endlich etabliert und verstanden haben, auch schon wieder von ihr verabschieden können. Das sorgt für Frustration, aber noch viel schlimmer, es sorgt für Angst. Und Angst ist ein diffuser Show-Stopper, ein Innovationskiller der besonderen Sorte. Unsicherheit und Angst gehören für Unternehmer zum Alltag. Aber heute müssen nahezu alle Entscheidungsträger in Unternehmen mit steigender Unsicherheit leben, und das bedeutet, sie müssen als Führungskräfte im Chaos bestehen. Und genau das ist der Grund, warum es den Blick auf Mindsets und kognitive Strategien braucht, um in Unternehmen wirklich Innovation als Ziel zu manifestieren.
Was unterscheidet denn eine gute von einer schlechten Idee?
Eine gute Idee ist adaptiv, ihre Zeit ist reif. Sie erreicht Product-Market-Fit, die Idee wird also in dem Moment vom Markt angenommen, in dem sie in den Markt eintritt. Anders gesagt: Die Nutzer einer Idee erkennen den Wert der Idee und nehmen sie an. So ist zum Beispiel der Selfie-Stick in den letzten zehn Jahren eine gute Idee gewesen, wird aber gerade von Selfie-Drohnen abgelöst. Auch vor der Zeit der Smartphones und Instagram war der Selfie-Stick keine gute Idee. Er hat ein Zeitfenster gefunden, in dem er Nutzen stiftet. Eine schlechte Idee ist es, Selfie-Sticks zu produzieren und zu glauben, dass diese als Technologie und Lösung für ein Problem bestehen werden. Kein Produkt und keine Technologie überleben auf Dauer. Dabei ist es auch egal, wie effizient sie optimiert wurden. Es ist eine schlechte Idee, für jede Produktkategorie auf Optimierung alleine zu setzen. Gute Ideen lassen sich nicht optimieren, die muss man entwickeln.
Wie kann ich lernen, mehr gute Ideen zu generieren?
Alles Trainingssache. Wir werden in der Schule und darüber hinaus trainiert, dass Aufgaben immer eine richtige Lösung haben, und die eine Lösung gilt es zu finden. Das ist in der Realität nicht so und für Innovation tödlich. Eine Frage hat in der Innovation tausend mögliche Antworten, die sich alle widersprechen können und trotzdem gleichzeitig gleich gut sind. Um zu trainieren, bessere Ideen zu generieren, muss ich trainieren, mehr unterschiedliche Antworten auf die gleiche Frage zu finden. Innovativ zu sein bedeutet ja auch immer im Vergleich zu anderen und die Antworten, die alle anderen auch auf meine Frage finden, sind per Definition nicht innovativ. Ich muss weiter denken als andere, mehr Lösungen in Betracht ziehen, außerhalb des Gewohnten suchen und mich nicht abhalten lassen, auch nach blödsinnigen Ideen nicht die Suche abbrechen. Am Ende gewinnt, wer am weitesten gesucht hat. Fast immer.
Sie raten Ihren Klienten, ein Gespräch mit fünf Personen zu simulieren. Warum?
Ideen sind immer von einer Person für eine andere Person geschaffen. Wir betreiben Innovation immer für Menschen, und in die müssen wir uns hineinversetzen. Es ist erstaunlich, wie viele Unternehmen behaupten, einen Kundenfokus zu haben und dann Produkte entwickeln, die die Kunden nie benutzen würden. Ich muss möglichst unterschiedliche Perspektiven an den Tisch bekommen, um viel zu verstehen darüber, was Kunden und Partner wirklich antreibt, was die wirklich brauchen, was sie eigentlich wollen und wo der tatsächliche Mehrwert meiner Produkte liegt. Dafür lohnen sich Simulationen. Wir haben oft jede Menge implizites Wissen über unsere Stakeholder, müssen es aber explizit machen, damit daraus echte Needs identifiziert werden können. Wenn ich mir ein Gespräch vorstelle, in dem sich meine Kunden und Partner unterhalten und Produkte entwickeln, lerne ich viel über deren Needs, auch wenn zunächst alles in meinem Kopf passiert.
Sie leben und arbeiten im Silicon Valley. Was lernen und tun Sie dort, was Sie in Deutschland so nicht könnten?
Das Silicon Valley kombiniert Spitzenforschung in Berkeley und Stanford mit risikofreudigen Kapitalgebern, gründerfreundlicher Infrastruktur und unbürokratischen Unternehmensgründungen. Kalifornien ist ein liberaler, offener Staat und schon immer von Einwanderern geformt. Fast die Hälfte aller Silicon-Valley-Bewohner ist nicht in den USA geboren. Deutschland ist schlicht nicht integrativ genug, um da mitzuhalten. Tatsächlich zeigt sich der größte Unterschied wohl in der Geschwindigkeit von technologiegetriebenen Innovationen. Während in Deutschland gerne entwickelt wird, bis Produkte gut genug für den Markt sind, wird in der Bay Area getestet, was noch gar nicht fertig ist, oft auch direkt an Kunden. Das kann man gut finden oder auch nicht, aber der Effekt ist, dass Deutschland oft zu langsam ist in der Entwicklung und nicht experimentierfreudig, was neue Produkte angeht.
Was von dem, das dort gerade entwickelt wird, wird die Welt am meisten bewegen?
Ohne Zweifel ist Künstliche Intelligenz (KI) ein ähnlich großer Treiber von Veränderung im Business wie es das Internet war. Diese Technologie wird auf den Kopf stellen, wie wir arbeiten und leben. Sie tut das in San Francisco bereits heute. Menschen werden vollkommen neue Aufgaben bekommen, da in nahezu allen Berufsbildern Aufgaben automatisiert werden, die wir heute noch ganz natürlich machen. Gleichzeitig sorgt KI eben für autonome Fahrzeuge und ganz generell für Autonomie. Darauf sind viele Geschäftsmodelle traditioneller Unternehmen heute noch überhaupt nicht vorbereitet. Was ebenfalls zum Problem wird, ist, dass fast alle die Geschwindigkeit der Technologie unterschätzen. Die Verbreitung von KI geht um ein vielfaches schneller als die Ausbreitung des Internets.
Für wen ist Künstliche Intelligenz vor allem von Nutzen? Und was muss passieren, damit sie niemand gegen uns nutzt?
Alles, was sich automatisieren lässt, werden wir automatisieren. Die meisten Felder, in denen KI heute und in den nächsten Jahren aktiv sein wird, sind Fälle von Machine Learning, also recht einfacher Kategorisierung und Vorhersage. Dabei ist KI nützlich für alle in Marketing und Vertrieb. Kundenbedürfnisse lassen sich vorhersagen. Gleichzeitig ermöglicht KI die Segmentierung von Kundengruppen bis auf das Individuum. Warum sollten zwei Menschen mit unterschiedlichen Interessen auf der Amazon-Startseite die gleichen Dinge vorfinden? KI macht es möglich, dass wir sehen, was uns interessiert. Und genau da besteht die größte Gefahr. Wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht in Informationssilos verschwinden und noch immer genug Zufall in den Impulsen unserer Welt existiert. Wir müssen uns mit Dingen auseinandersetzen dürfen, die nicht auf unseren Präferenzen basieren. Die perfekte Vorhersage durch KI ist gleichzeitig die schlechteste für uns. Netflix muss mir ab und zu Filme vorschlagen, die nicht meinem Profil entsprechen. Nur so halten wir uns als Kollektiv zusammen.
Warum geht vom Einsatz der Robotik eine solche gesellschaftliche Umwälzung aus?
Automatisierung ersetzt Menschen, erst in physischen Tätigkeiten, dann in kognitiven. Die Service-Industrie sieht sich schon heute massivem Einsatz von Robotik und KI ausgesetzt. Roboter werden nicht müde, arbeiten 24/7, sind immer freundlich und wissen mehr als wir. Es gibt einfach unendlich viele Einsatzgebiete, in denen genau das ausschlaggebend ist. Wer Roboter besitzt, besitzt eben nicht nur Maschinen, sondern so eine Art moderne Sklaven. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir eine dramatische Wende in der Bedeutung von Arbeit erleben, denn als Teil unserer Identität ist es wichtig für uns, beizutragen. Was, wenn wir das aber nicht mehr müssen? Was, wenn es unsere Arbeit für unser Überleben gar nicht mehr braucht? Für eine Gesellschaft ist Bedeutungslosigkeit die größte Bedrohung.
Welche Szenarien sind denkbar?
Wir könnten Roboter hoch versteuern, wir könnten sie wie Personen behandeln (etwa so wie wir es mit juristischen Personen tun) oder wir könnten Arbeit an sich abschaffen (durch Grundeinkommen für alle). Es ist einiges denkbar. Sehr unwahrscheinlich ist, dass sich die Wende aufhalten lässt. Und noch unwahrscheinlicher ist, dass Maschinen die Herrschaft über uns einnehmen. Das wahrscheinlichstes Szenario ist meiner Einschätzung nach, dass wir massiv mit KIs kollaborieren werden und uns dramatisch fokussieren werden auf Fähigkeiten, die nur wir haben. Also all das, was sich nicht automatisieren lässt.
Wovon hängt der Ausgang genau ab?
Die Menschen, die mit KI kollaborieren und das früh lernen, werden einen dramatischen Vorsprung haben. Wir sehen zum Beispiel schon sehr deutlich, dass die Verbreitung und Nutzung von Sprachsystemen wie Alexa von Amazon oder Google Home in den USA viel schneller geht als in Deutschland, mit einem wichtigen Effekt: Alexa spricht viel besser Englisch als Deutsch. Sie kann also auf Englisch schon in wesentlich mehr Kontexten sinnvoll eingesetzt werden, während das auf Deutsch aufgrund mangelnden Trainings einfach nicht funktioniert. Da sehe ich durchaus eine Gefahr. Wir müssen uns mit den Technologien auseinandersetzen, ob wir sie gut finden oder nicht. Ich mag auch keine E-Mails, aber niemand kann heute sagen, dass er auch ohne E-Mail zurechtkommt. So wird das bald mit KI passieren.
Es läuft gesellschaftlich, politisch und ökonomisch also auf die Frage raus: Was macht den Menschen zum Menschen? Was unterscheidet uns noch, wenn Roboter auch unsere Arbeit übernehmen können, wenn künstliche Intelligenz intelligenter ist als wir?
Ohne Zweifel wird KI intelligenter sein als wir. Sie ist es in vielen Fällen ja schon. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass wir glauben, es sei Intelligenz, die den Unterschied macht. Ist es nicht. Menschen erleben ihre Welt und nehmen sie nicht nur wahr. KI kann nachahmen, wie es ist, Mensch zu sein, und wir werden darauf reinfallen, aber KI kann nicht erleben, wie es ist, Mensch zu sein. Wie es sich anfühlt, in einen Apfel zu beißen oder Ski zu fahren, wie es sich anfühlt, mit einem fremden Menschen zum ersten Mal zu lachen oder wie es ist, in einem Geschäft bedient zu werden, all das können wir einordnen, verstehen, in anderen Menschen erkennen und als Erlebnis auch für andere produzieren. Unsere Aufgabe wird in Zukunft sein, die richtigen Fragen zu stellen. KI wird bessere Antworten haben. Was uns aber als Menschen auszeichnet, ist unsere Fähigkeit, Neues zu ergründen, mit Neugier aus unserer Komfortzone zu treten, also das zu erleben, für das wir nicht trainiert wurden. Das wird bei Maschinen anders laufen. Wir sind weit entfernt davon, generelle KI zu entwickeln. Alle Systeme, die heute existieren, sind in einem klaren Rahmen aktiv. KI wird nicht Ski fahren gehen. Aber sie wird möglicherweise dafür sorgen, dass wir morgen noch Schnee haben.
Was glauben Sie, wird die Menschheit brauchen, damit ein gutes (Über)leben tatsächlich gelingen kann?
Mehr als alles andere brauchen wir Mut. Und Mut bedeutet nicht, ohne Angst in die Zukunft zu gehen und naiv alles mitzumachen, was da kommt. Mut bedeutet, trotz der Bedenken und Sorgen die wir haben, mitzugestalten, Technologien zu verstehen, gute Fragen zu stellen und den nächsten Schritt zu gehen. Wenn es eine Lektion aus unserer Innovationsgeschichte zu lernen gibt, dann, dass es immer die Menschen sind, die entschieden haben, aktiv zu gestalten und Neues zu entwickeln, die unsere Entwicklung vorangetrieben haben. Verloren gehen alle, die ihre Zeit damit verbringen, zu versuchen, Entwicklungen aufzuhalten. So hart das klingen mag: Entwicklungen wie wir sie gerade erleben, vom Internet bis zur KI, lassen sich nicht aufhalten, aber sie lassen sich gestalten. Das ist unsere Aufgabe und die sollten wir niemand anderem überlassen.