Eine eigene Sprache, eine eigene Kultur: Etwa die Hälfte der Lausitzer hat Wurzeln in der Volksgruppe der Wenden und Sorben. Seit vergangenem Herbst existiert mit dem Serbski Sejm auch ein eigenes Parlament. Sejm-Sprecher Hannes Wilhelm-Kell erklärt, worauf es der Initiative ankommt und ob sich der Fall Katalonien bald auf deutschem Boden wiederholt.
Herr Wilhelm-Kell, mit der Konstituierung des Serbski Sejm hat im November 2018 die erste gewählte Volksvertretung der Sorben und Wenden in der Lausitz die Arbeit aufgenommen. Aber warum brauchen Sie überhaupt ein eigenes Parlament?
Wir wollen keinen Staat im Staate bilden. Das Parlament ist der Ort, an dem Meinungsbildung nach demokratischen Prinzipien stattfinden kann. Zwar gab es bisher auch schon sorbische Beiräte in den beiden Landtagen von Sachsen und Brandenburg, doch diese konnten keine eigenen Entscheidungen treffen und waren auch nicht vetoberechtigt. Somit wurden sämtliche Entscheidungen, die das sorbische Volk betreffen, bislang von deutschen Institutionen getroffen. Die Möglichkeiten, über die Landesparlamente Einfluss zu nehmen, sind in der Vergangenheit kläglich gescheitert.
Wie läuft die Arbeit des Parlaments?
Als erstes muss ein Staatsvertrag zur Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgearbeitet werden, wie es zu Beispiel auch bei der Jüdischen Gemeinde in Deutschland geschehen ist. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir künftig bestimmte Aufgaben im Kultur- und Bildungsbereich selbst übernehmen. Vorbild ist das Parlament der deutschen Minderheit in Belgien, einer ähnlich großen Gruppe, die mittlerweile zahlreiche Angelegenheiten eigenständig regelt. Nach der Konstituierung des Serbski Sejm wurden im Januar die ersten Ausschüsse gebildet. Mitglieder sind dort nicht nur die gewählten Parlamentarier, sondern auch weitere engagierte Bürger aus der Region.
Welche Voraussetzungen muss man dafür mitbringen?
Ein Bekenntnis zum Volk der Sorben und Wenden sollte schon gegeben sein. Ethnische Minderheiten werden in Deutschland nicht offiziell erfasst – als Sorbe gilt deshalb, wer sich dazu bekennt. Im Übrigen sitzen im Sejm zwar auch Abgeordnete aus den etablierten Parteien, aber es gibt keine Fraktionen. Es gilt das freie Mandat. Allerdings bemühen wir uns um eine paritätische Interessensvertretung zwischen der Nieder- und Oberlausitz, also zwischen Brandenburg und Sachsen.
Erschwert es die parlamentarische Arbeit, dass sich das Gebiet der Sorben und Wenden über zwei Bundesländer erstreckt?
In gewisser Weise schon, weil alle Verhandlungen doppelt beziehungsweise sogar dreifach geführt werden müssen, weil ja darüber hinaus auch noch der Bund betroffen ist.
Was sind die Hauptthemen des sorbischen Parlaments?
Ganz akut geht es vor allem darum, wie wir die sorbische Sprache revitalisieren können. Erst kürzlich hat eine Evaluation auf brandenburgischer Seite ergeben, dass die bilingualen Sprachkenntnisse im Kindergartenalter noch recht hoch sind, danach aber rapide abnehmen, auch weil es zu wenige Lehrkräfte gibt. In diesem Bereich sehen wir massiven Handlungsbedarf. Wir wollen wieder hin zu einem Selbstverständnis der Zweisprachigkeit. Daneben sind es vor allem wirtschaftliche Themen, mit denen sich das Parlament beschäftigt. Die Lausitz steht vor einem Strukturwandel, und Sorben und Wenden können dazu einen entscheidenden Beitrag leisten. Eine Studie in Schleswig-Holstein hat herausgefunden, dass die dortige dänische Minderheit aufgrund ihrer Zweisprachigkeit und der damit verbundenen sozialen Kompetenzen einen positiven Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung hat. Das ist ein starkes Argument für einen größeren Einfluss von Sorben und Wenden.
Und wer finanziert all diese Dinge?
Ich will noch einmal auf das Beispiel Belgien zurückkommen. Dort verfügt das Parlament der deutschen Minderheit über einen jährlichen Etat von 350 Millionen Euro. Das Geld stammt zum Großteil aus der Region selbst, es entspricht in etwa einem Viertel des dort erwirtschafteten Steuereinkommens. Wir streben ein ähnliches Modell an. Wir wollen nicht Anderen zusätzliche Kosten aufbürden. Vielmehr geht es um eine Umverteilung von Aufgaben und deren Finanzierung.
Die Zahl der Sorben und Wenden in der Lausitz wird auf rund 60.000 geschätzt. An der Wahl im vergangenen Herbst haben jedoch nur 1.282 Personen teilgenommen. Ist der Sejm damit überhaupt legitimiert?
Ja. Die Wahlen wurden überall publik gemacht, und es hätte sich auch jeder beteiligen können, der sich als Sorbe bekennt. Es wurde niemand ausgeschlossen. Aber so etwas muss erst einmal wachsen und in den Köpfen der Menschen ankommen. Wenn der Sejm in drei, vier oder fünf Jahren neu gewählt wird – die Länge der ersten Legislaturperiode ist nicht konkret festgelegt; sie endet, wenn der Staatsvertrag ausgehandelt ist –, werden sich bestimmt schon deutlich mehr Wähler beteiligen. Das Potenzial ist riesig: Rund 450.000 Lausitzer haben in irgendeiner Form sorbische Wurzeln, das entspricht der Hälfte der Bevölkerung. Und wir sehen durchaus den Trend, sich wieder stärker zu diesen Wurzeln zu bekennen.
Die Domowina, der Dachverband der sorbischen Vereine, erkennt den Sejm nicht als Volksvertretung an, sondern spricht von einer privatrechtlichen Initiative.
Das stimmt einerseits sogar, solange die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts noch nicht erfolgt ist. Andererseits hat die Wahl unter internationaler Beobachtung gestanden und wurde von den Beobachtern nach internationalen Standards geprüft und mit einem entsprechenden Zeugnis ausgestattet. Die meisten Parlamente sind durch private Initiativen oder Bürgerbewegungen entstanden. So ist nun einmal der Lauf der Dinge, deshalb halte ich das für ein schwaches Argument. Wir sind immer wieder auf die Domowina zugegangen, um sie mit ins Boot zu holen, was allerdings seit Jahren abgelehnt wird. Ich denke aber, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie endlich erkennen, dass wir gemeinsam noch viel mehr erreichen können.
Es gibt ja durchaus schon einige sorbische Institutionen: Neben der Domowina etwa die Stiftung für das sorbische Volk oder das wissenschaftliche Sorbische Institut. Warum reicht Ihnen das nicht?
Weil all diese Einrichtungen die bestehende Abhängigkeit von deutschen Institutionen widerspiegeln. Der Name sagt es schon: Es ist die Stiftung für das sorbische Volk, nicht die des sorbischen Volkes. Der Serbski Sejm steht deshalb für die Selbstbestimmungsrechte, die laut internationalem Völkerrecht jedem Volk zustehen. Wohlgemerkt ohne separatistische Ambitionen.
Es wird also keinen Fall wie in Katalonien geben, das versucht hat, sich von Spanien loszulösen?
Definitiv nicht. Wir wollen keine eigene Polizei oder ein eigenes Gesundheitssystem; es geht uns lediglich um die Kultur- und Bildungsautonomie. Dass wir über diese Dinge selbst entscheiden dürfen, dass die Mehrheit also einer Minderheit diese Rechte einräumt: Das ist für mich Demokratie in ihrer höchsten Form.