Jens Lehmann ist Co-Trainer des FC Augsburg. Das überrascht. Denn der frühere Nationaltorhüter wollte eigentlich lieber Chefcoach sein. Auch Oliver Kahn verfolgt das sehr gespannt.
Alte Zitate holen einen in der heutigen Zeit immer wieder ein. Diese Erfahrung musste nun auch Jens Lehmann bei seinem Amtsantritt als Co-Trainer des Bundesligisten FC Augsburg machen. So erinnerte sich der in Augsburg sehr gut informierte Journalist Günter Klein: „Jens Lehmann sagte vor Jahren in einer Sky-Runde, dass er nicht unter einem Cheftrainer arbeiten würde, der keinen großen Namen hat: ‚Ich würde alle Aufmerksamkeit auf mich ziehen, das wäre nicht gut.‘ Nur Kategorie Heynckes ginge."
Das war offenbar 2013. Das Jahr, in dem der langjährige Nationaltorhüter seinen Trainerschein machte. Seitdem hofft er auf einen Einstieg in den Profi-Fußball als Coach. Doch wie vielen großen Namen seiner Spieler-Generation – Stefan Effenberg oder auch Mehmet Scholl seien nur beispielhaft genannt – wollte es ihm nicht so recht gelingen. Die Cheftrainer-Posten in der Bundesliga ergatterten stattdessen ehemalige Zweitliga-Spieler wie Markus Weinzierl. Oder gar Jungspunde, die nicht einmal Profis waren: Julian Nagelsmann (31) in Hoffenheim, Domenico Tedesco (33) auf Schalke, Florian Kohfeldt (36) in Bremen – oder auch Manuel Baum (39) in Augsburg.
Ausgerechnet unter jenem Manuel Baum – der wie Lehmann Torhüter war, es unter anderem wegen nur 1,69 Meter Körpergröße aber nur in die Bayernliga schaffte – gibt Lehmann, der in diesem November 50 wird, nun den Assistenten und macht quasi seine Ausbildung. Okay, Lehmann war Profi bis zu seinem 41. Lebensjahr. Da hatten die Kollegen längst schon Nachwuchsteams gecoacht. Doch vier Jahre nach Erwerb seiner Lizenz hatte sich noch nichts Besonderes ergeben. Also rief Lehmann im April 2017 selbst bei Arsène Wenger an, jenem legendären Teammanager, mit dem er 2004 beim FC Arsenal ohne Niederlage Englischer Meister geworden war. „Ich wusste, dass er bei Arsenal etwas ändern müsse, darum habe ich ihn angesprochen", erklärte Lehmann offen in einem Interview mit der „Sport Bild" und ergänzte mit Blick auf den deutschen Markt: „Als ehemaliger Spieler ist es heute nicht so einfach, irgendwo anzufangen. Der Trend geht in Deutschland hin zu Trainern, die eigentlich vorher niemand gekannt hat, weil sie selber nie gespielt haben." Und sagte auch noch: „Mein Einstieg als Co-Trainer war in solch einer Konstellation nicht möglich."
Kein Angebot als Cheftrainer
Nun ging es offenbar. Denn Wenger, der Lehmann tatsächlich in seinen Trainerstab aufnahm, musste im vergangenen Sommer bei Arsenal gehen. Und Lehmann fühlte sich bereit für den nächsten Schritt. Cheftrainer sollte der eigentlich heißen. Doch da kam erst mal offenbar nix. Und dann kam das Angebot aus Augsburg von Manager Stefan Reuter, einem früheren Mitspieler Lehmanns in Dortmund. Das war immerhin ein Bundesliga-Job. Deshalb griff Lehmann zu. „Den Plan, irgendwann ins Trainergeschäft einzusteigen, hatte er schon länger", sagte sein einstiger Dauer-Rivale Oliver Kahn: „Und er ist ja so alt wie ich, also musste er sich langsam beeilen." Auch wenn er dafür viele alte Prinzipien über Bord werfen musste. Immer noch Assistent mit 49. Und dann bei einem dieser unbekannten Nicht-Ex-Profis, einem zehn Jahre jüngeren zudem.
Die Spekulationen schossen daraufhin natürlich aus dem Boden. Wie sehr würde der nach gutem Start mit Augsburg doch in die Abstiegszone abgerutschte Baum durch diese Personalie geschwächt? Wurde Lehmann sowieso nur als potenzieller Nachfolger „geparkt", der sich in aller Ruhe in den Verein einarbeiten kann? Und hatte er nicht von Anfang an den Plan, irgendwann Baums Nachfolger zu werden?
Reuter stellte sich diesen Gerüchten deutlich entgegen. „Es kann sein, dass Jens Lehmann in weiter Ferne Cheftrainer wird. Aber ich kann ausschließen, dass er Nachfolger von Manuel Baum wird." Das lässt erstaunlich wenig Spielraum zum Zurückrudern. Denn was, wenn Baum − der angeblich tatsächlich wackelt − bald entlassen wird? Wird Lehmann dann ein anderer Cheftrainer vor die Nase gesetzt? Doch Lehmann, das versichert Reuter, hat sich in seine Assistenten-Rolle gut eingefunden. „Er sagt ganz eindeutig: Ich komme als Neuling. Er ordnet sich total unter. Sein Ego wird ihm definitiv nicht im Weg stehen."
Auch Kahn verfolgt das Ganze sehr gespannt. „Ich weiß aus Erfahrung, dass Jens Lehmann als Nummer zwei ungemütlich sein kann und sich damit nicht zufrieden gibt", sagte er der „Sport Bild". Die Geschichte dahinter: Jahrelang war Kahn die unumstrittene Nummer eins in der Nationalmannschaft: der Kapitän und Titan. Ausgerechnet kurz vor der WM 2006 im eigenen Land verdrängte ihn aber Lehmann, der das Ganze immer als Konkurrenzkampf gesehen hatte. Das ist eigentlich auch der Unterschied zwischen Torhütern und Trainern. Bei den Keepern ist es klar, dass jeder die Nummer eins sein und spielen will. Dass er den Platzhalter zwar unterstützt, dabei aber auch immer unter Druck setzt. Bei den Trainern ist der Assistent per Definition ein Zuarbeiter.
Wie der Linienrichter bei den Schiedsrichtern gibt es Co-Trainer, für die diese Aufgabe eine Erfüllung ist. Roland Koch wurde bekannt als Dauer-Assistent von Christoph Daum, Michael Henke als der von Ottmar Hitzfeld. Beide waren bei Versuchen als Cheftrainer allenfalls bedingt erfolgreich. Heute gibt es treue Assistenten wie Frank Geideck, der seit 22 Jahren in Bielefeld und Mönchengladbach arbeitet. Oder wie Dirk Bremser, der ebenfalls in Gladbach assistiert, weil er Dieter Hecking seit 19 Jahren überall hin folgt. Oder wie Peter Herrmann, der gar seit 30 Jahren in Leverkusen, Nürnberg, Schalke, Hamburg und Düsseldorf tätig war und nun wieder beim FC Bayern ist. Diese Persönlichkeiten fühlen sich wohler in der zweiten Reihe. Die „Süddeutsche Zeitung" betitelte Herrmann als den „Schattenhelden des FC Bayern".
Per Definition ein Zuarbeiter
Doch Jens Lehmann ist alles andere als der geborene Schattenmann. Er will an die Front, will planen, gestalten, seine Meinung sagen. Nach kurzer Zeit bei Arsenal gestand er ein: „Worin ich mich in den ersten Monaten hier verbessern musste, war Diplomatie. In einem großen Stab muss man sehr behutsam sein. Als Spieler war Diplomatie für mich nie nötig und eher hinderlich, weil zu langsam." Doch sein Kreuz ist auch breit genug, um die entsprechende Kritik dafür abzufangen. So parierte er auch leicht schnippisch, aber doch recht unberührt, die Frage nach seiner alten Aussage, nur unter großen Trainern arbeiten zu wollen. „Das wird jetzt auch aus dem Zusammenhang gerissen", sagte er: „Ich habe das gesagt, weil es nicht viele geben wird, die mich nehmen." Dem FC Augsburg sei er „dankbar. Es ist mutig, dass man jemanden wie mich dazu nimmt, der eben diesen großen Namen hat. Aber viel mehr eben auch nicht, wenn man ehrlich ist."
Doch wieso tut Manuel Baum das? „Wir haben uns in einem Café getroffen und so lange über Fußball geredet, bis das Café zugemacht und uns rausgeschmissen hat", berichtete dieser, nachdem Reuter ihm von seinen Plänen erzählt und offenbar gebeten hatte, sich mal mit Lehmann auszutauschen: „Die Deckungsgleichheit in der Analyse war so, dass ich zu Stefan gesagt habe: ‚Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das hinkriegen würden.‘"
Und wie erwartet zog Lehmann auch gleich den Fokus auf sich. Was Baum in der Krise zumindest wohl auch nicht schlecht fand. Und dem FCA auch ganz gelegen kam, denn in den Wochen zuvor war eigentlich fast nur über Caiuby und Martin Hinteregger gesprochen worden. Der Brasilianer war einfach nicht aus seinem Heimaturlaub in der Winterpause wiedergekehrt und wurde suspendiert. Wie auch der inzwischen nach Frankfurt gewechselte österreichische Abwehrspieler, der nach dem 0:2 in Gladbach auf Fragen nach Baum geantwortet hatte: „Ich kann nichts Positives über ihn sagen – und werde auch nichts Negatives sagen."
Bei Lehmanns erstem Trainingstag standen am FCA-Gelände elf Kameras statt wie üblicherweise eins bis zwei. „Jens Lehmann stiehlt allen die Show", titelte der Express. Doch wie gesagt: Baum war es in der jetzigen Phase sicher recht, etwas aus der Schusslinie zu geraten. Langfristig bleibt es mit ihm und Lehmann aber ein spannendes Projekt. Denn der Chef wird eben kritisch beäugt. Und der Assistent will auf kurz oder lang unbedingt irgendwo Chef werden.