Niko Rittenau (27) stammt ursprünglich aus Österreich, lebt mittlerweile aber in Berlin. Der studierte Ernährungsberater hat sich wissenschaftlich mit der rein pflanzlichen Kost beschäftigt und will Kritiker mit Argumenten und gutem Geschmack überzeugen.
Herr Rittenau, Sie ernähren sich vegan und haben kürzlich ein Buch darüber herausgebracht. Ihre Vorträge beginnen Sie trotzdem gern mit dem Hinweis, dass Sie eine vegane Ernährung eigentlich nicht empfehlen würden.
Ja, das sorgt dann immer erst einmal für Irritationen. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist mir dann auf jeden Fall sicher. Mir geht es darum, den Leuten klarzumachen, dass zwar jede vollwertig pflanzliche Ernährung vegan ist, dass das andersherum aber nicht gilt. Bloß weil ich mich fleischlos ernähre, esse ich noch lange nicht automatisch gesund. Es gibt jedes Junk- und Fastfood auch in veganer Form. Zu behaupten, dass das gesünder sei, ist einfach falsch. Diese Produkte enthalten aber zu viel Weißmehl, zu viel Zucker, zu viele Kalorien, zu viele isolierte Fette und so weiter. Andererseits gibt es ohnehin keine ungesunden Lebensmittel, genauso wie es keine gesunden Lebensmittel gibt – ein Hotdog im Jahr ist nicht ungesund und ein Apfel im Jahr auch nicht gesund. Eine vegane Ernährung kann großartig sein, wenn man dabei gewisse Dinge beachtet.
Wie sind Sie selbst zum Veganer geworden?
Ich habe immer schon mehr oder weniger fleischlos gelebt. Zwar war ich nicht von Beginn an ein großer Tierrechtler, aber ich fand es einfach nicht besonders appetitlich, den Muskel eines anderen Lebewesens auf dem Teller zu haben. Ich hätte früher allerdings nicht gedacht, dass ich mich einmal auch beruflich mit dem Thema beschäftigen würde. Ich bin eigentlich gelernter Tourismuskaufmann; der Plan war, irgendwann auf den Cayman Islands in der Karibik ein schönes Hotel zu managen. Mit diesem Ziel habe ich in Wien Unternehmensführung studiert, wo ich dann erstmals mit der veganen Bewegung in Kontakt gekommen bin. Viele Veganer argumentieren sehr ideologisch, aber das hat mir nicht gereicht: Ich wollte rationale Argumente, weshalb Veganismus auch ernährungsphysiologisch sinnvoll ist. Also habe ich angefangen, mich intensiver mit den ernährungswissenschaftlichen Aspekten zu befassen.
Sie bezeichnen sich als Vermittler zwischen der Wissenschaft und dem Konsumenten.
Ich mache keine Forschung und betreibe auch keine aktive Wissenschaft. Es gibt genügend wissenschaftliche Publikationen, die der Endverbraucher allerdings meist nicht liest. Und bis die neuen Erkenntnisse in die medizinische Praxis und die Ernährungsberatung übergehen, vergehen oft Jahre. Mein Ziel ist es, dieses Wissen wesentlich zeitnaher zu vermitteln und dabei auch sprachlich zu übersetzen, damit es leichter verständlich wird. Es geht mir dabei nicht darum, die Datenlage so zu beugen, dass sie meinen Wertvorstellungen entspricht, sondern einen objektiven Blick auf die Daten zu werfen und beide Seiten zu beleuchten. Ich möchte auch kritische Fragen ansprechen.
Welche zum Beispiel?
Es gibt ein paar „Schwachpunkte", die sich einfach aufgrund des Systems ergeben. Weil etwa hierzulande kaum Lebensmittel angeboten werden, die das Vitamin B12 enthalten, anders als beispielsweise in den USA, müssen Veganer dieses in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zu sich nehmen. Auch ist Jodsalz in Deutschland nur so gering jodiert, dass man nur in Kombination mit den jodhaltigen Milch-, Eier- oder Käseprodukten oder mit Fisch seinen Jodhaushalt wirklich decken kann, wenn man sich an die Höchstmengen an Salz hält. Vegan lebende Menschen sollten auf Algen zurückgreifen oder andere jodhaltige Lebensmittel konsumieren. Grundsätzlich falsch ist die Vorstellung, dass ein bestimmter Nährstoff ausschließlich in tierischen Produkten vorhanden ist. Tierische Kost hat darauf kein Monopol. Wer behauptet, Calcium bekomme man nur über Milch oder Eisen nur in rotem Fleisch, sollte verstehen, dass Mineralien ursprünglich aus dem Boden stammen. Diese werden dann von den Pflanzen aufgenommen, und rotes Fleisch enthält beispielsweise nur deshalb Eisen, weil das Tier es zuvor über die pflanzliche Nahrung aufgenommen hat. Ein anderes Beispiel sind Omega-3-Fettsäuren, die man angeblich nur über Fisch ausreichend zu sich nimmt. Der Fisch ist aber nicht der eigentliche Produzent dieser Omega-3-Fettsäuren, sondern marine Mikroalgen, deren Fettsäuren sich im Laufe der Nahrungskette akkumulieren und so irgendwann im Lachs landen. Für die Gesundheit der Weltmeere wäre es aber besser, wenn wir den Fisch leben lassen und stattdessen ebenfalls pflanzliche Quellen nutzen, zumal diese wesentlich weniger mit Schadstoffen belastet sind.
Aber warum rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) von einer veganen Ernährung während der Schwangerschaft ab?
Grundsätzlich raten alle Fachgesellschaften zu einer zu mindestens 75 Prozent pflanzlichen Ernährung, aufbauend auf Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Obst, Gemüse, Nüsse und Samen. Davon sind die meisten Menschen allerdings weit entfernt. Dass die DGE in den sogenannten kritischen Phasen – Schwangerschaft, Stillzeit und Kleinkindalter – keine vegane Ernährung empfiehlt, während dies in den USA, Kanada, Australien und anderen Ländern der Fall ist, hat ebenfalls mit den anderen Rahmenbedingungen in Deutschland zu tun, über die ich schon gesprochen habe. Es bedarf hierzulande eines gewissen Aufwands, um alle wichtigen Nährstoffe zu bekommen. Die meisten Menschen wissen aber mehr über ihr iPhone als über ihre Ernährung. Das weiß auch die DGE, und deshalb empfiehlt sie Schwangeren keine vegane Ernährung, weil die berechtigte Sorge besteht, dass die Sache nicht richtig gemacht wird. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch in dieser Lebenslage möglich wäre.
Würden Sie die Einführung eines Schulfachs Ernährungslehre begrüßen?
Das wäre sogar sehr wichtig. Ich finde es absurd, dass dieses Thema so vernachlässigt wird. Die Schüler lernen komplexe Mathematik, die sie später kaum brauchen werden, aber sie lernen nicht, wie sie tagtäglich gesund essen und wie viel Eigenverantwortung sie damit eigentlich für ihre Gesundheit haben. Studien zeigen, dass sich mit der richtigen Ernährung viele chronisch-degenerative Erkrankungen wie Herzerkrankungen oder Schlaganfälle, die weltweit die zwei häufigsten Todesursache darstellen, vorbeugen, stoppen und in einigen Fällen sogar reversieren lassen. Das geht aber nicht nur mit einer rein pflanzlichen Ernährung, da gibt es verschiedene Ernährungsstile, die das erreichen können. Die westliche Mischkost ist aber keine davon, sondern die Mitursache für diese Erkrankungen. Ich finde es allerdings auch falsch, die ganze Entscheidungslast auf den Endkonsumenten abzuwälzen. Politik und die Industrie sitzen am wesentlich längeren Hebel.
Wie lassen sich Menschen davon überzeugen, sich künftig rein pflanzlich zu ernähren?
Mit Geschmack und Wissensvermittlung. Wichtig ist, dass weiterhin alle fünf Geschmackssinne angesprochen werden: süß, sauer, salzig, bitter und umami, also herzhaft. Wer auf einmal nur noch ungewürztes gedämpftes Gemüse isst, empfindet das natürlich als fad. Dabei können wir unser Gemüse doch mit der gleichen Sorgfalt zubereiten wie Fleisch. Wir können Karotten nicht nur kochen oder dämpfen, sondern auch dünsten, garen, schmoren, braten und dadurch Röst- und Umami-Aromen hineinbringen. Menschen sind nur dann gewillt, Veränderungen vorzunehmen, wenn sie dabei ein gutes Gefühl haben, und nicht, wenn sie zu etwas gezwungen werden. Es geht also mehr darum, Dinge vorzuleben als darum, jemandem ein schlechtes Gewissen zu machen. Dogmatismus ist hier das falsche Mittel. Da blockt man am Ende nur ab. Zwischen schwarz und weiß, zwischen vegan und nicht-vegan gibt es außerdem noch zahlreiche Zwischenstufen. Ich sehe das eher als Kontinuum, und so lange sich Leute in die richtige Richtung bewegen, haben wir schon viel gewonnen.