Schon seit vielen Wochen erobert er die Bestseller-Listen: Prof. Dr. Achim Gruber, Leiter des Instituts für Tierpathologie der Freien Universität Berlin. Im Interview spricht er über Obduktionen, Auftraggeber, Fälle für die Justiz und traurige Tierschicksale.
Herr Gruber, warum wollten Sie ausgerechnet Tierpathologe werden?
Eigentlich wollte ich immer richtiger Tierarzt werden. Aber als ich das dann war, merkte ich schnell, dass ich für die Praxis einfach zu neugierig war. Es gab Patienten, denen konnte ich einfach nicht helfen, das frustrierte mich. Als Pathologe kann ich heute fast alle Fälle lösen.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Und wie läuft eine Obduktion ab?
Wir obduzieren jeden Morgen gemeinsam mit den Studierenden der Tiermedizin verstorbene Tiere, etwa 1.000 pro Jahr. Dazu gibt es hoch standardisierte Schnittführungen, die sich zwischen den Tierarten oft unterscheiden, zum Beispiel wegen der völlig unterschiedlichen Verdauungssysteme. Zehn Minuten für einen Goldfisch, 40 Pathologenstunden für einen Elefanten. Viel öfter und lieber untersuche ich aber Biopsien unter dem Mikroskop, also kleinste Gewebeproben von noch lebenden Tieren, denen ich noch helfen kann.
Wie erkennt man, woran ein Tier tatsächlich gestorben ist?
Pathologen und Forensiker, also Gerichtsmediziner, sind Spurensucher, egal ob bei Mensch oder Tier. Fast alle Krankheits- und Todesursachen hinterlassen im Gewebe Muster, etwa Fingerabdrücke. Einschusslöcher verraten Kaliber, Entfernung und Schussrichtung. Verschiedene Krebsarten unterscheiden wir unter dem Mikroskop und bestimmte Viren hinterlassen anfärbbare Punkte in den Körperzellen. Alles nicht wirklich schwer, aber bei so vielen Tierarten mit so vielen eigenen Krankheiten ist das schon eine ganze Menge Stoff für die Jungpathologen.
Welche Tiere und Tierarten obduzieren Sie? Wer sind Ihre Kunden beziehungsweise Auftraggeber?
Wir untersuchen alles, was Fell, Federn, Schuppen, eine Dickhaut oder einen Panzer hat. Manchmal wollen Tierbesitzer wissen, woran ihr Kuscheltier gestorben ist, weil sie sich Sorgen um noch lebende Tiere oder sich selbst machen, oder sie wollen sich ein neues anschaffen und einen Fehler nicht zweimal machen. Dasselbe gilt für Zoos und Zirkusse. Ein andermal will eine Tierärztin wissen, warum ihre Therapie nicht geholfen hat, oder eine Seuche ist ausgebrochen. Ein Verdacht auf Versicherungsbetrug bei einem hoch lebensversicherten Rennpferd mit zweifelhaften Todesumständen kommt auch mal vor. Oder der Staatsanwalt oder die Polizei wollen ein Verbrechen aufklären und wollen von uns wissen, was wirklich passiert ist.
Sagen Sie den Auftraggebern immer die Wahrheit, was die Todesursache betrifft? Oder lügen Sie bei Haustieren manchmal auch, zum Beispiel, wenn es zu sehr schockieren würde?
Gelogen wird nicht. Manchmal jedoch halten wir eine brutale oder auf persönliche Schuld hinweisende Wahrheit für ein paar Tage zurück, wenn trauernde Besitzer für die Wahrheit noch nicht bereit sind. Oder wir verschweigen einem Kind, dass es sein Kaninchen mit seinem eigenen Lippenherpesvirus totgeküsst hat, sagen es dann aber den Eltern. Im Abschlussbericht ein paar Tage später steht dann aber alles drin.
Welche waren Ihre traurigsten Fälle?
Den schrecklichsten Anblick boten mir Wasserleichen von Kampfhunden, die lebend mit Steinen um den Hals in einen Fluss geworfen worden waren. Als sie nach einigen Wochen durch Fäulnisgase ballonartig aufgetrieben waren, trugen sie selbst die Steine wieder nach oben. Die Obduktion war unglaublich abstoßend. Besonders traurig war der Fall eines alten Mannes, der erst seine Hündin und dann sich selbst mit derselben Pistole erschossen hatte. Er war mit ihrem Gesäugetumor zu spät zur Tierärztin gegangen, als die Metastasen bereits gestreut hatten. Als der Krebs die Lunge durchwuchert hatte und seine Hella kaum noch atmen konnte, erlöste er sie und nahm sich dann selbst das Leben.
Gibt es tote Haustiere, die ein Fall für die Justiz wurden?
Ja, sogar nicht selten. Wir Tierpathologen sind auch Gerichtsmediziner. Wie unsere Kollegen untersuchen auch wir Opfer von Gewalt und Verbrechen und müssen klären, was genau passiert ist. Zusätzlich beschäftigen uns auch zivilrechtliche Prozesse, wenn es um Werterstattung, Schadenersatz oder Rückzahlung eines Kaufpreises geht. Ein Koi kann so viel wert sein wie ein neuer Mittelklassewagen, ein Rassehund so viel wie ein Einfamilienhaus und ein Pferd so viel wie eine Luxusjacht. Der Wert ist dann wichtiger als das Leid.
Welche Tierkrankheiten können auf den Menschen übertragen lebensgefährlich sein?
Wir kennen weit über 250 verschiedene, durch Bakterien (etwa Tuberkulose und Rotlauf), Viren (zum Beispiel Tollwut und West-Nil-Fieber) oder Parasiten wie den Fuchsbandwurm. Der kann Hund und Mensch umbringen, wenn er zu spät erkannt wird. Mittlerweile kommt dieser Killerparasit in allen Bundesländern vor. Zum Glück infizieren sich nur etwa 60 Menschen jährlich neu in Deutschland, das sind aber 60 zu viel.
Ihr Buch heißt „Das Kuscheltierdrama". Worin bestehen die Dramen?
Manche unserer Haustiere, die wir mit bester Absicht in die Familie aufnehmen, sogar zum Sozialpartner erheben, züchten und halten wir zu Tode. Bei ihrer Vermenschlichung bringen wir sie manchmal um ihre eigene Natur. Schönheit und Extravaganz im Auge des Besitzers können für das extrem gezüchtete Tier gleichbedeutend sein mit Schmerzen, Leiden und verfrühtem Tod. Unwissenheit und Ausblenden von Wahrheiten durch Züchter oder Halter führen manchmal zu Tragödien, die bei mir auf dem Obduktionstisch landen.
Welche Fehler machen Menschen bei der Haustierhaltung?
Die eigene Natur und Bedürfnisse der Tiere werden von manchen Haltern nicht genügend berücksichtigt, weil sie unbekannt oder unbequem oder zu teuer sind. Die zunehmende Vermenschlichung unserer Kuscheltiere kann auch schlimme Folgen haben, etwa wenn Raubtiere wie Hunde und Katzen vegetarisch oder gar vegan ernährt werden, weil es dem eignen Weltbild des Besitzers entspricht. Oder man geht viel zu spät zur Tierärztin, etwa wenn ein Tumor schon tennisballgroß ist, weil man gerade die Zeit oder das Geld dafür nicht hatte.
Können in diesem Fall Tier-Krankenversicherungen helfen?
Definitiv! Eine Krankenversicherung hilft im Entscheidungsfall aus dem Konflikt zwischen knapper Geldbörse und vernachlässigtem Tierschutz. Die monatlichen Beiträge spiegeln ein reelles Risiko wider, für das jeder Tierhalter die Verantwortung tragen sollte. Im Hochsicherheitstrakt Deutschland sind leider nur etwa fünf Prozent der Hunde krankenversichert, in England und skandinavischen Ländern dagegen mehr als jeder zweite. Ich plädiere dafür, dass wir jedes in die Familie aufgenommene Tier krankenversichern.
Welche Haustierarten leiden am meisten und warum – zum Beispiel die in Käfigen lebenden Meerschweinchen, die Fluchttiere sind und eigentlich nicht angefasst werden wollen, überzüchtete Hunderassen ...?
Mir fällt es schwer, das Ausmaß des Leidens zu vergleichen. Die Verhaltensexperten sagen, Meerschweinchen können Todesangst haben, wenn ein Kind von oben in den Käfig greift, es könnte der Greifvogel sein, der seine Beute verschleppt und frisst. Als Tierpathologe ärgere ich mich über unnötiges Sterben von exotischen Terrarientieren infolge schlechter Haltung und besonders über die vielen verschiedenen Defektzuchten bei Hunden. Etwa Knochenkrebs und orthopädische Katastrophen bei Riesenrassen oder wenn hübsche Fellfärbungen zu Taubheit führen. Die sehr populären Kurznasenrassen zeigen in ihren Extremformen oft schon bei leichter Belastung schlimmes Röcheln, Atemnot und können auch mal schneller am Hitzschlag sterben, weil sie nicht richtig hecheln können. Und ihre menschenähnlich ausgerichteten Augen sind öfter entzündet, können leichter verletzt werden oder sogar bei einem Stoß oder beim beherzten Griff in den Nacken ganz herausfallen.
Welche Tierarten und Hunderassen sind die größten Qualzuchten und warum?
Den üblichen Begriff „Qualzucht" vermeide ich, weil „quälen" eine Absicht beinhaltet, die ich nicht unterstelle. „Defektzuchten" ist besser. Hunde sind sicher am meisten betroffen, weil wir sie wie keine andere Art in erstaunlich vielen Varianten geformt haben. Am meisten Sorgen machen mir die heute sehr beliebten, besonders kurznasig gezüchteten Rassen wie Mops und französische Bulldogge, wobei jedoch nicht die ganzen Rassen betroffen sind, sondern nur die extremen Zuchtlinien. Zu den bedauernswertesten Kreaturen zählen auch die sogenannten Weißtiger-Hunde, die entstehen können, wenn man zwei „Merle"- oder „Tiger" -Schecken miteinander verpaart. Augenmissbildungen, Taubheit und Störungen anderer Sinnesorgane können ihre Lebensqualität stark einschränken, wenn sie überhaupt die Welpenzeit überleben.
Ist das Einschläfern beim Tierarzt für Tiere mit Stress oder gar mit Schmerzen verbunden?
Wenn es richtig gemacht ist, wird nur der Piks in die Vene empfunden. Jeder Euthanasie muss heute eine Sedierung beziehungsweise Narkose vorangehen. Das Tier sollte also nicht mehr als bei einer Narkoseeinleitung vor einer Operation spüren.
Einige Halter, die sich nur sehr schwer von ihrem geliebten Tier verabschieden können, lassen es einäschern und bewahren die Urne bei sich zu Hause auf oder lassen es ausstopfen. Was halten Sie davon?
Tatsächlich wünschen sich Besitzer immer öfter menschenähnliche Bestattungen, besonders Kremierungen, von Hunden, Katzen und manchmal auch anderen Tieren. Diese emotionale Nähe und Bindung, teils auch mit tiefer Trauer, zählen zu den vielen Aspekten der Menschwerdung unserer Kuscheltiere. Ich verurteile das nicht, denn die Menschen scheinen ja einen Grund dafür zu haben. Diese Entwicklung spiegelt leider auch den Trend von Haustieren als Ersatz für fehlende menschliche Kontakte wider, was ein schlimmes Licht wirft auf unsere sozialen Strukturen mit zunehmender Vereinsamung.
Haben Sie selbst Haustiere? Würden Sie diese obduzieren?
Unseren Familienhund würde ich nie obduzieren, sondern im Garten beerdigen mit einem hübschen Stein oder Kreuz aus Stöckchen für die Kinder. Falls wirklich nötig, etwa zur Abklärung einer möglichen Gefahr für andere Tiere oder Menschen, würde ich eine Kollegin darum bitten. Wenn jedoch bei meinen ostafrikanischen Aquariumbarschen etwas schiefgeht, hätte ich keine Probleme mit einer Obduktion. Ein Fisch ist eben kein Hund.