Mit ihrer Antwort auf Präsident Macron hat die CDU-Bundesvorsitzende die Diskussion um die Zukunft Europas befeuert. Im FORUM-Interview verteidigt Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Positionen und wirbt für ein starkes Europa in einer neu sortierten Welt.
Frau Kramp-Karrenbauer, die Situation in Europa ist, zurückhaltend formuliert, unübersichtlich – vom Brexit bis zu populistisch-nationalistischen Strömungen. Was ist die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung ist, zu begreifen, dass wir im Moment in einer Welt leben, in der sich die Verhältnisse neu sortieren. Es kommt entscheidend auf die Frage an: Wollen wir als Europäer in Zukunft noch eine Rolle spielen, Einfluss nehmen – Ja oder Nein? Wenn wir das wollen, dann müssen wir Europa stärker machen, als es bislang ist. Dann müssen wir uns um Fragen kümmern wie Sicherheit, Freiheit, Wohlstand, aber auch um die Lösung größerer Probleme wie Klimawandel. Darauf muss Europa auch am 26. Mai Antworten geben.
„Starkes Europa", das können wohl die allermeisten unterschreiben. Die Frage ist, was das konkret bedeutet und wie man das erreichen kann?
Darum soll es in diesem Wahlkampf ja auch gehen. Es ist doch paradox, dass man auf der einen Seite sagt: Europa ist ganz wertvoll, aber man den im besten demokratischen Sinn verstandenen Streit darüber ein bisschen zur Seite schiebt. Ich finde es wichtig, dass wir uns in der Mitte der Politik darüber Gedanken machen. Wir als CDU wollen ein Europa, das nach innen offen und frei bleibt, wie im Schengen-Abkommen vereinbart. Aber dieses Europa muss dann auch Sicherheit gewährleisten können durch gut geschützte Außengrenzen und eine Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden, die das auch gewährleistet. Wir wollen ein Europa, in dem man sich darüber klar ist, dass man zuerst etwas erwirtschaften muss, bevor man es sozial verteilen kann. Es ist wichtig, bei den neuen Entwicklungen wie Digitalisierung und der Herausforderung beispielsweise durch China als Europa gemeinsam mit der Marktmacht von 500 Millionen Menschen eine Rolle zu spielen, wenn es etwa darum geht, freien Handel zu gewährleisten. Und natürlich will ich auch ein Europa, das nicht in den Geschichtsbüchern steht, weil es Krieg geführt hat, sondern weil man sagt, dass die großen Antworten, etwa wie man CO2 neutralisieren kann, wie man Alzheimer oder Krebs heilen kann, in Europa erforscht worden sind. Das geht nur, wenn wir es gemeinsam machen. Da lohnt sich ein Europa der Zusammenarbeit wirklich. Dazu braucht man aber im Europäischen Parlament, eine Mehrheit gegen diejenigen, die Europa abschaffen wollen.
Die SPD kämpft für ein soziales Europa. Was ist gegen ein soziales Europa einzuwenden?
Wir wollen natürlich auch ein Europa, in dem die Menschen gut leben können. Wir haben in Europa sehr unterschiedliche Lebensverhältnisse. Wir wollen Mittel einsetzen, die es möglich machen, dass die Lebensverhältnisse besser werden, ob das in der deutschen Provinz ist, in der französischen oder in Polen auf den Dörfern. Ich nenne das Konvergenz. Was ich für wenig sinnvoll halte, ist ein Einheitsstandard. Wenn man den machen wollte, wird es immer einer sein, der für die einen zu hoch ist, weil sich das Land das gar nicht leisten kann. Und für die anderen ist es zu niedrig, weil es weniger ist, als der eigene Nationalstaat sowieso schon garantiert. Deshalb ist es wichtiger, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie wir so stark bleiben, dass wir diese Konvergenz, sich aufeinander zuzubewegen, aus eigener wirtschaftlicher Kraft umsetzen können. Deswegen müssen die Themen Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt, denn das ist die Grundlage, um für mehr soziale Sicherheit und einen höheren Standard arbeiten zu können.
Ihre Antwort auf den französischen Präsidenten Macron hat viele Diskussionen, teilweise auch Irritationen, ausgelöst. Können Sie das nachvollziehen?
Das hat natürlich auch etwas mit dem Wahlkampf zu tun. Herr Macron ist ja nicht nur Präsident, er ist auch Chef einer Bewegung, einer Partei, und er ist auch im Wahlkampf. Ich finde zunächst einmal wichtig, dass er die Debatte um die Reform der Europäischen Union angestoßen hat. Und natürlich ist es so, dass wir in vielen Punkten übereinstimmen. Übereinstimmungen gibt es aber nicht in allen Punkten, weil es in Frankreich und in Deutschland unterschiedliche Sichtweisen und Interessen gibt. Das sollte man auch in einem Wahlkampf nicht unter den Tisch kehren. Ich freue mich über jeden Beitrag der Diskussion in der Sache und kann auch mit Kritik gut leben beziehungsweise umgehen.
Der Vorschlag eines gemeinsamen Flugzeugträgers wird durchaus intensiv diskutiert.
Zuerst einmal muss man feststellen: Auch heute werden Flugzeugträger gebaut, in Großbritannien, in Frankreich. Und es ist schon eine Frage, warum man das nicht gemeinsam machen soll. Alle, die sich damit ernsthaft beschäftigen, wissen, dass sich im Hintergrund dann Fragen stellen, etwa nach einer gemeinsamen Flottenpolitik oder wie man mit der Luftwaffe umgeht. Der Flugzeugträger ist damit Symbol für die Debatte über eine gemeinsame Verteidigungspolitik und eine Bündelung der Verteidigungsanstrengungen. Deshalb halte ich das für ein wichtiges Projekt für Europa. Damit bin ich auch nicht allein. Die Forderung hat Angela Merkel bereits im vergangenen Jahr erhoben, es hat wohl nur keiner mitbekommen. Ich habe übrigens Rückmeldungen bekommen, dass in Peking, Washington und Moskau mit großem Interesse auf diese Forderung geblickt wird, weil man dort die Frage damit verknüpft, ob Europa in Zukunft als globaler Akteur ernst genommen werden will.
Nach Umfragen könnte sich ergeben, dass im künftigen Europaparlament eine starke Internationale von Nationalen sitzt. Was halten sie dieser Entwicklung entgegen?
Europa ist gegründet worden, weil es in vielen Kriegen, vor allem in zwei Weltkriegen, in Schutt und Asche gelegt worden ist. Schuld daran war vor allem eine Politik, die gesagt hat: Die, die auf der anderen Seite der Grenze wohnen, das sind die schlechteren Menschen, das ist die minderwertige Rasse, das sind die Erbfeinde, und die muss man bis aufs Blut bekämpfen. Das ist genau die Politik, die heute von allen Populisten, von allen Nationalisten gemacht wird, egal, ob sie in Deutschland, Frankreich, Italien oder sonst wo sind. Die große Errungenschaft in Europa war doch, dass nach diesen schrecklichen Kriegen die Kraft da war, zu sagen: Es muss Schluss sein mit dieser Art zu denken, wir machen jetzt etwas ganz Neues. Das ist aus meiner Sicht immer noch ein Wunder, ein ganz wertvolles Erbe und eine hohe Verpflichtung, die jeder von uns hat. Die Gründer haben auch dafür gekämpft, dass jeder frei wählen kann, und im Übrigen sind dafür vor 30 Jahren viele Menschen in Ostdeutschland auf die Straße gegangen. Deswegen sollte man damit nicht leichtfertig umgehen. Etwa, indem man gar nicht erst zur Wahl geht oder Parteien wählt, von denen man weiß, sie kassieren Diäten, machen Trallala oder Protest und leisten keinen Beitrag, dieses Europa besser zu machen. Europa ist enorm wichtig für eine gute Zukunft Deutschlands und bei der Europawahl am 26. Mai geht es um nichts weniger als die Handlungsfähigkeit der EU.