Thierry Zarrella leitet die Konsularabteilung der Französischen Botschaft in Berlin und organisiert für die Auslandsfranzosen die Europawahl. Viel genutzt wird das Angebot nicht: Vor fünf Jahren wählte gerade einmal jeder Zehnte.
Herr Konsul, Sie sind unter anderem mit der Organisation der Europawahlen beauftragt. Da müssen Sie doch viel zu tun haben?
Ja, zu meinen Aufgaben als Leiter der Konsularabteilung der Französischen Botschaft gehört die Organisation von Wahlen. Wie jetzt im Mai die Europawahlen.
Dazu zählt zum einen die Auswahl der geeigneten Örtlichkeiten für die Wahllokale, zum anderen die Zusammenstellung von Wahlhelferteams. Außerdem bin ich zuständig für die ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen und die Übermittlung der Ergebnisse nach Paris. Am 26. Mai wird die Französische Botschaft in Berlin sechs Wahlbüros betreuen: drei in Berlin und je eines in Hamburg, Bremen und Hannover.
Wählen Franzosen in Deutschland anders als in der Heimat?
Im Prinzip gibt es keinen Unterschied. Außer dass die Wahlbeteiligung der Auslandsfranzosen geringer ausfällt. Bei den letzten Europawahlen haben nur zehn Prozent ihre Stimme abgegeben. Das ist sehr wenig – zu wenig. Allerdings darf man nicht vergessen, dass sie auch in deutschen Wahlbüros für deutsche Europaabgeordnete stimmen können.
Aber dafür müssen sie doch ihren Hauptwohnsitz in Deutschland haben – wie viele Franzosen leben derzeit in Deutschland?
Nach den demografischen Daten, die uns zur Verfügung stehen, leben in Deutschland 115.000 Franzosen, die nur die französische Staatsbürgerschaft haben. Im Konsularregister der in Deutschland lebenden Franzosen gibt es 112.000 Einträge, von denen 35 Prozent die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen. Daraus lässt sich schließen, dass die Gesamtzahl der Franzosen in Deutschland bei über 150.000 liegt. Wenn nicht sogar über 200.000. Letztere Zahl halte ich für am realistischsten. 200.000 ist sogar der wahrscheinlichste Wert.
Wie kommt es, dass Deutschland bei den Franzosen so beliebt ist?
Viele qualifizierte junge Leute versuchen ihr Glück in Deutschland, um interessante berufliche Erfahrungen zu sammeln. Das kulturelle Leben einer Stadt wie Berlin zieht die jungen Menschen ebenfalls stark an. Aber auch in München wohnen 44.000 oder Frankfurt 43.000 unserer Landsleute.
Was zieht die Franzosen nach Berlin?
Die alte Generation der Franzosen, darunter viele ehemalige französische Soldaten und ihre Familien, lebte meist in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz. Für die junge Generation hat dagegen Berlin eine große Anziehungskraft, hier leben über 25.000 meiner Landsleute. Die deutsche Hauptstadt ist jung, aktiv und multikulturell und bietet interessante Jobchancen. Außerdem ist Berlin für seine ausgezeichnete Lebensqualität bekannt.
Welche Aufgaben haben Sie denn sonst noch als Leiter der Konsularabteilung?
Ich habe einen wirklich sehr abwechslungsreichen Job, der weit über das Ausstellen von Urkunden hinausgeht. Wir vergeben unter anderem Stipendien, damit auch die Kinder aus Familien mit geringem Einkommen die Möglichkeit haben, in Deutschland eine französische Schule zu besuchen.
Darüber hinaus bin ich „Sozialarbeiter" und muss in schwierigen menschlichen Situationen helfen. Da geht es um Sorgerechtsstreit, Fälle von Zwangsheirat oder Anträge auf politisches Asyl bis hin zu Todesfällen. Wir vermitteln dann an die entsprechenden sozialen Einrichtungen oder Behörden.
Können Sie denn immer helfen?
Wir versuchen es zumindest. Manchmal geraten Landsleute von uns in Schwierigkeiten. Es gibt auch viele Gestrandete. Einige sind psychisch krank oder in großer seelischer Not. Wir arbeiten deshalb eng mit der Bahnhofsmission, der Charité, der Polizei, dem Jugendamt und anderen Einrichtungen zusammen.
Ein Wort zur deutsch-französischen Freundschaft?
Meine Großmutter wollte mit Deutschen nichts zu tun haben. Viele in ihrer Generation waren so. Trotz der Vorurteile, die, als ich klein war, noch in einigen Teilen der Bevölkerung gegenüber Deutschland herrschten, habe ich Deutsch gelernt und als Schüler an vielen Austauschen teilgenommen. Und nun bin ich Leiter der Konsularabteilung in Deutschland. Die Welt verändert sich ständig. Zum Glück!