Rom sucht sein Heil in Schulden – und riskiert einen Konflikt mit Brüssel
Instabile Regierungen gehören zu Italien wie Pasta zu einem guten Abendessen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es 65 verschiedene Kabinette. Zum Vergleich: Deutschland kommt seit 1949 gerade mal auf acht. Auch der aktuell in Rom amtierenden Feuer-und-Wasser-Koalition aus der rechtspopulistischen Lega-Partei und der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung wird keine lange Lebenszeit vorausgesagt.
Nicht nur wegen der Gegensätzlichkeit der Akteure: Während die Lega vor allem bürgerliche Wähler sowie kleine und mittlere Unternehmen mit Steuererleichterungen bedienen will, betreiben die Fünf Sterne eine offensive Sozialpolitik – die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und die Verminderung des Renteneintrittsalters auf 62 Jahre gehen auf ihr Konto.
Was die Parteien eint, ist der bereitwillige Griff in die Staatskasse. Allein die Finanzierung für das Grundeinkommen wird auf rund 17 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Ein Single erhält bis zu 780 Euro Bürgergeld im Monat, eine Familie mit zwei Kindern bis zu 1.180 Euro. In den Genuss der Zahlungen kommen allerdings nur diejenigen, die sich arbeitssuchend melden. Noch teurer sind die Versprechen der Lega. Sie fordert einen einheitlichen Steuersatz – eine sogenannte „Flat Tax" – von 15 Prozent für Familien mit einem jährlichen Einkommen bis 50.000 Euro sowie für Firmen. Kostenpunkt: 30 Milliarden Euro pro Jahr.
Kein Wunder, dass ein derartiges Wünsch-dir-was-Programm aus den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu stemmen ist. Die EU läuft Sturm und erwägt die Eröffnung eines Defizitverfahrens gegen Rom. Derzeit summiert sich die öffentliche Gesamtverschuldung Italiens auf rund 2,3 Billionen Euro. Das sind rund 132 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes. Der Maastrichter Vertrag erlaubt hingegen nur 60 Prozent.
Doch die Regierung schießt zurück. Vize-Ministerpräsident und Lega-Chef Matteo Salvini, der Meister des inszenierten Polit-Krawalls, sagt Brüssel den Kampf an. Gestärkt durch ein sensationelles Ergebnis von 34 Prozent bei der Europawahl verkündet er, die Defizit-Bestimmungen der EU zu ändern – diese „alten und veralteten Regeln, die Europa geschadet haben", wie er das nennt.
So will Salvini, dass die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsschulden garantieren könne wie die italienische Notenbank. Auf diese Weise sollen Spekulationen eingedämmt werden. Eine Art Schutzschild, um die Kosten, über die sich EU-Länder am Kapitalmarkt finanzieren, nicht durch die Decke gehen zu lassen. Investoren verlangen immer höhere Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen, was für noch mehr rote Zahlen sorgt.
Salvinis Remeduren werden den italienischen Patienten nicht gesund machen. Wobei man der Fairness halber berücksichtigen muss, dass Italiens Wirtschafts- und Finanzpolitik seit den 80er-Jahren aus dem Lot ist. Jede Regierung bediente ihre Klientel mit üppigen Wahlgeschenken, die von Steuererleichterungen bis zur Erhöhung von Mindestrenten reichten. Viel Geld floss in den Beamtensektor, der immer weiter aufgebläht wurde und dessen Altlasten – die opulenten Pensionen – den Etat bis heute strapazieren.
Die italienische Krankheit hat jedoch jenseits der Schuldensucht verschiedene Ursachen. Eine davon ist das grassierende Einnahmeproblem – dem Fiskus gehen zu viele Mittel durch die Lappen. „Das Steuersystem in Italien muss vereinfacht werden, auch um die Steuerflucht zu bekämpfen, die mit rund 130 Milliarden Euro pro Jahr gigantisch groß ist", kritisiert der renommierte Ökonom Carlo Cottarelli. Hinzu kommen Korruption und organisierte Kriminalität. Weitere Krankheitsherde: Es gibt zu wenige private Investoren, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe ist chronisch.
Salvinis Sündenbock-Kampagne gegen Brüssel, das der italienischen Regierung angeblich die finanzielle Luft zum Atmen nimmt, ist auf billige Zustimmung bei den Wählern aus. Langfristig hilft sie den Menschen nicht, im Gegenteil. Der Gouverneur der italienischen Notenbank, Ignazio Visco, bringt es auf den Punkt: „Europa die Schuld an unserem Unbehagen zu geben, ist ein Fehler – das bringt keinerlei Vorteil und lenkt von den realen Problemen ab." Salvini wird derlei Warnungen in den Wind schießen. Den Preis dafür zahlen am Ende die Italiener.