Sie verbindet China mit der Welt: die Neue Seidenstraße. Noch sind es meist Schiffsrouten, auf denen die Container ans Ziel gelangen, doch die Landverbindungen sind im Aufwind. In nur 14 Tagen geht es per Schiene von Chongqing nach Duisburg.
Alle reden von der Neuen Seidenstraße – niemand kennt so recht den Verlauf. Dabei geht es nicht um den an Marco Polo erinnernden historischen Karawanenweg zwischen fernem Orient und Okzident. Die „Belt and Road Initiative", wie die Neue Seidenstraße in offiziellen chinesischen Dokumenten heißt, ist ein groß angelegtes zweistufiges Projekt, um den Welthandel entscheidend zu beeinflussen. In der Anfangsphase ist sie vor allem ein gigantisches Bau- und Infrastrukturprogramm, das China mit Asien, Europa und Afrika verbinden soll. Nach der Fertigstellung der Eisenbahnlinien, Flughäfen, Straßen, Pipelines, Häfen und Sonderwirtschaftszonen soll die Neue Seidenstraße in ihrer zweiten Phase bis 2049 zu einem nahezu weltumspannenden Netz von Handelswegen und Transportrouten werden, das im Interesse Chinas den Austausch von Waren und Dienstleistungen beschleunigen und erhöhen soll. Geschätzte Kosten: knapp eine Billion Euro.
Bahnstrecken von Ostasien bis Westeuropa sind bereits vorhanden. Von Peking aus können Güter auf der Schiene über Moskau bis nach Hamburg und weiter nach London oder Madrid gelangen. Künftig soll auch eine südliche Schienenstrecke nach Europa führen. Vorgesehen ist eine Route, die über Irans Hauptstadt Teheran führt und Istanbul einschließt. Von China aus sollen Warenströme außerdem bis zu Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur gelangen.
Die diesjährige Logistikmesse Transport Logistic in München beschäftigte sich Anfang Juni besonders mit der ersten Ausbauphase der Neuen Seidenstraße, also dem Schienenweg zwischen China und Europa. Bei einer Diskussion über dieses Thema waren sich die Podiumsteilnehmer einig, dass engere Handelsbeziehungen Europas mit China auf dem Landweg große Chancen für beide Seiten böten, Europa aber auch das Seine dazu tun müsse, um selbst Vorteile daraus ziehen zu können. Der Vorstand des Hamburger Hafens, Axel Mattern, ist gerade aus Hongkong zurückgekommen und kann frische Eindrücke wiedergeben: „Es ist eine neue Sprachregelung zu spüren, abgewandt von den USA, hin zu Europa als dem wichtigsten Markt", sagt er.
Andreas Breinbauer, Rektor an der Fachhochschule des Berufsförderungsinstituts in Wien, warnt vor mangelnder Gegenseitigkeit in den Wirtschaftsbeziehungen. Etwa wenn es um Ausschreibungen geht, deren Durchführung in China nicht so genau genommen würden. Oder wenn man sich von chinesischer Seite in europäische Logistikunternehmen einkaufen könne, umgekehrt dies aber nicht möglich sei. Allerdings, so Breinbauer, habe der Seidenstraßen-Gipfel im April dieses Jahres in Peking einen Wendepunkt gebracht: Da seien von offizieller chinesischer Seite transparente Ausschreibungen versprochen worden.
Bernhard Simon, CEO des deutschen Logistikunternehmens Dachser, räumt zwar ein, dass „Markteintrittsbarrieren in die letzte Meile in China hinein" bestünden, sieht aber die Entwicklung entspannt: „Es gibt in China geschlossene Märkte, aber umgekehrt sind die kulturellen Barrieren in Europa genauso hoch." Europa habe in den letzten Jahrzehnten erheblich von den Märkten in China profitiert. Der asiatische Markt werde für Europa bedeutungsvoll bleiben: Denn in China würden über das Entstehen einer neuen Mittelschicht, die „hungrig ist nach europäischen Waren", neue Märkte wachsen.
„Hungrig nach europäischen Waren"
Im vergangenen Jahr sind Containertransporte über den Landweg zwischen Europa und China im Vergleich zum Jahr davor um etwa ein Drittel gestiegen – mehr als 370.000 Standardcontainer waren es in beide Richtungen. Das Potenzial der Schienentransporte auf der Neuen Seidenstraße ist enorm, im Vergleich zur Schiffsroute ist aber noch Luft nach oben: Allein auf See werden insgesamt jährlich 23 Millionen solcher Standardcontainer zwischen Europa und Asien verschifft.
Mittlerweile fahren auch rund 35 Züge pro Woche zwischen der chinesischen Millionenmetropole Chongqing und der 12.000 Kilometer entfernten Ruhrgebietsstadt Duisburg am Rhein – 14 Tage brauchen sie dafür. Duisburg hat weltweit den größten Binnenhafen – der ideale Umschlagort für die Weiterbeförderung der Waren nach ganz Westeuropa.
Der landgestützte Verkehr werde allerdings gemäß dem Dachser-Chef „immer eine Nische" bleiben. Derzeit werde das Äquivalent von lediglich sieben Containerschiffen pro Jahr auf der Schiene befördert, laut Prognosen würden es in den nächsten zehn Jahren auch nicht mehr als knapp fünfmal so viel im Jahr werden. Nach Berechnungen von Steve Saxon, Logistikexperte bei McKinsey in Shanghai, liegt das in erster Linie an den Kosten: Der Preis für einen Standard-Container zwischen Shanghai und Duisburg per Eisenbahn beträgt zwischen 4.000 und 6.000 Euro, ein vergleichbarer Container Shanghai-Hamburg per Schiff kommt derzeit auf rund 1.500 Euro. Diese Differenz sei einfach zu groß, so Steve Saxon, als dass die Eisenbahn gegen die Seefracht wirklich wettbewerbsfähig sein könnte, obwohl sie Waren etwa doppelt so schnell befördert. „Nur gute Neuigkeiten" verkündet hingegen der Präsident der „United Transport and Logistics Company – Eurasian Rail Alliance" (UTLC ERA), Alexey Grom. Sein Unternehmen wickelt inzwischen drei Viertel aller Schienen-Containertransporte auf der Seidenstraße ab.
Es gehört zu gleichen Teilen der russischen, der kasachischen und der belarussischen Staatsbahn und organisiert einen Teil des Gütertransits zwischen Europa und China auf der Schiene.
„Die Nachfrage der Kunden wächst", sagte Grom. So wurde jüngst ein Memorandum of Understanding zwischen seinem Unternehmen, dem Rostocker Hafen und dem Güterverkehrszentrum in Verona zur verstärkten Zusammenarbeit geschlossen. Bereits im November war eine neue Verbindung zwischen Italien und China geschaffen worden: vom Süden nach Rostock auf der Bahn, weiter mit dem Fährschiff nach Kaliningrad und dann per Bahn bis China. Der zweimalige Umschlag – Bahn/Schiff und Schiff/Bahn – ist laut Grom schneller und mitunter billiger als der direkte Bahntransport von Italien nach Kaliningrad.
„Transit ist das profitabelste Geschäft für die Infrastruktur", sagt er. „Wir versuchen, so viele Stopps wie möglich zu vermeiden." Dieser Transit schaffe außerdem zusätzliche Möglichkeiten für die drei Eigentümerbahnen im Im- und Export ihrer Staaten, etwa Holztransporte von Belarus nach China.
„Wir sind eines der wenigen Unternehmen die wachsen", sagt der UTLC-ERA-Präsident mit Blick auf die Konkurrenz auf der Schiene. „In Zukunft könnte alle 20 Minuten ein Zug fahren." Allerdings, da ist sich Grom mit den anderen Experten einig, werde die Schiene den Seetransport nicht ersetzen.