Die Cheftrainer hatten es in der vergangenen Bundesliga-Saison nicht leicht. In der Liga glich der Posten eher einem Schleudersitz, selbst Erfolg rettete den Job manchmal nicht.
Als Manuel Baum am 29. Spieltag seinen Hut nehmen musste, staunte Fußballdeutschland nicht schlecht. Der Trainer genoss im Abstiegskampf kein Vertrauen mehr. Baum war zu diesem Zeitpunkt der sechste Trainer, der in der vergangenen Saison beurlaubt wurde. Sechs Wechsel nach 29 Spieltagen – das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Dennoch stimmt die Entwicklung in der Bundesliga bedenklich. Denn auch nach der Saison wurde über Trainer diskutiert – und auch währenddessen über diejenigen, die Erfolg hatten. Der einstige Traumjob führt gleichzeitig ein wachsendes Berufsrisiko mit sich. Lutz Hangartner ist Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer, er beobachtet die aktuellen Entwicklungen genau. Trainerentlassungen in der Endphase der Saison, wie in Augsburg, seien zwar ein gängiger Mechanismus im Abstiegskampf. Schließlich wollten die Vereine dokumentieren, alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Der ehemalige Fußballdozent der Universität Freiburg registriert allerdings nun ganz neue Spielregeln. „Viele Vereine drehen zu schnell durch. Besonders in den ersten Wochen einer Saison fordere ich mehr Geduld", sagte Hangartner gegenüber der „Welt am Sonntag". Die Schwaben beurlaubten nach sieben Spieltagen ihren Trainer Tayfun Korkut, obwohl dieser in der vergangenen Saison einen herausragenden Job gemacht hat. Sein Nachfolger Markus Weinzierl lieferte nur wenige Argumente, dass diese Entscheidung die Richtige gewesen sei. Er musste selbst kurz vor Saisonende gehen, der VfB stieg dann mit dem dritten Trainer der Saison, Markus Willig, über die Relegation ab.
Absolutes Chaos in Stuttgart
Wenige Wochen nach Korkut musste Herrlich seinen Platz in Leverkusen räumen. Für ihn kam Peter Bosz, dessen Ära mal wieder mit einem Offensivorkan begann, danach kurz verflachte, um dann am Ende doch in der Champions-League-Qualifikation zu spielen. In Hannover, Nürnberg und Gelsenkirchen waren die Entscheider kaum geduldiger. Erstaunlicher als die Rauswürfe von André Breitenreiter, Michael Köllner und Domenico Tedesco wirken jedoch die Personalentscheidungen in Gladbach und Wolfsburg. In Gladbach erklärte Max Eberl den Trainerwechsel als strategischen Neuanfang, bedingt durch zwei wichtige Punkte: das Verpassen der Champions-League sowie die Verfügbarkeit von Marco Rose auf dem Trainer-Transfermarkt. Dieser folgt nun auf Hecking. Im beschaulichen Wolfsburg hingegen führten persönliche Differenzen dazu, dass Bruno Labbadia nicht über seinen auslaufenden Vertrag verhandeln wollte. Die Beziehung zu Jörg Schmadtke galt seit der Ankunft des Managers als problematisch. „Das Fußballgeschäft ist hochprofessionell. Diese Professionalität darf man von allen Beteiligten erwarten, nicht nur vom Trainer", betont Hangartner. Es sei für ihn unerklärlich, Dissonanzen mitten in einer erfolgreichen Phase öffentlich zu machen. Solch ein Verhalten gefährde die Arbeit des Trainers und sende falsche Signale. „Die Atmosphäre ist deutlich schlechter geworden. Trainer sind mittlerweile Freiwild", stellt Hangartner fest. Auch in Berlin gab es nach der abgelaufenen Saison einen Wechsel – Pal Dardai musste nach einer langen Amtszeit gehen. Das „i-Tüpfelchen" ist aber wohl die Kritik an Double-Trainer Niko Kovac. Der Kroate geriet immer wieder in die Kritik. Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge hatte ein klares Bekenntnis zu Kovac über das Ende der Spielzeit hinaus vehement vermieden. „Es gibt bei Bayern München keine Jobgarantie – für niemanden. Jeder, der bei Bayern München angestellt ist, muss liefern. Wer mit diesem Druck nicht umgehen kann, ist falsch", sagte Rummenigge bemerkenswerterweise nach dem 5:0-Sieg über Borussia Dortmund in der Sky-Sendung „Wontorra – der Fußball-Talk". Rückendeckung gab es von vielen Seiten, die prominenteste kam aus Paris. „Das ist sehr extrem, man kann es nicht greifen", sagte Thomas Tuchel, immerhin Trainer des Champions-League-Teilnehmers Paris St. Germain. Der Auftrag bei den Münchnern sei es, Titel zu holen. Das habe Kovac geschafft. Dennoch sei es der Clubführung schwergefallen, sich zu Kovac zu bekennen. „Sie haben es ihm nicht einfach gemacht, dennoch hat er geliefert", sagte Tuchel. „Es war ein schweres Jahr für die Bayern." Und dennoch wird über einen Trainer diskutiert, der einen Neun-Punkte-Rückstand aufholt, souverän Meister wird und überlegen das Pokalfinale gewinnt.
Der Umgang mit den Trainern wird aber auch von den momentan arbeitslosen Trainern mit Misstrauen verfolgt. „Das Brutale ist, dass die Trainer nicht zu lange auf einen neuen Verein warten können, weil sie schnell vergessen werden", weiß Hangartner. Dadurch steigt die Bereitschaft der Trainer, zunächst eher heikle Angebote anzunehmen. Wie Mirko Slomka, der für Karlsruhe zehn Spiele an der Seitenlinie stand und danach verschwand. Bis er nun wieder bei Hannover 96 anheuerte.
Differenzen in Wolfsburg
Ein wenig gegen den Strom schwimmt damit Hoffenheim. Zumindest theoretisch. „Bevor wir einen neuen Trainer verpflichten, prüfen wir intensiv, ob er inhaltlich und charakterlich zum Club passt. Das gilt für das gesamte Trainerteam", erklärt Alexander Rosen, Direktor Profifußball bei der TSG. Um den richtigen Trainer zu finden, ist es also elementar wichtig, die Vereinsphilosophie zu definieren. In die gleiche Kerbe schlägt auch Joachim Löw: „Manche Vereine müssen sich fragen: Für was stehen wir? Was für einen Trainer wollen wir eigentlich? Und was ist unsere Philosophie? Daran krankt es, deshalb gibt es diese vielen Wechsel." Die Erfolgsformel in Hoffenheim lautet: Offensivfußball, gespielt von möglichst vielen Talenten aus der eigenen Akademie. Der einst mutigen Entscheidung, einen 29 Jahre alten Jungspund namens Julian Nagelsmann zum Cheftrainer zu befördern, folgte deshalb Ende März der nächste ungewöhnliche Zug. Mit Alfred Schreuder wurde der Co-Trainer von Ajax Amsterdam verpflichtet – obwohl keine Cheftrainererfahrung vorhanden. „Alfred trägt die DNA unseres Vereins bereits in sich", betont Rosen. Nicht alle jungen Trainer in der Bundesliga sind aber so erfolgreich wie Julian Nagelsmann oder Florian Kohfeldt. Seit der Saison 2015/2016 arbeiteten in der Bundesliga neun Trainer, die bei ihrem Amtsantritt jünger als 40 waren. Von ihnen stehen fünf nicht mehr unter Vertrag, darunter auch Domenico Tedesco.
Der Hype kannte zu Beginn kaum Grenzen. Die Bestnote von 1,0 beim Fußballlehrer tat dazu ihr Übriges, der Klassenerhalt mit Erzgebirge Aue brachte ihn in die Bundesliga zu Schalke 04. Die vermeintliche Erfolgsgeschichte in Gelsenkirchen endete im zweiten Jahr schleichend. Tedesco schaffte es nicht mehr, dass sich das zusammengewürfelte Team für seine ausgeklügelten Matchpläne zerriss. Vorbei war die Zeit in der Bundesliga für den so hochgelobten Ausnahmetrainer.
Vertrauen in junge Trainer ein Risiko?
Einer, der den Stein eigentlich komplett ins Rollen gebracht hat, war Dieter Hecking, der nach seinem Ende bei Mönchengladbach die Entwicklung der Trainerpolitik infrage stellte. Nur um Wochen später beim HSV anzuheuern – dem Schleudersitz im deutschen Profifußball. Hecking bekam für seine Kritik mehr Zuspruch als Gegenstimmen, die gab es aber auch. Christoph Metzelder stellte sich dagegen und merkte an, dass es „zu diesem Job dazugehöre" und die Trainer oft genug davon profitieren, wenn ein anderer gehen muss. Vereinsverantwortliche weisen nicht zu Unrecht darauf hin, dass auch manche Trainer die Clubs im Stich lassen und wechseln, wenn ein attraktives Angebot lockt. Dass in ihren hochdotierten Verträgen zudem reichlich Schmerzensgeld inbegriffen sei. Und wenn Hecking so auf Kontinuität setzten will – warum dann der HSV? Wie so vieles im deutschen Fußball, hat auch diese Diskussion zwei Seiten. Wahrscheinlich würde Respekt vor Verträgen beiden Seiten guttun. Sowohl den Trainern als auch den Vereinen. Und als ob es noch eines finalen Beispiels für die Hektik des Geschäfts bedurfte, wechselte auch André Schubert noch schnell den Job. In einer spektakulären Aufholjagd rettete der 47-Jährige Eintracht Braunschweig vor dem Abstieg aus der Dritten Liga. Noch am 7. Juni gab es ein mediales Bekenntnis: „Schubert bleibt den Löwen treu", jubelten regionale Blätter. Ein Abschied aus Braunschweig sei kein Thema für ihn, erklärte Schubert selbst. Er sei in alle Transferaktivitäten eingebunden. Gut eine Woche später war alles Makulatur. Schubert heuerte beim Zweitligisten Holstein Kiel an. Die Möglichkeit habe sich ganz kurzfristig ergeben, erklärte der Trainer. Gelogen habe er nicht. Ob man’s glauben darf?