Ihr Song „Strange Fruit", der die rassistische Lynchjustiz in den Südstaaten der USA anprangert, erschütterte das Publikum und begründete ihren Weltruhm. Vor 60 Jahren, am 17. Juli 1959, starb die amerikanische Jazzsängerin Billie Holiday in New York.
Bäume im Süden tragen eine sonderbare Frucht/Blut auf den Blättern und Blut an der Wurzel/ Schwarzer Körper schaukelt in der Brise des Südens/Sonderbare Frucht hängt von den Pappeln/ … eine seltsame und bittere Ernte". Als Billie Holiday das Lied 1939 im New Yorker Café Society zum ersten Mal vor Publikum singt, ist sie bereits ein Star. Die 24-Jährige hat Platten mit Count Basie und Glenn Miller aufgenommen und tourt als Jazz- und Blues-Sängerin durch die angesagtesten Bars der Szene. Doch in Hotels muss sie statt des Fahrstuhls den Frachtenaufzug nehmen – die Rassentrennung ist Alltag in den USA.
1937 stirbt ihr Vater an einer Lungenentzündung, weil die Krankenhäuser im Umkreis sich weigern, einen schwarzen Amerikaner zu behandeln. Billie Holidays persönliche Erlebnisse korrespondieren mit dem forcierten Rassismus in der damaligen US-Gesellschaft: Vier Fünftel der Opfer von Lynchmorden in den Südstaaten sind Afroamerikaner; sechs von zehn Weißen heißen die Praxis des Lynchens, die vor allem dem Ku-Klux-Klan zur Last gelegt wird, gut. Dabei gelten nicht nur Verbrechen als gerechtfertigtes Motiv. Oft reicht die Begründung: „Die Schwarzen dürfen nicht zu aufmüpfig werden."
Mit elf vergewaltigt, im Bordell groß geworden
Billie Holiday wird am 7. April 1915 als Elinore Harris in Philadelphia geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie unter denkbar schlechten Umständen. Die Mutter ist als Kellnerin ständig in Zügen unterwegs und lässt ihre Tochter bei einer entfernten Verwandten in Baltimore zurück; der Vater kümmert sich nicht um die Familie. Als Elfjährige wird Elinore von einem Nachbarn vergewaltigt und in einem katholischen Erziehungsheim untergebracht. Dann beginnt ihre Mutter, in einem Bordell zu arbeiten. Die Tochter jobbt dort zunächst als Botin und Putzfrau, rutscht aber bald selbst in die Prostitution. Bei Razzien wird sie mehrfach verhaftet. Für schwarze Frauen aus der Unterschicht gibt es in den USA so gut wie keine angesehenen Arbeitsstellen; sie nehmen auf der sozialen Leiter die unterste Stufe ein. Diese Tatsache brennt sich früh in Elinores Gedächtnis ein. Umso stärker ist ihr Wille, ein neues und besseres Leben zu beginnen – mithilfe der Musik.
Die Legende will es, dass sie noch in einem Baltimorer Bordell die Musik von Louis Amstrong und Bessie Smith kennen- und lieben lernt. Mittlerweile lebt sie mit ihrer Mutter in New York, wo sie sich zunächst weiter als Prostituierte über Wasser hält, aber auch ihr Talent als Sängerin entdeckt. 1929 tritt sie erstmals unter dem Künstlernamen Billie Holiday in den Nachtclubs von Harlem auf – und wird entdeckt. John Hammond, ein gutsituierter Jazzfan, stellt den Kontakt zu einer Plattenfirma her und finanziert ihre erste Aufnahme. Begleitet wird sie dabei von einer Band, die von Benny Goodman geleitet wird. Danach geht es Schlag auf Schlag: Aufnahmen mit Jazzgrößen wie Buck Clayton, Teddy Wilson und Lester Young folgen. Letzterer verpasst ihr den Spitznamen „Lady Day". 1933 wird „Riffin’ The Scotch" Lady Days erster Plattenhit; Auflage: 5.000 Stück.
1937 ist Billie Holiday mit dem Count Basie Orchestra unterwegs; 1938 tourt sie als erste schwarze Sängerin mit einem gemischten Orchester an ihrer Seite, der Artie Shaw Band, durch die USA. Schon damals bezaubert sie mit ihrem außergewöhnlichen Improvisationstalent, das sie unverwechselbar machen wird. Billie Holiday rückblickend: „Ich halte es nicht aus, ein und denselben Song an zwei aufeinanderfolgenden Nächten auf dieselbe Weise zu singen, geschweige denn zwei oder zehn Jahre lang. Wer dazu in der Lage ist, macht nicht Musik. Sowas ist militärischer Drill oder Exerzitien oder Jodeln oder sonstwas, aber keine Musik." 1938 stürmt ein Holiday-Song erstmals die Charts: „I’m Gonna Lock My Heart".
Auf der Bühne gefeiert, im Alltag diskriminiert
In den Konzertsälen rührt die Sängerin mit der weißen Gardenie im Haar ihr Publikum mit einer überaus emotionalen und authentischen Darbietung zu Tränen; fernab der Bühne ist sie weiterhin Diskriminierungen ausgesetzt. Während die weißen Musiker durch den Vordereingang gehen, dürfen sie und ihre schwarzen Kollegen nur den Lieferanteneingang benutzen. Man steckt sie in schäbige Garderoben ohne Fenster. Angeblich musste sie sich bei einigen Auftritten sogar ihr Gesicht schwärzen, weil ihre relativ helle Hautfarbe Anstoß erregte. Doch Billie Holiday lässt sich nicht entmutigen. Ihren Schmerz und ihre Abscheu verarbeitet sie 1939 in „Strange Fruit". Bis heute regt dieser hochemotionale Song viele Künstler zu eigenen Interpretationen an; darunter Eartha Kitt, Nina Simone, UB40 und Sting.
In den 40er-Jahren veröffentlicht Billie Holiday mehrere Alben auf dem Label Decca. Sie sind zwar sehr erfolgreich, lassen die anspruchsvolle Sängerin aber künstlerisch unbefriedigt zurück. Monumentale Instrumentierungen der begleitenden Orchester überdecken ihre Stimme, die sie selbst wie ein Instrument benutzt. Deren Umfang ist zwar nicht allzu groß, doch die Künstlerin steigert Ausdruck und Intensität durch den bewussten Einsatz von Atem, Diktion, Phrasierung und Rhythmus auf unverwechselbare Art. Mit großen Streichorchestern können ihre einzigartigen Improvisationen jedoch nicht strahlen. Billie Holidays Credo: „Es kommt alles, wie ich’s fühle. Ich hasse es, ein Lied so zu singen, wie es auf dem Papier steht. Ich muss eine Melodie so ändern, dass sie zu mir passt. Das ist alles, was ich weiß."
Früher Tod mit 44 wegen Leberzirrhose
Als die Sängerin durch ihren Ehemann Jimmy Monroe mit Drogen in Kontakt kommt, erkennt sie darin die Möglichkeit, ihrer wachsenden Unzufriedenheit zu entkommen. Sie nimmt Heroin und flüchtet sich in Alkohol- und Liebesexzesse. Auf Gefängnisaufenthalte und Entziehungskuren folgen immer wieder künstlerische Hochphasen, die sie am Leben erhalten. 1952 hat sie das Glück, dem berühmten Produzenten Norman Granz zu begegnen. Er nimmt sie für sein Label Verve Records unter Vertrag und lässt ihr große künstlerische Freiheit. Endlich darf sie sich diejenigen Musiker aussuchen, mit denen sie schon immer arbeiten wollte – die besten und angesehensten der damaligen Jazzszene. In den folgenden fünf Jahren macht sie mehr als 100 Aufnahmen, die trotz ihrer angeschlagenen Stimme zu ihren erfolgreichsten gehören.
Am 17. Juli 1959 stirbt Billie Holiday im Alter von 44 Jahren in New York an Leberzirrhose. Einer ihrer Wahlsprüche lautete: „Wie sagte jemand so schön: Man weiß nie, was genug ist, bevor man nicht weiß, was mehr ist als genug."