An alten Meistern nagt der Zahn der Zeit. Viele Schätze in den Berliner Museen wären ohne die Arbeit der Restauratoren längst verloren gegangen. Mit neuester Technik und viel Fingerspitzengefühl lassen sich dabei viele Entdeckungen machen – so auch bei Renaissancekünstlern aus der Zeit von Mantegna und Bellini.
Mitte des 15. Jahrhunderts, Renaissance in Italien. In den Werkstätten unzähliger Maler entstehen Werke, über die die kunstbeflissene Nachwelt noch Jahrhunderte später staunt. Im norditalienischen Padua widmet sich nun auch Francesco Squarcione der Malerei, nachdem er seinen Lebensunterhalt in jüngeren Jahren als Schneider und Sticker bestritten hatte. Squarcione malt, was man so malt zu dieser Zeit – Szenen aus dem Leben eines Heiligen und immer wieder die „Madonna col bambino" – Maria mit Kind. Zu den wenigen erhaltenen Werken, die dem Künstler aus Padua heute eindeutig zugeordnet werden können, zählt eine Madonna mit einem düsteren, golden gesäumten Kapuzenmantel. Im Arm das heilige Kind, hinter ihr ein scharlachroter Vorhang. Kerzenleuchter und bunte Girlanden rahmen das Ensemble ein.
Ziel: ursprünglichen Zustand herstellen
Rund 400 Jahre später nimmt ein deutscher Kunsthistoriker die Madonna, die Squarcione einst im Auftrag der paduanischen Familie Lazzara auf die Leinwand gebracht hatte, in Augenschein. Es ist Wilhelm Bode, der spätere Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin. In seinem Gutachten schreibt er: „Gelitten hat das Bild besonders im Fleisch des Kindes, das einige grobe Retouchen zeigt, unter anderem im Mantel der Maria, der mit einer modernen Lasur (transparente Beschichtung, Anm. d. Red.) bedeckt ist." Der Museumsfachmann kaufte das Gemälde trotzdem. Bis heute ist es im Besitz der Berliner Gemäldegalerie.
Doch bevor man es im kaiserlichen Berlin auf der Museumsinsel der Öffentlichkeit präsentierte, wurde Squarciones Gemälde gründlich restauriert. Vom „Fleisch des Kindes", beziehungsweise an den von Bode bemängelten Retuschearbeiten ihrer Vorgänger, ließen die Berliner Restauratoren der Kaiserzeit die Finger. Dafür gingen sie an den Bildrändern beherzt zu Werk. Wie stark das Bild seinerzeit verändert wurde, beschreibt Maria Zielke, Restauratorin im Berlin des 21. Jahrhunderts, im aktuellen Blog der Staatlichen Museen.
Schadhafte Teilflächen der Girlanden wurden mit deckender Ölfarbe übermalt. Die Kerzenleuchter bekamen durch die Arbeit der Restauratoren sogar eine völlig andere Anmutung. Seit dem Eingriff in den 1880er-Jahren erscheinen sie messingfarben, während Squarcione sie vergoldet und mit feinen Linien schwarz schattiert hatte.
Dass die Berliner Restauratoren das Renaissance-Gemälde in jüngster Zeit wieder auf den Prüfstand stellten, ist der großen „Mantegna und Bellini"-Ausstellung in der Gemäldegalerie geschuldet, die gerade zu Ende gegangen ist. Der geniale Andrea Mantegna war der Adoptivsohn Squarciones und hatte in dessen Werkstatt gelernt – bewies jedoch viel mehr Talent als sein Meister. Bei der Vorbereitung der Ausstellung mit Werken der beiden Renaissance-Meister rückten auch Werke aus ihrem Umfeld ins Visier der Kuratoren, darunter das Ölbild Squarciones.
„Bevor ein Gemälde in eine Ausstellung kommt, wird sein Zustand von einem Restaurator oder einer Restauratorin untersucht", betont Maria Zielke, die das Mantegna-Bellini-Projekt begleitet hat. Dabei, so erklärt die Expertin, geht es zum einen darum, das Bild in einen präsentierfähigen Zustand zu bringen. Viel wichtiger aber ist es festzustellen, ob konservatorische Maßnahmen notwendig sind, um das Gemälde fit für den Transport zu machen. „Denn wenn Kunstwerke als Leihgabe verschickt werden, bedeutet das immer Stress – nicht nur für die verantwortlichen Fachleute, sondern auch für das Material, das trotz Hightech-Verpackungen Erschütterungen ausgesetzt ist", sagt Zielke und erinnert sich daran, wie aufregend es war, mit einem „Alten Meister" auf dem Canal Grande durch Venedig zu schippern.
Die Madonna aus Padua musste für die Mantegna-Bellini-Ausstellung nicht auf Reisen gehen. Sie wurde, rund 140 Jahre nach dem Ankauf durch Bode, zeitgemäß aufgefrischt. Maria Reimelt, eine Kollegin Zielkes, entfernte den stark vergilbten Schutzanstrich, den die Experten Firnis nennen, und mit einem Skalpell die fleckigen Übermalungen der Kindeshaut. Neuere Fehlstellen im Bild wurden mit Kreidekitt geschlossen und anschließend mit wasserlöslicher Gouache (Farbmittel aus gröberen Pigmenten, Anm. d. Red.) retuschiert. Zum Schluss hat Reimelt Squarciones Gemälde mit einem frischen Firnis, einem klaren Schutzanstrich versehen, der den Farben wieder einen tiefen Glanz verleiht.
Mit UV und Infrarot auf Spurensuche
Ein Teil der großflächigen Übermalungen, die Restauratoren in früheren Epochen vorgenommen hatten, wurde dagegen beibehalten. „Übermalungen betrachten wir heute als Teil der Bildgeschichte", sagt Maria Zielke. Diese Geschichte zu dokumentieren, sei ein Teil dessen, was heutige Restauratoren als ihre Aufgabe verstehen. Moderne Analyseverfahren mit Infrarot- und UV-Strahlen sowie mikroskopische Untersuchungen können jedoch Hinweise auf das ursprüngliche Erscheinungsbild eines Gemäldes geben.
Im Falle Squarciones haben die Berliner Restauratoren beispielsweise erst kürzlich herausgefunden, dass ein Vertreter ihrer Zunft vor rund 250 Jahren verheerenden Schaden angerichtet hatte. Damals befand sich die Madonna mit dem Kapuzenmantel im Besitz des venezianischen Kunsthändlers und Restaurators Giovanni Maria Sasso. Die heutigen Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass Sasso durch eine allzu intensive Reinigung Teile des Bildes unwiederbringlich zerstört hat. Daraufhin griff der Venezianer zu deckenden Ölfarben und übermalte die Girlanden, den Vorhang sowie den Mantel. Unter dem Mikroskop traten Reste der ursprünglichen Farbschicht zum Vorschein – Squarcione, das weiß man jetzt, hatte seine Maria in leuchtendes Azurblau gekleidet.
Bisweilen können moderne Analyseverfahren zudem unter Kunsthistorikern heiß diskutierte Fragen lösen. Wer malte das Original, wer die Kopie? Auch im Falle der beiden Renaissance-Meister Andrea Mantegna und Giovanni Bellini ist das ein zentrales Thema. Beide Künstler – durch Heirat Mantegnas mit Bellinis Schwester waren sie sogar verschwägert – haben sich zeitlebens beeinflusst und fanden in den Bildern des jeweils anderen Inspiration. Verblüffende Ähnlichkeit weisen ihre Gemälde „Darbringung Christi im Tempel" auf – eine Bibelszene, die sowohl Bellini als auch Mantegna auf die Leinwand brachten. Röntgenuntersuchungen in Berlin haben gezeigt, dass Mantegna die Figurengruppe in seinem Bild während des Malprozesses noch stark veränderte. Bei Bellini hingegen fehlen solch starke Überarbeitungen. Für die Berliner Restauratoren ein Indiz dafür, dass Mantegna gewissermaßen das Original geschaffen und Bellini dieses später kopiert und weiter variiert hat. „Das Ergebnis freut uns natürlich", sagt Zielke mit gewissem Stolz. „Es wertet Mantegnas Gemälde, das zur Sammlung der Gemäldegalerie gehört, nochmals auf. Denn er schuf eine vollendete Komposition, die nicht nur von Bellini sondern auch von anderen Renaissancekünstlern aufgegriffen wurde."