Um ehemaligen Straftätern den Übergang von der Haft in die Freiheit zu erleichtern, steht ihnen das Nachsorgezentrum der JVA Ottweiler offen.
Dort können sie wohnen, bis ihr neues Leben in geordneten Bahnen verläuft. Nach der Vorstellung der Landesregierung soll jetzt ein neues Eingliederungsgeld junge Strafgefangene zu mehr Eigenverantwortung während der Haft anhalten.
Sebastian Webers kann durch das Fenster seines Zimmers auf eine idyllische Anhöhe mit Wiese und Bäumen blicken. Wenige Meter entfernt ragen die mit Stacheldraht bewehrten Mauern der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ottweiler auf. Ausgerechnet für diesen Ausblick im sogenannten Nachsorgehaus, unweit der JVA, entschied sich der junge Mann nach seiner Entlassung. „Ich brauche feste Strukturen und klare Ziele, die ich verfolgen kann", sagt Webers mit ruhiger Stimme. Ein Sozialarbeiter des Kompetenzzentrums der Justiz für ambulante Resozialisierung und Opferhilfe unterstützt ehemalige Häftlinge wie ihn dabei, das Leben draußen zu organisieren.
Das erklärte Ziel dabei ist es, das Leben nach der Haft in geordnete Bahnen zu lenken, eine Arbeit oder Ausbildungsstelle zu finden, ein selbstständiges Leben zu führen. Denn der Erfahrung nach fallen viele nach ihrer Entlassung in das sprichwörtliche Loch und geraten wieder auf die schiefe Bahn.
Der heute 23-Jährige kennt den Alltag hinter Gittern nur zu gut, er war bis September 2018 in der JVA inhaftiert. Weil ihn der Haftrichter wegen 127 Einbruchsdelikten sowie Zweirad-Diebstählen, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Schwarzfahren für schuldig gesprochen hatte, musste er eine Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten verbüßen. Eigentlich sollte er sogar sieben Monate früher entlassen werden – vor allem wegen guter Führung, und weil er in der JVA viel gearbeitet hatte. „Die ersten zwei, drei Monate waren die schlimmsten. Ich musste den Luxus, den ich vorher hatte, vom einen auf den anderen Tag aufgeben", sagt Webers. Doch dann der Rückschlag: Er war schon Freigänger, da schmuggelte er – offenbar für einen Mithäftling – Drogen in die JVA und flog damit auf. Deshalb musste er die Haftstrafe bis zum letzten Tag verbüßen.
Webers wohnt jetzt in einem kleinen, spartanisch möblierten Zimmer mit Toilette und Dusche. 120 Euro Kaltmiete zahlt er monatlich. Allein die Stahltür zu seinem Zimmer erinnert an eine Gefängniszelle. Der Unterschied zu „drinnen": Webers hat einen Schlüssel für sein Zimmer. „In der JVA war mein Leben 24 Stunden und sieben Tage in der Woche fremdbestimmt. Auf der einen Seite hatte ich überhaupt keinen Bock rauszukommen, weil ich nicht den geregelten Tagesablauf aufgeben wollte. Andererseits freute ich mich wieder auf Freiheiten wie ein eigenes Handy, Freunde zu treffen und meine Eltern zu besuchen", erinnert sich Webers.
Nachsorge schließt eine Lücke
Der junge Mann wohnt zurzeit mit zwei anderen Mietern in WG-ähnlichen Verhältnissen. Eine Küche und eine Waschmaschine kann jederzeit genutzt werden. Bei allen Annehmlichkeiten gibt es auch Verbote: Das Nachsorgehaus ist drogenfreie Zone, nur Alkohol ist erlaubt. Womit Webers aber offenbar kein Problem hat. Allenfalls die Lage des Nachsorgezentrums sei ein wenig ungünstig, sagt Webers. Vor allem, wenn er zum Bahnhof gehen oder einkaufen müsse. Ansonsten sei er aber ein zufriedener Mieter.
„Man wusste 2008 nicht, wie das Nachsorgehaus angenommen wird, also ob überhaupt jemand nach der Haftentlassung hierherzieht", erklärt Sozialarbeiter Dirk Drumm. Wenn niemand in das Nachsorgehaus eingezogen wäre, hätte man die Einrichtung als Hafthaus nutzen können. Zu diesem Zweck sei damals ein bis heute nicht genutzter Wachraum für einen JVA-Beamten eingerichtet worden, sagt der Fallmanager. Drumm kümmert sich nicht nur um die Mieter im Nachsorgezentrum, er leitet sechs Monate vor Haftende die Entlassungsvorbereitung für das Leben in der Normalität ein und betreut auch ehemalige Straftäter ambulant. „Der Gedanke der Nachsorge ist, einen nahtlosen Übergang von der Haft in die Freiheit zu schaffen", erläutert Drumm. Die Nachsorge habe eine Lücke geschlossen für die, die nach der JVA keine Bewährung oder Führungsaufsicht bekämen. Insofern verstehe sich das Nachsorgezentrum als ergänzendes Angebot zur Bewährungshilfe.
Trotz seines Rückfalls könne man Sebastian Webers als Paradebeispiel eines resozialisierten Straftäters bezeichnen, sagt Drumm. Webers hatte sich in der JVA ein kleines Polster angespart. Davon konnte er zumindest die 360-Euro-Kaution für das Zimmer im Nachsorgehaus bezahlen. „Viele stehen nach der Haftentlassung aus der JVA erst einmal vor einer Versorgungslücke", weiß Drumm. Meist reiche das Geld nicht aus, um den Start in ein selbstständiges Leben zu meistern. „Leistungen vom Jobcenter werden erst nach der Bearbeitung des Antrages, meist erst nach ein bis zwei Wochen gezahlt, da der Antrag erst am Entlassungstag gestellt werden kann. In dieser Zeit ist der Entlassene nicht selten ohne finanzielle Mittel", weiß Drumm aus Erfahrung.
Genau diese Lücke sollte einst das Überbrückungsgeld schließen, das aber im Januar 2008 mit Inkrafttreten des Jugendstrafvollzugsgesetzes abgeschafft wurde. Jeder JVA-Häftling war laut saarländischem Justizministerium verpflichtet, für die besonders schwierige Zeit nach der Entlassung einen Geldbetrag anzusparen. Das Überbrückungsgeld erfüllte in vielen Fällen aber nicht den ursprünglichen Zweck, nämlich die Gefangenen während der Zeit der Entlassung abzusichern, heißt es aus dem Ministerium. Es stellte sogar ein „Wiedereingliederungshindernis" dar. Konkret heißt das: Jobcenter und Arbeitsagentur verweigerten – mit der Begründung, dass es das Überbrückungsgeld gebe – entsprechende Leistungen wie Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe. Ein weiteres Problem: Weil die Häftlinge nicht ALG II beziehen durften, konnten sie auch nicht gesetzlich krankenversichert werden.
Webers beginnt nun eine Ausbildung
Jetzt will das CDU-geführte Justizministerium unter der Leitung von Peter Strobel mit einem neuen Eingliederungsgeld Jugendstrafgefangene zu mehr Eigenverantwortung und Selbstständigkeit anhalten. Das Gesetzesvorhaben hat die CDU/SPD-Landesregierung unlängst in den saarländischen Landtag eingebracht. Das Eingliederungsgeld zielt darauf, jungen Häftlingen eine „strukturierte Möglichkeit zum freiwilligen und pfändungsgeschützten Ansparen von Geld für die Entlassungsvorbereitung und die Zeit nach der Entlassung zu geben", erklärte Strobels Sprecherin Sirin Özfirat. Anders als das ehemalige Überbrückungsgeld stelle das Eingliederungsgeld keine zwangsweise Einbehaltung eines Teils der Gefangenenvergütung dar. Nach der Vorstellung des Justizministeriums soll das freiwillig angesparte Eingliederungsgeld nicht den Lebensunterhalt nach der Entlassung sichern, es ist für „Ausgaben zur Vorbereitung und Erleichterung der Eingliederung" gedacht. Beispielsweise könnten die Gefangenen bei Abschluss eines Mietvertrags eine Kaution bezahlen, einen Personalausweis anschaffen oder Kleidung kaufen. Ebenfalls soll es die spätere Eingliederung erleichtern, wenn die Häftlinge eine Geldstrafe bezahlen, um damit eine Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden oder eine Entschädigung an die Opfer ihrer Straftaten zahlen.
Dirk Drumm nennt dieses Vorhaben „einen Schritt in die richtige Richtung". Trotzdem müsse man abwarten, wie das Ganze in der Praxis umsetzbar sei. Immerhin sei es eine freiwillige Sache und nicht alle jungen Strafgefangenen besäßen die nötige Weitsicht. „Die Jugendlichen zu diesem Ansparen zu motivieren, wird dann Aufgabe der Sozialarbeiter im Vollzug sein", stellt Drumm fest. Er äußert aber auch die Befürchtung, dass jene durchs Raster fielen, die selbstverschuldet ihre Arbeit verloren hätten und kein Geld mehr verdienen könnten. „Es kann sein, dass jemand einige Monate ohne Arbeit ist, wenn keine geeignete Arbeit gefunden wird. Dann wird es eng mit dem Ansparen", gibt Drumm zu bedenken. Vom Grundsatz her halte er eine solche Maßnahme für sinnvoll.
Sebastian Webers scheint auf einem guten Weg in ein geregeltes Leben zu sein – von dem einen oder anderen Durchhänger einmal abgesehen. Er durchläuft seit 1. Januar bei einer in Saarbrücken ansässigen Firma eine Einstiegsqualifizierung zum Anlagenmechaniker für Sanitär, Heizung und Klimatechnik. Im August, so ist sein Plan, will er eine Ausbildung beginnen. „Mir macht der Beruf Spaß, auch wenn die Arbeitszeiten besser sein könnten", sagt er. Schon jetzt mache er fast jeden Tag Überstunden, muss werktags um 4.30 Uhr aufstehen. Bereits während der Haftzeit hat er sich weiterqualifiziert und an vier Ausbildungsmodulen teilgenommen. Der Vorteil: Er kann mit Vorkenntnissen punkten und sich diese Zeit für seine Ausbildung anrechnen lassen. „Irgendwann ist der Zeitpunkt des Auswilderns gekommen", sagt Drumm und lächelt. Wann Webers so weit ist, dass er eigenständig ohne Betreuung draußen leben kann, ist zwar ungewiss. Doch zumindest scheint er bereit, diesen Schritt zu gehen.