Die Landeshauptstadt Saarbrücken lädt zum 20. Mal zu den „Tagen der Bildenden Kunst" ein. Zu den 85 Ateliers und Ausstellungsräumen, die am letzten September-Wochenende ihre Türen öffnen, gehört auch die „Ateliergemeinschaft 111" mit Laura Sperl und Jules Meiser.
Wer in Saarbrücken häufiger ein „Knöllchen" erhält, der weiß, dass das Ordnungsamt in der Großherzog-Friedrich-Straße 111 beheimatet ist. Unter derselben Adresse haben auch fünf Künstlerinnen und Künstler im Hinterhof ihr Atelier bezogen und sich im Hinblick auf die Hausnummer als „Ateliergemeinschaft 111" betitelt.
Aktuell sichten Laura Sperl und Jules Meiser nicht nur ihre Werke, um zu entscheiden, was sie dem Publikum an den „Tagen der Bildenden Kunst" präsentieren, sondern sie organisieren auch ihre Ateliergemeinschaft neu. Zwei Künstler sind gerade ausgezogen, dafür kommen mit Katharina Hamp und Richard Engel zwei neue hinzu. Tim Jungmann bleibt der Ateliergemeinschaft erhalten. Sie sind allesamt Studenten beziehungsweise Meisterschüler an der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK).
Meisterschüler ihres Faches
Der 1989 geborene Jules Meiser hat Freie Kunst bei Katharina Hinsberg und Georg Winter studiert und bereits 2017 sein Diplom abgelegt. Seither ist er Meisterschüler bei Prof. Winter, und seit Kurzem macht er auch noch eine Schreinerlehre, bei der er seine handwerklichen Fähigkeiten weiter vertiefen möchte. Sein Arbeitsbereich innerhalb des großen Atelierraumes ist leicht auszumachen: eine Werkbank mit verschiedenen Utensilien zur Holzbearbeitung. Die Ästhetik des Materials hat es ihm angetan, die Doppeldeutigkeit von Funktionalität im Dialog mit formalen Aspekten beschäftigt ihn in all seinen Arbeiten. Was umgibt uns täglich? Wie verändert sich das Material, wenn wir unseren Blickwinkel verändern? Diesen Fragen geht Jules Meiser nach, wenn er zum Beispiel industriell gefertigte Styroporverpackungen in ein Holzmodell überträgt. Es geht ihm um das Material an sich, wenn er das Wegwerfprodukt aus funktionalem Styropor in ein Modell aus Eichenholz verwandelt und es dadurch veredelt. „Für mich ist es spannend, Dinge aus dem Alltag wahrzunehmen, Modelle aus dem Baumarkt in ein anderes Licht zu rücken, um die Wahrnehmung zu verschieben – aus dem Ready-made-Gedanken heraus", erklärt Jules seine Vorliebe für Streifzüge durch Baumärkte. „Das Material erzählt viel, wenn es in einem neuen Blickwinkel präsentiert oder gar zur benutzbaren Skulptur wird", erläutert er im Rückblick auf eine seiner installativen Arbeiten der vergangenen Jahre. Er hat eine nicht mehr genutzte Kegelbahn in einem kleinen Dorf abgebaut, und sie in München als Raumskulptur, als benutzbare Skulptur im öffentlichen Raum, wieder aufgebaut. Neben der Auseinandersetzung mit dem Material als Träger von Botschaften und Wahrnehmungsprozessen sind ihm Interventionen im Stadtraum beziehungsweise die Konstruktion von „Stadtutopien" ebenso wichtig für sein künstlerisches Arbeiten. So hat er im vergangenen Jahr als Mitglied der temporären Arbeitsgemeinschaft „Volume V" (initiiert von Georg Winter) die Besucher der Mannheimer Kunsthalle mit der Installation einer „Baracke" überrascht. Aus einer verlassenen Kasernenstadt der US-amerikanischen Armee wurde eine ehemalige Zahnklinik abgebaut und vor dem Eingangsbereich der Kunsthalle neu installiert. Die „Baracke" vor der Kunsthalle diente nicht nur als Werkstatt für Workshops und Bildungsprogramme, sondern unterstützte auch den von der Kunsthalle propagierten Wunsch, die eigenen vier Wände zu verlassen und in den Stadtraum einzugreifen. „Uns war auch der architektonische Bezug wichtig, wir haben der musealen Kunst der Kunsthalle etwas Sperriges entgegengesetzt", erläutert Jules Meiser die vielfältigen Aspekte der „Baracken"-Intervention. Als völlig sinnfrei sieht er sein aktuelles „Rollladen-Modell", das er in Anlehnung an Modelle aus dem Baumarkt konstruiert hat. Wiederum interessiert ihn der Modellcharakter, hier mit dem Einsatz von unterschiedlichen Farben als zusätzliche Information. Im Studium bei den Professoren Hinsberg und Winter hat er vor allem eines gelernt: „Machen! Umsetzen! Es geht nicht darum, dass Dinge immer fertig sein müssen. Auch Interventionen im Stadtraum sind ambivalent, vielleicht nicht perfekt, aber damit lassen sie auch verschiedene Assoziationen zu."
Stadtutopien prägen die Arbeit
Die 25-jährige Laura Sperl ist seit 2016 ebenfalls im Fach Freie Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar eingeschrieben. Nach einem vorbereitenden Jahr als Gaststudentin an der HBK, studiert sie jetzt im sechsten Semester bei Katharina Hinsberg und Gabriele Langendorf. Schon als Gaststudentin hat sie sich auf das Zeichnen konzentriert. Auch heute ist ihr das Zeichnen immer noch wichtig: als Schnittstelle zwischen Schreiben und Malen, und auch um sich einem Thema beziehungsweise einer Bildidee zu nähern. „Wenn ich ins Atelier komme, zeichne ich zuerst 30 Minuten. Das ermöglicht mir hernach ein konzentriertes Arbeiten", formuliert Sperl ihre Arbeitsweise. Zum Arbeiten braucht sie Ruhe und Ordnung. Bei ihr hat alles seinen Platz. Stifte, Materialien, Skizzen und vor allem ihre Notizbücher, die sie in einem Koffer aufbewahrt. „Beim Schreiben halte ich meine Ideen fest. Schreiben bedeutet, Bilder mit Wörtern zu erzeugen, mit einer anderen Abfolge als bei einem Bild. Wörter behaupten Dinge, sie haben einen anderen Anspruch an die Wahrheit. Ein Text hat einen Anfang und ein Ende, bei einem Bild ist alles auf einmal da", reflektiert Sperl über die Bedeutung des Schreibens.
Ein Semester in Südkorea
Vor zwei Jahren hat sie ein Auslandssemester in Südkorea absolviert. Das sei eine spannende Erfahrung gewesen. Denn wie sie vor Ort feststellte, wurden die Vorlesungen und Seminare auf Koreanisch – und nicht wie vorher angekündigt – auf Englisch abgehalten. In Südkorea hat sie eine Serie begonnen, die sie heute noch beschäftigt: Sie hat Fotografien von fahrenden Menschen aufgenommen, der verträumte, abwesende Blick im Gegensatz zur unverträumten Realität interessierte sie hierbei. Die ursprüngliche Serie hat sie in einem kleinen Format realisiert, wie sie überhaupt kleine Formate bevorzugt. Jetzt hat sie eine Fotografie in ein Großformat übertragen und zwar in Öl auf Leinwand. „Ideen haben keine Größe. Dennoch hat mich hier die Umsetzung in ein Riesenformat gereizt. Ich bin noch nicht fertig damit, denn die Umsetzung ist ganz anders als bei einem kleinen Format, bei dem auch die Bewegung klein ist und sich nur meine Hand bewegt. Bei diesem großen Format bin ich mit meinem ganzen Körper dauernd in Bewegung, denn ich muss die Malerei aus der Distanz sehen und bewerten, vor der Leinwand auf und ab gehen. Das großformatige Bild hat daher gewissermaßen die Kontrolle über mich übernommen", führt Laura Sperl aus.
Daneben beschäftigt sie sich derzeit mit verschiedenen Gruppierungen von Stecknadeln und erörtert dabei die Frage, ob es sich bei einer vielfarbigen Stecknadel-Versammlung um ein „Rudel" handelt. Vielleicht auch um eine Zwangsgemeinschaft? Auslöser für diese Fragestellung ist ein HBK-Seminar des letzten Sommersemesters mit dem Titel „Design und Demokratie" bei Georg Winter und Christian Bauer. Zu einem „bunten" Nadelobjekt haben sich mittlerweile weitere Nadel-Formationen hinzugesellt. Die Komplementärfarben Rot und Grün hat sie auch formal entgegengesetzt angeordnet, gewissermaßen als „Gegner" aufgestellt. Die Nadelobjekte sind jedoch nur eine visuelle Umsetzung ihrer in den Notizbüchern schriftlich thematisierten Fragestellungen, was Demokratie bedeutet. An den „Tagen der Bildenden Kunst" können Kunstinteressierte sowohl über den Begriff von Demokratie als auch über Maltechniken, Arbeitsweisen und die Nützlichkeit von Modellen mit den Künstlerinnen und Künstlern der „Ateliergemeinschaft 111" diskutieren. „Wir präsentieren eine Mischung aus Arbeits- und Ausstellungssituation mit aktuellen Arbeiten, denn wir wollen zeigen, was wir machen und mit den Besuchern darüber reden. Wir freuen uns auf spannende Gespräche", fasst Laura Sperl die Erwartungen zusammen.