Da die Verfolgungsbehörden Al Capone keines seiner zahlreichen Schwerststrafdelikte nachweisen konnten, konnten sie ihn schließlich mithilfe des Bagatellvergehens Steuerhinterziehung hinter Gitter bringen.
Eigentlich hätte Brian de Palma in seinem Krimiklassiker „Die Unbestechlichen" aus dem Jahr 1987 einem gewissen Manley Sullivan zumindest die Rolle einer heimlichen Hauptfigur zuweisen müssen. Denn diesem kleinen, südkalifornischen Prohibitionsprofiteur, der es im Alkoholschmuggel durchaus zu einem gewissen Reichtum gebracht hatte, war es letztendlich zu verdanken, dass der große Al Capone hinter Gitter gebracht werden konnte. Im Fall Sullivan wurde am 16. Mai 1927 durch den Supreme Court ein Exempel statuiert. Denn das oberste Gericht der USA stellte in seinem richtungsweisenden Urteil gegen den Kleinganoven unmissverständlich klar, dass auch Einkommen aus illegalen Geschäften versteuert werden und daher dem nach verschiedenen Anläufen im Jahr 1913 endgültig etablierten US-Einkommenssteuergesetz unterliegen müssen.
Al Capone wird von diesem für ihn gravierenden Entscheid keinerlei Notiz genommen haben. Wohl aber die Chefs des ebenfalls erst im Jahr 1913 gegründeten Internal Revenue Services (IRS), einer dem US-Finanzministerium direkt unterstellten Bundessteuerbehörde. Denn diese erkannte in dem Urteil nicht nur eine große Chance, aus verbrecherischen Deals erzielte Gewinne abschöpfen zu können, sondern die Gangster, denen weitaus schlimmere Straftaten mangels Beweisen nicht nachgewiesen werden konnten, wenigstens wegen Steuerhinterziehung anklagen zu können. Die Fahnder des IRS stützten sich bei ihren Ermittlungen auf die sogenannte Nettowertmethode, um nachweisen zu können, dass die belegbaren Kosten nicht zu den von ihnen gemachten Steuererklärungen passten.
Mangelnde Beweise schlimmer Straftaten
Al Capone soll niemals eine Steuererklärung abgegeben haben. Er spielte in der Öffentlichkeit am liebsten die Rolle des bescheidenen Geschäftsmanns, fürsorglichen Familienvaters und Wohltäters der Bedürftigen. Über seine finanziellen Verhältnisse konnte kein Außerstehender Einblick erhalten, weil er über keinerlei Bankkonten verfügte und sämtliche Ein- wie Ausgaben bar erledigte. Der protzige Mafia-Chef war auf dem Papier ein armer Schlucker, dessen jährliche Einkünfte die IRS-Ermittler allerdings auf mehrere Hundert Millionen Dollar jährlich schätzten. Grund genug, dass Al Capone gemeinhin als Erfinder der Geldwäsche bezeichnet wird. Zumal er sich selbst bei seinem Prozess 1931 auf die Frage nach seinem Beruf als „im Wäsche-Business tätig" deklariert hatte. Tatsächlich hatte er sich im Laufe der Jahre zur Verschleierung seiner Einkünfte aus seinen illegalen Geschäftsfeldern eine ganze Kette von Waschsalons zusammengekauft, in denen eine unübersichtliche Menge von Bargeld anfiel. Das Wort „Geldwäsche" war damals allerdings noch unbekannt und sollte überhaupt erst in den 1980er-Jahren zu einem offiziellen Strafdelikt in den USA werden.
Ab 1927 machten sich die Steuerfahnder auf die Suche nach dem Geld oder irgendwelchen belastenden Belegen. Zunächst waren sie dabei ziemlich erfolglos. Dann kam der Amtsantritt von US-Präsident Herbert Hoover 1929, der den Sturz des Mafia-Bosses ganz oben auf seine Agenda gesetzt hatte. Capone sah sich nun von zwei unterschiedlichen Richtungen gleichzeitig angegriffen: Zum einen von der Gruppe rund um den Prohibitionsagenten Eliot Ness. Zum andern die vom IRS-Direktor Elmer Lincoln Irey zusammengestellte Sondertruppe namens „T-men".
Präsident Hoover stand zudem in engem Kontakt zur „Chicago Crime Comission" (CCC), einer schon 1919 gegründeten privaten Initiative zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption, deren Vorsitzender Frank J. Loesch das US-Staatsoberhaupt im März 1930 dringlichst gebeten hatte, Al Capone endlich zu Fall zu bringen. Einen Monat später veröffentlichte die CCC eine spektakuläre Liste der „Public Enemy" (= Feind der Gesellschaft), in der Al Capone auf Platz eins rangierte. Diese Liste wurde in leicht abgeänderter Form am 24. April 1930 in der „Chicago Tribune" mit Al Capone auf dem Spitzenplatz abgedruckt. Von da an wurde es vor allem in der Presse üblich, Scarface als „Staatsfeind Nr. 1" zu titulieren. Die Liste sollte 1950 FBI-Chef Edgar Hoover als Vorbild für seine berühmten Steckbriefe „Ten Most Wanted Fugitives" (= die zehn meistgesuchten Flüchtigen des Landes) dienen.
Frank J. Wilson, der als geradezu manischer Steuerfahnder beschrieben wurde, lief mit seinen Ermittlungen ständig ins Leere. Er konnte nach eigenem Bekunden „nicht den geringsten Beweis dafür, dass auch nur ein einziger Dollar aus den Spielhallen, den Pferderennbahnen, den Bordellen oder den Schmuggeleien jemals in seinen Taschen landete" finden. Den entscheidenden Durchbruch verdankten die Fahnder der Undercover-Einschleusung des Beamten Michael Malone unter dem Decknamen „Mike D’Angelo" in Capones Umfeld. Malone konnte nicht nur zwei ehemalige Buchhalter namens Leslie Shumway und Fred Reis ausfindig machen, die unter Personenschutz gestellt, bereit waren, gegen ihren ehemaligen Chef auszusagen. Sondern er erfuhr auch von Rechnungsbüchern aus den Jahren 1924 bis 1926, die von den Behörden bei einer früheren Razzia sichergestellt worden waren, deren Brisanz niemand erkannt hatte. Es stellte sich dabei allerdings das Problem, dass man nachweisen musste, dass sich hinter den Kürzeln „A" oder „Al" Capone als Empfänger von Geldern verbarg.
Gerade noch vor Verjährung angeklagt
Doch dank dieser Insiderinformationen konnte das IRS den Druck auf Al Capone so erhöhen, dass seine Anwälte im April 1930 kleinere Einkünfte Capones einräumten. Ein schwerer Fehler, der wohl nur dadurch erklärbar ist, dass der Mafia-Boss keine Steuerfachleute zu Hilfe gezogen hatte. Am 15. März 1931 reichte die Steuerbehörde daraufhin Anklage gegen Capone für Steuervergehen aus dem Jahr 1924 in Höhe von geradezu läppischen 32.488,81 Dollar ein. Gerade noch rechtzeitig, um die vermeintliche sechsjährige Verjährungsfrist zu vermeiden.
Am 5. Juni 1931 entschied das Gericht, dass sich für 22 Anklagepunkte genügend Verdachtsmomente und daraus resultierend eine Erhöhung der Steuerhinterziehung um weitere 200.000 Dollar ergeben hatten. Um einem Prozess mit ungewissem Ausgang zu entgehen, einigte sich Al Capone mit der US-Bundesanwaltschaft auf einen Deal. Er sollte sich vor Gericht schuldig bekennen, im Gegenzug sollte ihm nur eine milde Strafe von zwei bis fünf Jahren aufgebrummt werden. Doch Richter James Wilkerson lehnte den Deal ab und setzte den Prozessbeginn auf den 6. Oktober 1931 fest. Die bis dahin von Al Capone bestochenen Geschworenen ließ er zum Prozessauftakt allesamt austauschen und verkündete am 17. Oktober 1931 vor dem Chicagoer Bundesgericht ein drakonisches Urteil gegen den Angeklagten: Elf Jahre Zuchthaus und 80.000 Dollar Strafe inklusive Gerichtskosten. Dabei war Al Capone nur in fünf der 22 Anklagepunkte für schuldig befunden worden, und es ging letztlich nur um die Summe von 215.080,84 hinterzogenen Dollar. Nie zuvor hatte es wegen eines Steuerdelikts auch nur ein annähernd vergleichbar hartes Urteil gegeben. Im Rückblick könnte fast von einer Rechtsbeugung gesprochen werden, von einem Alibi-Urteil, mit dem weitaus schlimmere Taten geahndet wurden, die man dem Angeklagten allerdings nicht nachweisen konnte. Nach sieben Jahren hinter Gittern in Atlanta und Alcatraz durfte der gesundheitlich schwer angeschlagene Al Capone seine letzten Jahre in Freiheit genießen.