Giuseppe Scorzelli bringt mit Musik ein Stück Lebensfreude in die Pro Seniore Residenz Hohenburg in Homburg. Und so ganz nebenbei organisiert der Musiktherapeut jedes Jahr ein Musikfestival in Sizilien.
Herr Meyer ist bettlägerig, kann seine Arme kaum bewegen, das Sprechen fällt ihm schwer. Doch wenn Giuseppe Scorzelli in sein Zimmer kommt, dann huscht ein Lächeln über das Gesicht des 80-jährigen Bewohners der Pro Seniore Residenz Hohenburg in Homburg.
Mit einem fröhlichen „Buongiorno" begrüßt der 48-jährige Italiener seinen Patienten, schiebt seinen Klangwagen in das Einzelzimmer hinein und tätschelt dem älteren Herrn die Hand. „Innerhalb von wenigen Minuten sehe ich, wie seine müden Augen ihren Glanz zurückgewinnen, wie er wieder aufmerksam und heiter wird", freut sich der studierte Klaviermusiker, der seit drei Jahren als Musiktherapeut in Homburg arbeitet.
Seine Aufgabe ist es, den Bewohnern der Seniorenresidenz mit Musik und Gesang ein Stück Lebensfreude zu vermitteln, und ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten anzuregen. Kein leichtes Unterfangen, denn ein Teil der rund 200 Bewohner ist schwer pflegebedürftig. Andere jedoch sind noch mobil und aktiv. Für beide Gruppen stellt der gebürtige Römer, der vor drei Jahren mit seiner Familie nach Deutschland übergesiedelt ist, ein ganz individuelles Therapieangebot zusammen.
„Die Einzeltherapien sind für mich immer ein ganz besonderes Erlebnis", schildert der stolze Vater einer dreijährigen Tochter. „Eine etwa 85-jährige Dame verbringt die meiste Zeit im Bett. Sie bevorzugt es, alleine zu sein. Doch wenn ich an ihrer Tür klopfe, hält sie nichts mehr in ihrem Zimmer, dann will sie mit mir ans Klavier im fünften Stock. Sie blüht auf, wenn sie neben mir am Flügel sitzt und einzelnen Tasten kleine Melodien entlockt. Ich spiele sehr oft Bach für sie, dann strahlt sie übers ganze Gesicht. Das rührt mich sehr an. Ich spüre, wie lebendig diese Frau wieder wird. Ein sehr zufriedenstellendes Gefühl für mich."
Ein anderer Bewohner erkennt zwar seine Frau und seine Kinder nicht mehr. Er hatte eine Gehirnoperation und kann kaum noch sprechen. „Aber wenn ich ihm alte deutsche Volkslieder vorsinge, bewegt er seinen Kopf und seine Hände im Rhythmus und kennt sogar einzelne Textpassagen." Ein Erfolg, den der ausgebildete Kammermusiker häufig erlebt.
Auch in seiner Gruppentherapie stellt er immer wieder fest, dass manche Bewohner zwar dement, vom Schlaganfall gezeichnet oder von Depressionen gequält sein mögen. „Doch stimme ich ‚Hoch auf dem gelben Wagen‘ an oder ‚Schwarzbraun ist die Haselnuss‘, dann leben sie wieder auf. Dann blitzt hier und da der Lebensmut aus den müden Augen hervor. Manche schaffen es, den ganzen Text sicher mitzusingen, andere summen nur die Melodie und bewegen sich rhythmisch dazu. Zum Auftakt der Gruppensitzungen singen wir alle ein spezielles Namenslied, das ich komponiert habe. Jeder singt seinen Namen, das macht allen großen Spaß."
Er trommelt Musiker aus aller Welt für das Festival zusammen
Viele Studien über die Wirkung der Musik bei Koma- oder Schlaganfallpatienten zeigen, dass Melodien aus der frühen Kindheit tiefe Emotionen ansprechen und Menschen auch zurück in einen Bewusstseinszustand versetzen können. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzt Giuseppe Scorzelli im Rahmen seiner Musiktherapie. Am beliebtesten sind übrigens Lieder von Heino, Weihnachtsweisen oder traditionelle alte Kindheitslieder, wie zum Beispiel „Schön, ist es auf der Welt zu sein". Besonders beherzt singen die Bewohner der Pro Seniore Residenz Hohenburg Songs von Udo Jürgens mit, wie zum Beispiel. „Aber bitte mit Sahne" oder „Ich wünsch Dir Liebe ohne Leiden". Aber auch klassische Musik wie der „Türkische Marsch" von Mozart oder Mozarts Wiegenlied aus einem Klavierkonzert werden gern mitgesummt.
Neben der Reaktivierung der kognitiven Erinnerungen hat die Musiktherapie auch weitere positive Effekte, führt sie doch zu einer Muskelentspannung. „Manche Bewohner krampfen ihre Finger ganz fest um das Bettlaken zusammen. Wenn ich zum Beispiel mit der Rassel über die Hände streiche und sie animiere, die kleinen Instrumente selbst anzupacken, lösen sich innere Verkrampfungen, und auch die Muskeln entspannen sich", erzählt der Musiktherapeut. „In den Gruppenstunden freuen sich die Bewohner, wenn sie die Orff‘schen Instrumente selbst nutzen dürfen. Sie lassen Rassel, Conga, Triangel, Bongos, Klangschale, Glockenspiel erklingen, und ich selbst spiele Klavier oder Gitarre dazu. Ein Bewohner will immer, dass ich das Lied von Freddy Quinn ‚Sankt Martin war ein Seemann‘ singe. Dabei fließen viele Tränen, aber er ist überglücklich." Mit den aktiven Bewohnern übt der Musiktherapeut sogar kleine Stücke ein, die er zweimal im Jahr im großen Besuchersaal aufführt. Dann kommen viele Bewohner und ihre Angehörigen dazu. „Ein richtiges Festkonzert ist das." Für ihn selbst ist seine Arbeit erfüllend und kräfteraubend zugleich. „Ich gehe jeden Tag mit dem Gefühl nach Hause, dass meine Arbeit wertvoll für die Bewohner ist. Das Strahlen der Augen gibt mir ein tiefes Gefühl der Sinnhaftigkeit meiner Tätigkeit. Zugleich machen mich manche Begegnungen auch traurig, wenn ich sehe, wie beschwerlich für viele das Leben ist, wie sehr sie darunter leiden, dass sie vieles nicht mehr kraftvoll mitmachen können. In diesen Momenten brauche ich das Lachen meiner Tochter, die Unbeschwertheit des kindlichen Lebens und auch meine berufliche Abwechslung. Denn seit vielen Jahren organisiere ich in meiner Heimat ein Musikfestival."
Auf Sizilien trommelt er dann Musiker aus aller Welt zusammen. Eine Woche wird auf höchstem musikalischem Niveau in die Tasten gehauen und zusammen orchestriert. Was sich nach viel organisatorischer Arbeit anhört, gibt dem studierten Festivalmanager aber auch viel Kraft für seine Arbeit in der Seniorenresidenz.
Als nächstes Ziel will Giuseppe Scorzelli, der mittlerweile zum „Professor für Musiktherapie" ernannt wurde, in seiner neuen Heimat Musikfestivals organisieren. Kontakte zu deutschen und italienischen Künstlern hat er bereits aufgenommen. Ein Buch will er auch schreiben über die positive Wirkung der Musik auf Menschen mit körperlichen, emotionalen und geistigen Beeinträchtigungen. Musik hilft auch im Alter, Fröhlichkeit, Leichtigkeit und Gelassenheit in den Alltag zu zaubern, ist er sich sicher.