Die Debatte um Tempolimits und SUVs spaltet Deutschland. Verkehrswissenschaftler Prof. Wilko Manz von der TU Kaiserslautern fordert keine Verbote, aber angemessene Preise.
Prof. Manz, wir Deutschen lieben unsere Autos. Sie auch?
Ich bin heute tatsächlich mit dem Auto angereist, weil ich Vorlesungen bis kurz vor diesem Termin hatte. Ohne Auto wird es sonst eng. Allerdings ist es nicht mein bevorzugtes Verkehrsmittel: Das ist die Bahn. Allerdings mag ich mein Auto – am liebsten in seiner Garage, es ist ja auch schon recht betagt und hat für mich überwiegend funktionale Bedeutung, kein symbolische.
Das Thema Autofahren ist im Fahrwasser der Klimadebatte mittlerweile selbst ein Symbol und sehr emotional aufgeladen. Müssen wir Autofahrer künftig auf etwas verzichten zugunsten des Klimas?
In den letzten 20 bis 30 Jahren haben sich unsere Autos in eine Richtung entwickelt, die für eine moderne, lebenswerte Stadt nicht sinnvoll ist. Damit meine ich die City-SUVs, was ja alleine schon im Namen ein Widerspruch ist – diese adipösen Fahrzeuge, die zu viel Fläche, zu viel Sprit und Ressourcen in der Herstellung verbrauchen, die also keineswegs stadtgerecht sind. Ein SUV emittiert gegenüber einer ähnlichen, kleineren Modellklasse desselben Herstellers zusätzlich 400 bis 500 Kilogramm mehr CO₂ auf 20.000 Kilometer Fahrleistung pro Jahr. Warum? Weil sie so schwer und stark motorisiert sind. Die Gesellschaft muss sich fragen, ob wir so etwas nach wie vor hinnehmen oder lassen wir nicht besser denjenigen, der ein solches Auto fährt, für die Folgen angemessen bezahlen? Verbieten müssen wir nichts, aber wir müssen menschliches Verhalten angemessen bepreisen und die Folgeschäden durch die Kaufentscheidungen Einzelner nicht vergesellschaften.
Damit sind wir auch bei der CO²-Steuer aufs Fliegen.
Europa trägt hier die rote Laterne. Wir sind weltweit mit der günstigste Kontinent bei Flugreisen. Wir leisten uns das zulasten unserer eigenen Gesellschaft und der ganzen Welt. Dies hat nun auch die Politik erkannt, es ist in Zeiten der Fridays for Future nur konsequent endlich zu handeln.
Sind Sie denn insgesamt mit dem Klimaschutzpaket der Bundesregierung, der CO²-Bepreisung darin zufrieden?
Es geht in die richtige Richtung. Mit der ersten Variante war ich keineswegs zufrieden, doch es wurde und wird nun nachgebessert. Ich finde bezeichnend, dass Akteure, von denen man es nicht erwartet, nun auch am Klimapaket herummäkeln, zum Beispiel das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft. Sie müssen sich das Klimapaket inhaltlich so vorstellen: Wenn der ursprüngliche CO₂-Preis umgesetzt wird und zeitgleich die Pendlerpauschale erhöht würde, hätte dies den Effekt, dass Pkw-Mobilität für Menschen mit hohem Einkommen noch billiger wird. Nur Haushalte mit geringem Einkommen können die Pendlerpauschale steuerlich nicht in vollem Umfang ausnutzen. Das ist weder verkehrlich noch sozial eine vernünftige Politik. Daher bin ich froh, dass man der Bundesregierung hier die rote Karte gezeigt hat.
Ihr Kollege Professor Heiner Monheim plädiert für mehr Fußverkehr, mehr Radverkehr in der Zukunft, wir Deutschen seien zu autofixiert. Darauf müsse man die Städte vorbereiten. Wie denn?
Die Straßenverkehrspolitik der letzten Jahre hat dazu geführt, dass wir uns an etwas gewöhnt haben, was uns nicht guttut: Die gesamte Flächenpolitik und Stadtverkehrspolitik ist stark auf das Auto zentriert geplant worden. Von dort kommen wir nur sehr schlecht wieder fort. Die einzige Möglichkeit, wie wir es schaffen können unsere Klimaziele zu erreichen, ist, indem wir die Pkw-Verkehrsleistung reduzieren. Das bedeutet: Die Zahl der zurückgelegten Kilometer mit dem Auto muss künftig zurückgehen. In Deutschland sind das heutzutage täglich in Summe 1,7 Milliarden Pkw-Kilometer. Da können wir noch so sehr über neue Antriebe und alternative Energieformen diskutieren, das kriegen wir ohne Reduktion der Verkehrsleistung nicht klimaneutral hin. Nun müssen wir schauen: Was kann alles einen Beitrag leisten, um die CO₂-Emissionen zu reduzieren? Maßnahmen, die in den Städten selbst wirken, wären als ein Beispiel, dem Autoverkehr Flächen zu entziehen und dem Fuß-, Rad- und öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung zu stellen, zu nennen. Und noch ein Aspekt kommt hinzu: Städte müssen in Zeiten von Fachkräftemangel attraktiv sein, da der Konkurrenzdruck zwischen den Städten steigt. Städte sind für Menschen, die Arbeit und Wohnraum suchen, nicht unbedingt attraktiv, wenn sie eine gute Autobahnanbindung und kostenlose Parkplätze haben. Wenn wir über den Tellerrand blicken, erkennen wir: Die attraktivsten und prosperierenden Städte in vielen Rankings sind diejenigen, die konsequent auf den Umweltverbund gesetzt haben und Lebensqualität schaffen, wie zum Beispiel Freiburg und Zürich, oder Städte, die massiv den Radverkehr unterstützen wie Kopenhagen und Amsterdam.
Für viele Befürworter ist der kostenlose ÖPNV ein gutes Mittel, den Nahverkehr attraktiver zu machen. Zu Recht?
Ich halte davon nicht so viel. Denn das hat mit Wertigkeit zu tun, frei nach dem Motto: Was nix kostet, kann auch nix wert sein. Und ÖPNV hat einen deutlichen Wert. Es hat seinen Charme, dass man sich nicht um Tickets und Preise kümmern muss. Städte, die das ausprobieren, sehen jedoch, dass insbesondere Radfahrer und Fußgänger das kostenlose Angebot annehmen. Kostenlos zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Bus, da siegt dann die Bequemlichkeit. Das heißt, ich bekomme den öffentlichen Verkehr (ÖV) voll, aber zulasten des Rad- und Fußverkehrs. Machen wir den öffentlichen Verkehr günstiger und das Tarifsystem einfach und attraktiv und flankieren dies damit, dass wir dem Autoverkehr Flächen in Form von Parkplätzen oder Fahrstreifen entziehen, dann verschieben wir das Verhältnis von motorisiertem Individualverkehr zum öffentlichem Verkehr. Darin sehe ich einen guten Kompromiss.
Ein Umbau der Mobilität ist vor allem mit hohen Kosten verbunden. Jetzt gibt es im Klimapaket erst einmal mehr Geld dafür vom Bund. Es sind fast sechs Milliarden. Doch Experten fordern seit Langem, zunächst die ÖPNV-Finanzierung in Deutschland zu vereinfachen. Wie würden Sie sich in dieser Frage entscheiden?
Mehr Geld in das System zu geben, ist sicher nicht falsch. Wollen wir, dass mehr Menschen den ÖPNV nutzen und erkennen, dass er die einfachere, attraktivere Mobilitätslösung ist, müssen wir investieren. Der ÖV hat, was Fahrpläne oder Komfort angeht, schon einen Qualitätssprung gemacht und die Nutzungsfrequenzen haben sich erhöht. Die Strukturen der Finanzierung zu verändern ist äußerst komplex – und für den Nutzer erst einmal uninteressant. Interessant sind da folgende Fragen: Welches Angebot bietet der ÖV bei welcher Qualität? Wie präsentiert er sich, der ÖPNV, dem Kunden? Zu welchem Preis? Wie wird der Rad- und Fußverkehr flankierend entwickelt?
In der Schweiz sind die Bahnen fast immer pünktlich, in den Niederlanden gilt die Stadt Houten als Musterbeispiel für zukunftsweisenden und innovativen Fahrradverkehr. Was können wir von diesen beiden Nachbarländern lernen?
Es ist immer schwierig, die europäischen Länder hinsichtlich ihrer Mobilität miteinander zu vergleichen. Die Schweiz ist etwas größer als Baden-Württemberg. Wenn der ICE von Berlin nach Basel nach sieben Stunden mit Verspätung am Ziel ankommt, ist ein Schweizer Zug zweimal quer durchs Land gefahren. Wenn wir in Deutschland Bahnstrecken häufiger bedienen, pünktlicher sind und einen guten Fahrkomfort anbieten, führt das zu positiven Nutzererfahrungen und guter Presse, und einem besseren Image der Bahn. Das Fahrrad hatte in den Niederlanden immer schon einen anderen Stellenwert als bei uns. In Deutschland gehen wir planerisch sehr zögerlich an das Thema Radverkehr und man will dabei meist niemandem wehtun. Aber es gibt Städte, die bereits vor vielen Jahren angefangen haben, Fahrstreifen dem Auto zu entziehen und dem Rad zuzuschlagen.
Das erfordert großen politischen Mut. Viele dieser Projekte sind als Feldversuch gestartet, waren erfolgreich, aber phasenweise auch mit Kritik und negativer Presse verbunden.