In der Drogendebatte haben Forderungen aus Kreisen von Polizei und Justiz besonderes Gewicht. Erst recht, wenn sie für Reformen und Legalisierung sind. Und diese Stimmen haben lange Tradition.
Es ist gerade mal zwei Jahre her, dass André Schulz die uralte Debatte neu befeuert hat. Womöglich hätten seine Äußerungen nur mäßigen Niederschlag gefunden, wäre André Schulz damals nicht Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) gewesen.
„Deutschland sollten den Mut haben und Cannabis – reguliert – legalisieren“. Diese Forderung aus dem Mund eines Kripo-Beamten sorgte erwartungsgemäß für heftige Reaktionen, von Gegnern wie Befürwortern. Schulz konnte damals die große Aufregung nicht recht nachvollziehen. Schließlich sei seine Forderung im Kern bereits Beschlusslage des BDK seit 2014.
Trotzdem sorgte die Äußerung des Kriminalhauptkommissars für heftige Debatten. Schließlich ist die Polizei gehalten, Gesetzesverstöße zu verfolgen. Weil sie aber genau das tut, ergibt sich die Misere. Für die Polizei sei die Drogenbekämpfung „extrem personalaufwendig“, betonte Schulz.
80 Prozent sind Eigenkonsumdelikte
In 80 Prozent der Drogenfälle sei man mit Konsumenten befasst. Immerhin, so das Landespolizeipräsidium Saarland in einer Stellungnahme, seien diese durch die Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes der Strafverfolgung weitgehend entzogen – sofern sie laut Gesetz nur geringe Mengen besitzen oder erwerben. „Der Grundsatz lautet hier Hilfe statt Strafe“, so eine Sprecherin der Polizei.
Das Personal, das dennoch dafür gebunden sei, fehle aber schließlich bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität, auch der organisierten Drogenkriminalität. Das wiederum führe dazu, dass sich Beamte die Frage stellen würden, ob Drogenkonsumenten wirklich Kriminelle seien, die mit dem Strafrecht verfolgt werden müssten.
Gleichzeitig warf er die Frage auf, ob Polizei und Justiz in Sachen Prävention gut aufgestellt seien. Natürlich, so Schulz, müsse die Frage diskutiert werden, ob eine „staatlich kontrollierte Drogenfreigabe sinnvoll und auch moralisch vertretbar“ sei. Aber eine solche Diskussion müsse „vorurteilsfrei“ geführt werden.
Befürworter einer kontrollierten Freigabe sahen sich durch die Äußerungen aus den Reihen der Kripo bestätigt. Wobei Schulz damit keinesfalls allein stand. Zuvor hatte schon der Ex-Polizeipräsident von Münster ganz ähnlich argumentiert. Er habe in den 17 Jahren als Polizeipräsident erlebt, wie seine Leute Drogenringe zerschlugen und Konsumenten schnappte, „aber damit nichts erreichten“, klagte Hubert Wimber. Sei ein Drogenring zerschlagen worden, sei der nächste bereits auf dem Markt gewesen. Und was Konsumenten betrifft, kommt er zu dem Schluss, dass die repressive Politik „komplett gescheitert ist“.
Wimber war es auch, der 2015 mit dem Linken-Bundestagsabgeordneten Frank Tempel die LEAP-Deutschland nach US-amerikanischem Vorbild gründete. Law Enforcement Against Prohibition, kurz LEAP, ist eine gemeinnützige Organisation, die sich gegen den vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan ausgerufenen „War on Drugs“ wendete und zu den Vorkämpfern einer Entkriminalisierung gehört. Dem Verein gehören Richter, Staatsanwälte und Polizisten an.
Allerdings ist die Forderung nach einer Cannabis-Legalisierung bei der Polizei alles andere als unumstritten. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) betont: „Die Droge zu legalisieren ist der falsche Weg.“ Es wäre zudem „ein fatales Signal“ an Jugendliche, so zu tun, als sei der Drogenkonsum nicht so schlimm. Notwendig seien folglich nicht Legalisierung, sondern Aufklärung und Prävention.
Allerdings leugnet die DPolG nicht den Frust der Beamten, die eine Menge Arbeit „für den Papierkorb“ machen müssten, wenn jemand mit geringen Mengen zum Eigenkonsum erwischt wird. Das führt zu Ermittlungen nach allen Regeln der Kunst, aber es wird von Strafverfolgung abgesehen. Nachhaltig wäre deshalb beispielsweise, wenn erwischte Jugendliche verpflichtend an einer Drogenberatung teilnehmen müssten. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich zurückhaltend. Die Forderung des BDK sei „problematisch“, auch wenn der BPK die ursprünglichen Forderungen inzwischen relativiert hätte. Allerdings könne man sich vorstellen, die Polizei zu entlasten, indem man Besitz und Erwerb von Kleinmengen als Ordnungswidrigkeit einstufen würden, so die Reaktionen vor zwei Jahren.
Drogenpolitik steht immer vor einem Dilemma
In Deutschland hatte außerdem bereits vor einigen Jahren ein weiterer Aufruf für Aufmerksamkeit gesorgt. Über 120 renommierte Strafrechtsprofessoren hatten sich im „Schildower Kreis – Netzwerk von Experten aus Wissenschaft und Praxis“ zusammengefunden und eine Petition an den Bundestag verfasst. Damit wollten sie „den Gesetzgeber auf die unbeabsichtigten schädlichen Nebenwirkungen und Folgen der Kriminalisierung bestimmter Drogen aufmerksam machen“. Ziemlich professoral-akademisch klingt dann die Aufforderung an die Abgeordneten, „die Geeignetheit, Erforderlichkeit und normative Angemessenheit des Betäubungsmittelstrafrechts zu überprüfen.“ Kurzum: Weil die Drogenprohibition ihren Zweck „systematisch verfehlt“, „unverhältnismäßig kostspielig“ ist und „schädlich für die Konsumenten“, müssten die Drogengesetze eben dringend reformiert werden.
Peter Becker, ehemals Polizeichef von Saarbrücken und heute Geschäftsführer der Drogenhilfe, befand in einer Diskussion: „Es geht nicht um Freigabe, es geht um Regulierung.“
Wie alt die Debatte ist, zeigt eine Analyse für das BKA zur möglichen Freigabe von Drogen aus dem Jahr 1993. Dort heißt es: „Welchen Weg auch immer die Drogenpolitik einschlägt, sie bleibt ambivalent, steht vor einem Dilemma, wird nie ausschließlich günstige, erwünschte Wirkungen zeitigen, vielmehr zugleich Nachteile, neue Schwierigkeiten in Kauf nehmen müssen.“ Diese Erkenntnis dürfte auch ein Vierteljahrhundert später weiterhin Bestand haben.