Grundrechte werden ausgesetzt, Kontrollen überall, der Sicherheitsabstand beherrscht das öffentliche Leben. Es herrscht große Unsicherheit. Wem kann man noch vertrauen? Jan Wetzel ist Co-Autor eines Buches zum Thema, erschienen noch vor Corona. Es ist aktueller denn je.
Herr Wetzel, ist in Zeiten der Corona-Krise Kontrolle wichtiger als Vertrauen?
Vertrauen und Kontrolle sind nur scheinbar ein Widerspruch. Ohne ein Mindestmaß von Wissen und einem Vermögen, seine Umwelt zu kontrollieren, kann man niemandem Vertrauen schenken. So zeigen viele Studien zum Thema, dass Menschen mit höherem Einkommen und Vermögen, mit besserer Bildung, auch allgemein ihren Mitmenschen mehr Vertrauen schenken. Das gilt auch in der Corona-Krise. Deswegen ist es so wichtig, dass in der Gesellschaft nicht das berechtigte Gefühl entsteht, dem Virus ausgeliefert zu sein.
Menschen scheinen einem starken Staat mit autoritären Zügen eher zu vertrauen als einer Demokratie. Hat die Demokratie in Zeiten der Krise ausgespielt?
So generell kann man das nicht beantworten. Vertrauen schenkt man wohl am ehesten einem Staat, der wirksame und nachvollziehbare Entscheidungen trifft. Hier kann ein demokratisches System ebenso bestehen oder versagen wie ein autoritäres. Wenn manche Grundrechte derzeit ausgesetzt werden, ist vielleicht überraschend, wie reibungslos das geht. Doch solche Möglichkeit gehören zu den Mitteln eines demokratischen Staates dazu, wenn sie der Sachlage angemessen sind. Wichtig ist nur, dass es eine rechtsstaatliche Nachbereitung gibt. Insgesamt könnte die Krise dabei auch zu einem veränderten Verhältnis von Bürger und Staat führen. Die Kooperationsbereitschaft vieler Menschen, das Vertrauen, das sie den Maßnahmen entgegenbringen, kann von staatlicher Seite jedenfalls nicht unbeantwortet bleiben.
Viele Menschen müssen zu Hause bleiben, nutzen soziale Medien, betreiben Homeoffice – wird das die Digitalisierung der Gesellschaft beschleunigen?
Dass in vielen Bereichen des Lebens nun Techniken notgedrungen eingesetzt werden müssen, die sich lange angekündigt haben, ist unübersehbar. Auch am Wissenschaftszentrum Berlin sind wir damit beschäftigt, vieles umzustellen. Und sicher wird manches von dem auch nach der Krise bleiben. Allerdings gilt es jetzt aufzupassen, dass in der Krise die Standards guter Arbeit unter der Flagge „Digitalisierung" verschoben werden. Man kennt etwa das Phänomen, dass Unternehmen Rezessionen zur Arbeitsverdichtung nutzen, indem sie in der Krise den Personalbestand verringern, anschließend aber nicht wieder erhöhen. Ähnliche Gefahren lauern, wenn jetzt Homeoffice und flexible Arbeitszeitmodelle normaler werden. Eine solche Digitalisierung ist kein sozialer Fortschritt.
Wie geht es nach der Krise weiter – wächst das Vertrauen zueinander in der Gesellschaft oder – im Gegen-teil – werden die Leute misstrauischer? Wovon hängt das ab?
Das ist nicht vorherzusagen. Derzeit sehen wir überall neue Formen der Solidarität, auf denen Vertrauen wachsen kann. Gleichzeitig gibt es Versuche, die Krise zu nutzen, um rassistische Vorurteile oder Skepsis gegenüber der Demokratie zu schüren. Vieles wird davon abhängen, wie lange die Corona-Krise anhält. Die Gefahr ist, dass sie ab einem bestimmten Punkt zu einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise wird, die nie bewältigte Eurokrise könnte wieder aufbrechen. Derzeit bereiten wir eine Umfrage vor, in der wir die Menschen in Deutschland zur aktuellen Situation befragen. Erst, wenn wir die Ergebnisse haben, werden wir halbwegs verlässliche Aussagen darüber treffen können, wie es um das Vertrauen in Deutschland steht.