Der Kampf gegen das Coronavirus erfordert Disziplin und Verzicht
Zu den bedrückendsten Bildern der Corona-Krise gehören die Militärlaster in der norditalienischen Stadt Bergamo. Fast jeden Tag verlässt eine Kolonne dunkelgrün-brauner Fahrzeuge das örtliche Krematorium, wo die Leichen üblicherweise eingeäschert werden. Sie sind voll mit Särgen, in denen die Opfer des Virus liegen. Angesichts der Hunderten von Toten, die täglich in der Lombardei und im Veneto beklagt werden, hat die Feuerhalle von Bergamo keine Kapazitäten mehr. Also fahren die Armeelastwagen in die umliegenden Gemeinden, um die Toten zu bestatten. Die Angehörigen der Verstorbenen können sich nicht mehr verabschieden. Sie bleiben in ihrem Schmerz zurück.
Es ist ein durchschnittenes Begräbnis-Ritual. Die Fahrzeuge in Tarnfarben erzeugen für wenige Sekunden den Eindruck von Krieg, suggerieren so etwas wie einen Fronteinsatz. Die Aufnahmen täuschen. Einerseits. Denn natürlich herrscht in Italien kein Krieg im klassischen Sinn. Laut Duden hieße dies: ein mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt zwischen Staaten und Völkern.
Davon kann nicht die Rede sein. Weder werfen Kampfjets in den USA, Russland oder China Bomben ab, noch marschieren Artillerieverbände nach vorn, um den Gegner mit ihren Geschossen zu dezimieren. Im Gegenteil. Die Straßen und Häuserreihen der Städte sind unzerstört. Sie leuchten in der Frühlingssonne und gaukeln uns eine Normalität vor, die es nicht mehr gibt.
Denn das gesellschaftliche und individuelle Leben wird bedroht – von innen. Das Coronavirus ist der Feind der gesamten Menschheit. Es breitet sich aggressiv in alle Himmelsrichtungen aus, attackiert die Gesundheit der Deutschen, Italiener, Iraner oder Australier. Vor allem die Alten und Kranken sind gefährdet.
Das neuartige Virus erfordert eine Kraftanstrengung der besonderen Art. Unsere globalisierte Welt, die in wirtschaftlicher, touristischer, kultureller und konvivialer Hinsicht auf Austausch beruht, ist zur maximalen Ruhe verdammt. Isolation, Abstand zu den Mitmenschen, Kontaktverbot mit Ausnahme von Partner/in oder Mitbewohnern sind das Gebot der Stunde. Nur so kann die weltumspannende Infektionskette unterbrochen werden.
Das Coronavirus, das heimtückisch, unsichtbar und unberechenbar in unser Leben eindringt, greift uns alle an. Der Erreger reißt insbesondere die Verletzlichsten in den Tod. Bei aller Unterschiedlichkeit: Es ist ein bisschen wie beim Terrorismus. Beim Kampf gegen diese Bedrohung handelt es sich um einen asymmetrischen Krieg –
Akteure sind nicht Staaten oder Armeen, sondern versprengte Gruppen. Schlachtfelder sind Flugzeuge, Bahnhöfe oder Pop-Konzerte. Der Feldzug gegen diese Netzwerke des Schreckens kann nur mit internationaler Kooperation, klugen Geheimdienst-Operationen und V-Männern gewonnen werden.
Auch der Kampf gegen das Virus verlangt außergewöhnliche Waffen. Wir müssen unseren natürlichen Drang nach Mobilität abrupt abbremsen. Wir brauchen Disziplin, Selbstbeschränkung, Entschleunigung und eine Ethik des Verzichts. Vor allem die freiheitlichen Gesellschaften des Westens nehmen dies als schwer zu erbringendes Opfer wahr. Aber es ist notwendig, um uns selbst und die anderen zu schützen. „Das ist der Krieg unserer Generation", mahnte eine verzweifelte, aber unsagbar tapfere spanische Ärztin, die auf der Intensivstation ihres Madrider Krankenhauses in Dauerschichten gegen das Virus angeht.
Unsere Gesellschaften müssen sich mit einer neuen Distanz-Navigation und Entbehrungsbereitschaft die Corona-Pandemie abwehren. Es gibt keine Alternative hierzu, wenn die Infektionskurve abflachen soll. Die Regierungen haben begriffen, dass sie den zu erwartenden herben wirtschaftlichen Einbruch abfedern müssen. Die große Koalition hat ein nie dagewesenes Hilfspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro verabschiedet. Arbeitnehmer, Mieter, Kleinunternehmen bis hin zu mittleren und großen Firmen bekommen einen Finanzpuffer.
Einige Lehren kann man bereits heute aus der Corona-Krise ziehen, denn diese Epidemiewelle wird nicht die letzte sein. Die Staaten müssen für nationale Notfälle einige lebensnotwendige Bereiche aus der globalisierten Wirtschaft abkoppeln. Masken für Ärzte, Sanitäter oder Postboten, Schutzbekleidung oder Desinfektionsmittel gehören dazu. Die Welt nach Corona wird anders aussehen.