Diese zwei Worte sind für Sebastian Leyer ein Kompliment an seine Gerichte. Der neue Küchenchef im „Le Faubourg" zeigt mit einer klaren regionalen, produkt- und gemüsebezogenen Karte, wohin die kulinarische Reise in Zukunft gehen wird.
Regional, bodenständig und gemüsezentriert. Das sagt Sebastian Leyer über seine neue Küche im „Le Faubourg". Bislang war er noch nicht in der ersten Reihe der Berliner Küchenchefs zu sehen. Doch seit Anfang Februar steht der 32-Jährige so richtig „draußen" und legt mit seiner ersten Karte vor. Leyer ist offenbar gekommen, um eine gute Weile im „Sofitel Kurfürstendamm" zu bleiben und den Stil des Restaurants bleibend zu prägen.
Gemüse, Nachhaltigkeit und Bodenhaftung sind die Schlagworte im Konzept und auf der Karte. So wie auch in vielen anderen Restaurants der Stadt. Aber im „Le Faubourg" kommt all das lustvoll, unkompliziert und selbstverständlich rüber. Natürlich kann Leyer jede Zutat präzise erklären. Der Produzentenname folgt dem des Produktes auf dem Fuße. Wir lernen im Gespräch mit ihm manches und manche Unbekannte kennen, die es wert sind, genannt und wahrgenommen zu werden.
Es gibt beispielsweise Eiskraut oder indischen Spinat von Freshtasia, einem Start-up aus Kladow, deren Gründer schwer erhältliche asiatische Gemüse vor Ort züchten. Fisch vom Werbellinsee oder vom Stechlin und Chilis aus Kremmen. Namen wie die Markthalle Neun als Lieferant für viele Produkte aus der Region, Fritz Blomeyer für den Käse, der Erdhof Seewalde für Milchprodukte oder die Gemüsebauern vom Wolkensteiner Hof klingen in den Ohren der Berliner Foodies und Restaurantgänger dagegen schon vertraut und alltäglich.
Vielleicht ist diese Beiläufigkeit, nach der vor noch wenigen Jahren demonstrativ rund um den Tisch zelebrierten brutalstmöglichen Lokalität, nun das Kennzeichen einer jungen Garde. Diese ambitionierten Köchinnen und Köche profitieren ganz selbstverständlich von der Bewusstseinsarbeit der „Altvorderen", wie von einem unaufgeregten Marco Müller oder einem lustvoll provokanten Billy Wagner. Sie müssen sich vor ihren Gästen und in der Öffentlichkeit nicht überbetont beweisen. „Wer, wenn nicht wir Gastronomen, sollte an der Nachhaltigkeit arbeiten?", sagt Sebastian Leyer.
Im Ergebnis heißt das: Es schmeckt einfach richtig gut. Sei es einmal alles „Rund um Sellerie" vom Wolkensteiner Hof im Zwischengang oder einmal ziemlich vieles vom Huhn von Odefey und Töchter im Hauptgang. Der Sellerie präsentiert sich in Gestalt von gerösteter Knolle mit Rauchsalz, Staudensellerie-blättern, gerösteten Wurzeln, als Chip und sogar im Sößchen-Schaum. Kleine Stielkasserollen und Kännchen tauchen bemerkenswert häufig am Tisch auf.
Die Saucen halten die französische Tradition im Restaurant des französischen Hotelkonzerns aufrecht. „Wir arbeiten auch viel mit Butter und Sahne", sagt Sebastian Leyer. „Das sind einfach gute Geschmacksträger." Sommelier Nicolas Hopchet stellt dem verfeinerten Wurzelwerk einen säurereichen 2017er-Riesling von Clemens Busch vom Roten Schiefer im Glas zur Seite.
„Ich bin ein Typ, der die Gerichte nach zwei Wochen wechselt"
Beim Odefey-Huhn wählte Hopchet einen 2018er Chardonnay vom Schweigener Sonnenberg vom Weingut Jülg. Ein bisschen Birne, Stachelbeere und Barrique-Holz dürfen es jung, aber innerlich erwachsen mit vollen Aromen begleiten. Das Geflügel reifte eine Woche in verbranntem Heu, bevor es als Roulade von der Brust und Keule, als gebratener Streifen vom Filet, als Lebercreme, als Herz-Stück und Haut-Chip zur Paraderolle antritt. Ein geschmorter und mit dem Jus vom Huhn überzogener Chicorée lässt ankaramellisiert und mit fein austarierter Bitterkeit beinah vergessen, dass eigentlich kaum etwas anderes als Huhn auf dem Teller liegt. Mehr braucht es aber auch nicht, so anregend divers wurden die unterschiedlichen Fleischteile zubereitet.
„Wir arbeiten viel mit Säure, um Frische reinzubringen", sagt Sebastian Leyer. „Größtenteils geschieht das über selbstgemachte Essige. Wir fermentieren auch und wecken viel ein." So ein Säure-Repräsentant ist der „Verbrannte Kohl". Er entpuppt sich als ein Kimchi vom China- und Weißkohl, das mit einer Sauerkrautsaft-Vinaigrette angemacht ist. Eingelegter Ingwer zieht die süße, ein Chili-Chip die scharfe Karte. Eine Creme aus Traubenkernöl und Eiweiß balanciert die Spitzen aus, ebenso wie der trocken ausgebaute Furmint aus der Lage Vogelsang 2018 von Michael Wenzel. Der Weiße führt wenig Säure, dafür einen kühlen mineralischen Touch und eine sehr gut zum energischen Kimchi und zum süßen Ingwer passende Akazienhonig-Note mit sich.
Die erste Karte von Sebastian Leyer ist gerade einmal zwei Monate alt und weist deutliche Spuren von Winter auf. Sie wird sich naturgemäß rasch und regelmäßig verändern. Das passt zu Temperament und Anspruch des Küchenchefs: „Ich bin so ein Typ, der zwei Wochen, nachdem er die Gerichte draußen hat, schon wieder wechselt." Der Satz von der Zusammenarbeit im elfköpfigen Team ist nicht nur so dahergesagt. „Mir ist es extrem wichtig, die Gerichte mit meinem Team zusammen zu entwickeln. Ich habe nur einen einzigen Kopf." Der war mit dem Rest vom Mann bereits bei Tim Raue, im „Cookies Cream", im „Pappa e Ciccia" und zweimal im „Pauly Saal" tätig. „Die prägendste Zeit dort war sicher die mit Arne Anker", sagt Leyer über den „Pauly Saal". Wie praktisch, dass Sebastian Radtke, der zuvor im „eins44" oder in der „Gärtnerei" seine bewährten und durchaus gemüselastigen Kreise zog, nun einer der weiteren Köpfe im „Le Faubourg"-Team ist. Er und Patrick Franzelow sind die neuen Souschefs.
Bei meinem Lieblingsgericht aus dem sechsgängigen Menü handelt es sich um den ersten Gang mit Fisch. Eigentlich stand Ostsee-Schnäpel auf der Karte. Der ist aber zwei Monate verfrüht nach Polen weitergezogen; der zu warme Winter lässt grüßen. Stattdessen liegt ein Streifen Makrele auf dem Teller. Eine Sour Cream wurde mit Sepia-Tinte eingefärbt und mit fermentierter Fischsauce akzentuiert. Dazu kommen kleine Zwiebelringe, ein schwarz-weiß gepunkteter Tapiokachip, Passepierre- und Auberginenpulver sowie Kapuzinerkresse.
Treffen fette Cream und Fisch auf Säure und die gebremste Schärfe der in Salzlake, Fischsauce und einem Tick Sushi-Essig marinierten roten Schalotten, hat das was von einem schmackigen, aber feineren Bismarckhering. Diesen robusten Vergleich nimmt mir der Küchenchef auch gar nicht übel. Im Gegenteil. „Es soll einfach lecker sein. In diese Richtung wird es weitergehen", sagt Leyer.
Abendliches Menü mit vier bis sechs Gängen für 69 bis 105 Euro
Wie viel Plastikverzicht, Nähe zum Produzenten und welche althergebrachten Kochtechniken wie Grillen, Braten oder Backen hinter jedem Teller stehen, wird gern erzählt. Der Gast darf aber ebenso ohne Nachhaltigkeitsvorlesung am Tisch einfach genießen.
Die nicht Fisch essende Begleiterin erhält in diesem Gang eine in Miso gebackene Aubergine als Veggie-Alternative. Sie wird von fermentiertem Meerrettich, den eingelegten Knospen vom indischen Spinat sowie einem vegetarischen Ceviche-Fond aus Gemüsefond, Zitronengras, Chili und Limette begleitet. Einfachheit wird in Perfektion gespielt.
Sie zeigt sich beispielsweise in der Molke-Creme mit Miso eingangs zum Brot. Erst streichen wir vorsichtig, dann häufeln wir gierig davon aufs feinkrustig krachende Sauerteigbrot. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht bereits am Brot sattessen! Oder bei den süßen Rausschmeißerchen: Ein orangefarbener, zusammengefalteter Schnitz von der fermentierten gelben Bete zeigt mit Passionsfruchtgel und gehäckseltem Petersilienstängel auf einen Biss, welch unerwartete Wucht in dieser selten zusammengedachten Kombination stecken kann. Von der Passionsfrucht bis zum Praliné gilt nun in der Patisserie der Verzicht auf Industriezucker. Es wird mit Agavendicksaft oder bisweilen Muscovadozucker gesüßt.
Das lenkt auch beim weißen „Hochzeitsdessert", wie wir das fluffig-wolkige Gebilde auf dem Teller nennen, den Fokus auf die Hauptbestandteile. Wir sehen, spüren und schmecken ohne Ablenkung durchdekliniert Joghurt in allen Facetten – als Eis, Meringue, Pulver und Crisp. Der Joghurt stammt vom Erdhof Seewalde und wird mit einer Vinaigrette mit gerösteten Mandeln und Saft von der japanischen Amanatsu-Zitrusfrucht angemacht. Eine Creme von weißem Mohn sorgt für den soften Ausgleich.
Wer das neue Aromen- und Produktspektrum von Sebastian Leyers Küche im „Le Faubourg" kennenlernen will, tut gut daran, sich in vier bis sechs Gängen durch das abendliche Menü hindurchzuessen. Es wird für 69 bis 105 Euro, die Weinbegleitung für sehr faire 32 bis 46 Euro serviert.
À la Carte kosten die Gerichte 16 bis 34 Euro und sind so für den kleineren Appetit auf ein oder zwei Teller besser geeignet.