Joe Biden hat gute Chancen, die US-Wahl gegen Donald Trump zu gewinnen – die Umfragewerte sprechen vor allem in den „Swing States" für den demokratischen Herausforderer. Dagegen sprechen sein Alter und die angebliche Ukraine-Affäre seines Sohnes Hunter Biden.
In einem typischen Wahljahr in den USA liefen im April die Wahlkampfmaschinen bereits auf Hochtouren. Doch die COVID-19-Pandemie dominiert das öffentliche Leben und blendet fast alle anderen Themen aus: Während die Infiziertenzahlen in den USA exponentiell wachsen, hat der Kongress ein Hilfspaket über zwei Billionen US-Dollar verabschiedet. Dennoch steht die Wirtschaft vor einer tiefen Rezession. Die Anträge auf Arbeitslosenhilfe sind innerhalb kürzester Zeit in die Höhe geschnellt – und das in einem Ausmaß, das selbst die „Große Depression" der 1930er Jahre in den Schatten stellt. Wie beeinflusst diese Situation den Vorwahlkampf innerhalb der demokratischen Partei und welche Chancen hat Donald Trump im November 2020 wiedergewählt zu werden? Vorhersagen zum Wahlausgang sind immer mit großen Fragezeichen versehen, das gilt umso mehr angesichts der dynamischen Situation im Kampf gegen das neuartige Coronavirus – dennoch wird hier ein erster Ausblick gewagt, welche Szenarien realistisch sind.
Vorwahlkampf innerhalb der demokratischen Partei
Obwohl der Vorwahlkampf innerhalb der demokratischen Partei durch die Pandemie praktisch zum Erliegen gekommen ist, wird Joseph R. Biden die Nominierung kaum mehr zu nehmen sein. Noch bis vor einigen Wochen schien die Kandidatur Bidens kurz vor dem Aus zu stehen. In Umfragen deutlich abgeschlagen, zeigte der ehemalige Vizepräsident schwache Leistungen in den TV-Debatten ab und seine Wahlkampagne geriet in Geldnöte. Dagegen sammelte Senator Bernie Sanders Delegiertenstimmen in den ersten Vorwahlen und Caucuses und selbst Außenseiter wie Pete Buttigieg und Senatorin Amy Klobuchar schnitten in den ersten Vorwahlstaaten besser ab als Biden. Erst die Vorwahlen in South Carolina am 29. Februar brachten die Wende. Biden errang einen überzeugenden Sieg und unterstrich seine Fähigkeit, die innerhalb der demokratischen Partei so wichtige Wählergruppe der Schwarzen mobilisieren zu können. Noch vor dem sogenannten „Super Tuesday" am 3. März, an dem 15 Staaten Vorwahlen abhielten, schieden Bidens stärkste Konkurrenten innerhalb des moderaten Lagers, Buttigieg und Klobuchar, aus dem Rennen aus und unterstützten fortan Bidens Kandidatur. Dahinter stand nicht nur Bidens Schwung aus dem Sieg in South Carolina, sondern auch die Sorge, dass der entschieden linke Kurs von Bernie Sanders die Wahlchancen der Demokraten gegen Trump zunichtemachen würde. Am „Super Tuesday" siegte Biden dann deutlich gegen Sanders und Elizabeth Warren, die ebenfalls links ausgerichtete Senatorin aus Massachusetts. Auch der zwischenzeitlich hoch gehandelte ehemalige Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, war chancenlos, beendete seine Kandidatur und stellte sich hinter Biden. Biden wird daher aller Wahrscheinlichkeit nach für die Demokraten gegen Trump antreten. Sanders, der sich selbst als „demokratischer Sozialist" bezeichnet, scheint bislang jedoch nicht gewillt zu sein, seine Kandidatur vor dem Nominierungsparteitag in Milwaukee aufzugeben. Sanders linker Wahlkampf hat bereits jetzt dazu beigetragen, dass das demokratische Feld insgesamt weiter nach links gerückt ist und auch Biden ein stark progressiv gefärbtes Programm vorgelegt hat.
Bidens Chancen im Hauptwahlkampf gegen Trump
Biden werden als voraussichtlichem demokratischen Herausforderer Donald Trumps gute Chancen auf die Präsidentschaft eingeräumt. In der Tat ist für viele Demokraten das stärkste Argument für Biden, dass er auch unter moderaten Republikanern als wählbar gilt – während andere Kandidaten ideologisch zu weit links stehen (Sanders, Warren) und so Wählerinnen und Wähler in der Mitte abschrecken könnte. Da die Wahlen auch 2020 vor allem in den „Swing States" Michigan, Pennsylvania, Wisconsin und Florida entschieden werden, hoffen viele Demokraten darauf, dass Biden insbesondere bei Weißen und innerhalb der Arbeiterschaft punkten und so die Wählerkoalition Trumps aufbrechen kann. Diese Kalkulation ist nicht unrealistisch: Biden führt in vielen Umfragen in diesen „Battleground States" gegenüber Trump –
wenn auch zumeist knapp und keineswegs uneinholbar. Biden gilt zudem als volksnah und authentisch, schlägt gleichzeitig eher einen versöhnlichen Ton an und betont die Notwendigkeit, die durch Trump vertieften gesellschaftlichen Gräben zu überwinden. Er verfügt als ehemaliger Vizepräsident unter Präsident Barack Obama über Regierungserfahrung und hat bewiesen, dass er die immer wichtiger werdenden Stimmen der „Minorities" – also insbesondere der Schwarzen und Latinos – gewinnen kann.
Gleichwohl verfügt auch der ehemalige Vizepräsident über einige Angriffspunkte für den politischen Gegner. Erstens gilt Biden nicht als großer Redner, häufig verheddert er sich in Argumenten. Bereits jetzt versuchen republikanische Wahlstrategen dies auszunutzen und behaupten, der 77jährige sei senil. Ob dieses Argument verfangen kann, werden erst die TV-Debatten im Herbst zeigen. Auch Trump kann kaum als eloquenter Rhetoriker gelten, aber seine simplen und oft mit dreisten Lügen gespickten Botschaften überzeugen bislang bei seiner Anhängerschaft. Zweitens stellt sich die Frage, ob es Biden schafft, die Demokratische Partei zu einen und am Wahltag zu mobilisieren. Gerade aufgrund des erbittert geführten Vorwahlkampfs und des linken Kurses von Sanders wird es eine große Herausforderung für Biden sein, die enttäuschte Anhängerschaft im linken Spektrum für sich zu gewinnen – unter anderem daran war im Wahlkampf 2016 bereits Hillary Clinton gescheitert. Drittens werden Trump und seine republikanischen Verbündeten versuchen, die Ukraine-Affäre gegen Biden zu nutzen. Biden wird vorgeworfen, als Vizepräsident seinen Sohn Hunter und dessen Geschäftsbeziehungen in der Ukraine geschützt zu haben. Die Vorwürfe sind wenig glaubhaft, werden aber innerhalb der republikanischen Echokammer etwa von Fox News immer wieder hervorgeholt.
Der Einfluss von Corona
Bleibt die Frage, wie die gegenwärtige Pandemie den Wahlkampf beeinflussen wird. Hier gibt es zunächst zwei widersprüchliche Trends. Einerseits helfen Krisensituationen dem Image des Präsidenten. Diese stehen noch mehr im Fokus des Medieninteresses und können sich als Krisenmanager inszenieren. Es kann ein „Rally around the flag"-Effekt entstehen, bei dem sich die Bevölkerung hinter ihrem Oberbefehlshaber versammelt. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner Trumps Handeln in der Krise mehrheitlich positiv bewerten und auch seine allgemeinen Zustimmungswerte steigen. Andererseits gilt spätestens seit Bill Clinton das Credo „it’s the economy, stupid!": Wahlen werden mit wirtschaftspolitischen Themen gewonnen. Schlechte Arbeitsmarktdaten senken die Wiederwahlchancen der Amtsinhaber. Damit werden die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu einer schweren Hypothek für Trump.
Ein weiterer Faktor schränkt diese traditionellen Einflussfaktoren jedoch ein: Die jahrelange parteipolitische Polarisierung macht vor der aktuellen Krise nicht halt. Während im rechten Fernsehsender Fox News das Krisenmanagement der Administration positiv bewertet wird, sind andere Medien wie CNN, MSNBC oder die New York Times deutlich kritischer. Hier setzt sich ein Trend unter Trump fort: Die republikanische Basis steht fest hinter ihrem Präsidenten trotz aller Krisen und Skandale. Umgekehrt ist die Ablehnung Trumps unter Demokraten ebenso eindeutig. Der entscheidende Faktor bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen am 3. November wird daher sein, welche Partei ihre jeweilige Basis am besten mobilisieren kann. War diese Mobilisierung für Clinton 2016 noch ein zentrales Manko, wird die Angst vieler Demokraten vor vier weiteren Jahren Trump Biden helfen, die Wahlbeteiligung innerhalb der eigenen Partei hochzuhalten. Sollte es Biden dann gelingen, einen disziplinierten Wahlkampf ohne größere Skandale zu absolvieren, stehen die Chancen gut, dass Donald J. Trump bald zur relativ kleinen Gruppe der „one term presidents" gehören wird.