Sebastian Waack, Start-up-Gründer, sieht in der Corona-Krise eine Chance. Die Digitalisierung ermöglicht neue Formen des Lernens und stellt den traditionellen Unterricht grundsätzlich infrage.
Herr Waack, Sie halfen den Schulen bei der Digitalisierung, schon lange vor Corona. Wie gut gelingt Ihrer Erfahrung nach die Digitalisierung der Bildung?
Das hängt natürlich davon ab, was man mit Digitalisierung meint. Digitalisierung ist zum einen ein Zustand. Das Internet ist da und bestimmt unser Leben. Zweitens geht es um den Prozess der Digitalisierung. Dabei geht es darum, wie wir ihn gestalten können. Es gibt viele erfolgreiche Beispiele im Bildungsbereich. In jeder Schule ist das heute Thema, jede macht es wieder anders. Die Herausforderung ist, die traditionellen Methoden und Modelle des Lehrens und Lernens nicht einfach von analog auf digital umzustellen, sondern die neuen Möglichkeiten zu nutzen, auch Methoden und Inhalte völlig neu zu sehen.
Zum Beispiel?
Bis vor kurzem war das Schreiben eines Textes immer etwas Individuelles. Jeder Schüler schrieb seinen Text, weil es technisch gar nicht anders ging. Jetzt gibt es Möglichkeiten, dass mehrere gleichzeitig an einem Text arbeiten. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Kollaboration, des Lernens in einer Gruppe. Was zählt, ist nun nicht mehr nur das fertige Produkt, sondern der Prozess des gemeinsamen Lernens. Auch unsere App ist ein Beispiel. Sie erlaubt es der Lehrperson, schnell und einfach Rückmeldung zum Unterricht einzuholen. Die erfolgt anonym, darum ist das Feedback ehrlich und somit nützlich. Das erlaubt es der Lehrperson, sich auf die Gruppe passgenau einzustellen. Was in einer Klasse funktioniert, geht in der anderen schon nicht mehr. Schnelles Feedback der Schüler kann da sehr gut weiterhelfen.
Obwohl die Schulen jetzt ganz langsam wieder geöffnet werden, bedeutet Corona eine erhebliche Umstellung. Schüler sitzen oft tagelang zuhause, alleine. Ist das ein Problem fürs Lernen?
Schüler lernen in der Gruppe sicher besser, effizienter. Es macht mehr Spaß, was man nicht unterschätzen darf. Auch jetzt in Corona-Zeiten lernen viele Kinder zuhause ja gemeinsam. Das sehe ich bei meinen eigenen Kindern. Aber es zeigt sich schon, dass Corona mit dem Fernunterricht alle vor riesige Herausforderungen stellt: Lehrer, Schüler und Eltern. Fernunterricht ist anstrengend. Das zeigen auch die Rückmeldungen, die über unsere App eingeholt wurden.
Wird Corona die Schulen dauerhaft verändern, wenn das Schlimmste einmal hoffentlich vorüber ist?
Ganz sicher. Die Digitalisierung ist nicht zurückzudrehen, sie bietet ja auch viele entscheidende Vorteile. Aber in der Vergangenheit ist da viel Geld an der falschen Stelle ausgegeben worden. Man hat die alte Infrastruktur einfach digital kopiert. Bestes Beispiel ist das Whiteboard, ein teurer interaktiver Bildschirm, der jetzt in vielen Klassenzimmern statt der Kreide-Tafel hängt. Aber jetzt zeigt sich: Das bringt gar nichts! Es ist das nutzloseste Digital-Tool überhaupt! Wirklich sinnvolle Digitalisierung bedeutet Interaktion, Kommunikation, synchron oder asynchron, etwa über Video, Lernplattformen oder die gute alte E-Mail.
Jetzt sollen ja ein paar Milliarden in die Schulen fließen, dazu gibt es extra einen Digitalpakt zwischen Bund und Ländern. Hilft der?
Grundsätzlich schon, aber auch da wird bislang zu sehr auf technische Infrastruktur geschaut. Natürlich ist W-LAN in den Schulen wichtig. Aber worauf es wirklich ankommt ist, mit Hilfe digitaler Technik das Lernen selbst zu verbessern: weg vom Frontalunterricht, hin zu mehr kommunikativen Modellen, die die Schüler viel mehr und aktiv einbeziehen. Es geht doch darum, die Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens zu stärken. Da sollten auch die Milliarden hinfließen. Sie sind dort besser angelegt als bei der Rettung von Großkonzernen.
Kann die Digitalisierung auch die zum Kommunizieren bringen, die im analogen Klassenzimmer eher wenig sagen? Weil sie Anonymität ermöglicht und damit soziale Kontrolle unterläuft?
Ja, bei unserer App ist die Anonymität ganz entscheidend. So kann jeder Schüler ehrlich sagen, was er am Unterricht gut fand und was nicht, ohne Sanktionen von Lehrperson oder auch Mitschülern befürchten zu müssen. Das ist ganz wichtig. Schule ist ja immer ein System der ständigen Bewertung. Schüler müssen darum latent Angst haben, wenn sie Kritik äußern.
Die Corona-Krise zwingt offenbar die Schule zu ihrem Glück. Was sollte sich nach Corona dauerhaft ändern?
Die Digitalisierung mit ihren neuen Möglichkeiten der ehrlichen und effizienten Kommunikation wirft neue Fragen auf. Traditionell will die Schule viel zu viel Stoff vermitteln. Die Lehrpläne werden immer voller und voller. Was bringt das? Wenn wir uns mehr kümmern um bessere Techniken des Lernens stellen sich ganz neue Fragen: Was ist wirklich essenziell? Es geht doch um das Vermitteln von Kompetenzen, von Fähigkeiten, die man im Leben wirklich braucht.
Corona ist Krise, aber auch ein riesiges soziales Experiment. Wird es die Ungleichheit unter den Schülern verstärken, wie das einige befürchten?
Natürlich, die Gefahr ist da. Die Voraussetzungen der Schüler sind ja sehr unterschiedlich. In der Klasse werden diese Unterschiede zunächst etwas nivelliert, die Schere kann aber wieder aufgehen, wenn durch Corona der Zugang zu den Schülern individueller wird. Das müssen wir natürlich verhindern. Finanziell wäre es auch leicht machbar, wenn jedes Kind, dessen Eltern es sich nicht leisten können, von den Schulen ein digitales Endgerät bekäme, mit dem es arbeiten kann.
Haben Lehrer vielleicht auch Angst vor der Digitalisierung? Vor der Technik, die erst mal neu ist, und vor den neuen Formen der Kommunikation?
Das spielt mit Sicherheit eine Rolle. Sie bedeutet eben auch teilweise Kontrollverlust für die Lehrperson, was Angst erzeugen kann. Es kann vorkommen, dass die Schülerin oder der Schüler mehr weiß als man selbst. Damit muss man erst einmal zurechtkommen. Die traditionelle Rolle des Lehrers war es, immer mehr zu wissen als die Schüler. Das ist heute nicht mehr per se so. Die Lehrerrolle ist daher sehr starken Veränderungen unterworfen.
Wie lassen sich die unberechtigten Ängste überwinden?
Unsere App Edkimo ist genau deshalb um die Lehrperson herum entwickelt worden. Sie selbst bestimmt, was gefragt wird, was man bereit und in der Lage ist zu verändern, und wer die Ergebnisse zu sehen bekommt. Auch der Vorgesetzte bekommt sie nicht, wenn er das nicht soll. Jede Lehrperson hat es in der Hand, was mit den Schülerrückmeldungen aus der Klasse geschieht.
Es gab vor ein paar Jahren andere Versuche, die ohne Kontrolle funktionieren sollten, und wo Lehrer letzten Endes nur an den Pranger gestellt wurden. Das hatte gar keine konstruktive Funktion. Das hat der Idee eines lernrelevanten Feedbacks aber nicht wirklich schaden können. Klar ist: Feedback verbessert den Unterricht, das hilft jedem, der es nutzt. Das lernen Lehrkräfte heute bereits in ihrer Ausbildung. Wenn Lehrende sich auch als Lernende begreifen, verbessert das den Unterricht spürbar. Feedback kann ja auch Lob und Anerkennung bedeuten. Es kann entlasten, wenn man merkt, dass man etwas richtig gemacht hat. Bislang war der Lehrerberuf einer, in dem es weniger Rückkopplung gab, als in den meisten anderen Berufen. Das sollte sich ändern. Dabei hilft auch unsere App.