Vielleicht ist die Basketball-Doku „The Last Dance" eine Glorifizierung Michael Jordans und der Chicago Bulls. Man kann die Mini-Serie aber auch einfach als eine schöne Reise in die Vergangenheit betrachten, als Basketball vor allem wegen ihm populär war wie nie.
Die Sportgeschichte hat große Helden hervorgebracht. Idole ganzer Generationen weltweit: Carl Lewis, Boris Becker, Steffi Graf, Muhammed Ali, Michael Schumacher. Alle haben eines gemeinsam: Ihre Karriere ist schon relativ lange vorbei. Kaum eine Sportart schafft es noch, lebende Legenden hervorzubringen. Die Ronaldos und Messis dieser Welt sind einzig dem Fußball vorbehalten, darum sind Persönlichkeiten wie Pele oder Maradonna bei der zuvor genannten Auswahl außen vor. Aber selbst heute erlangen nur noch wenige Fußballer diesen Status …
Was bleibt ist also, dass wir uns an die ganz Großen unserer Kindheit oder Jugend erinnern können. „The Last Dance", eine zehnteilige Serie auf Netflix, widmet sich dem Mann und Team, die wirklich jedem ein Begriff sein sollten: Michael Jordan und den Chicago Bulls. In der letzten Saison, in der Jordan und Bulls-Trainer Phil Jackson zum sechsten Mal gemeinsam die Meisterschaft gewinnen wollten, wurden sie von einer Crew begleitet, die während der NBA-Saison 1997/98 einen All-Access-Pass für die Bulls hatte. Natürlich gibt es auch viele Rückblicke aus Archviaufnahmen in die Kindheit und Jugend dieser unglaublichen Sportler. Nicht nur Jordans früh aufkeimender Ehrgeiz und schneller Aufstieg zu College-Zeiten in North Carolina wird porträtiert, man bekommt ebenso Einblicke in zwei weitere wichtige Charaktere der Chicago Bulls, nämlich Scottie Pippen, der „Mann an Jordans Seite". Aber auch Dennis Rodman, der nicht nur stark polarisierte, sondern auch die Mannschaft voranbrachte.
Jede der zehn Episoden hat einen anderen thematischen Schwerpunkt und beleuchtet andere Aspekte von Jordans Charakter, seiner Karriere und seinen Wegbegleitern. Auch seine Teamkollegen und seine Trainer, ohne die sämtliche triumphale Siege nicht möglich gewesen wären, erfahren eine angemessene Huldigung.
In Episode eins sehen wir chronologische Flashbacks von Jordans College-Jahren und den Anfang seiner Karriere in der NBA. Vor Beginn der Saison 97/98 machten die Bulls einen Trip nach Paris, bei dem sie begleitet wurden. Bei diesen beiden Aspekten sieht man schon zum einen, wie früh und wie weitreichend, zum anderen Jordan als herausragende Figur des Basketballsports wahrgenommen wurde.
Nur Freunde und Gönner gab es deswegen noch lange nicht. Darum werden auch die Spannungen zwischen Jordan, Trainer Phil Jackson und dem General Manager Jerry Krause thematisiert.
500 Stunden Material und 106 Interviews
Episode zwei legt den Fokus auf den wichtigsten Mann neben Jordan. Scottie Pippen war ebenfalls unangefochten einer der besten NBA-Spieler überhaupt. Er spielte allerdings nicht nur, was das Ansehen anbelangte, die zweite Geige, sondern hatte auch finanzielle Verhandlungsschwierigkeiten mit dem Bulls-Management.
Die dritte Folge dreht sich primär um den polarisierenden Dennis Rodman, seine Einstellung dem Sport und dem Team gegenüber, in das er alle Energie steckte, aber auch sich selbst zu einem atypischen Spitzensportler entwickelte. Außerdem geht es um den speziellen Kampf der Bulls gegen die Pistons Ende der 80er-Jahre.
Folge vier widmet sich Phil Jacksons einzigartige Team- und Trainingsphilosophie und wie er die Bulls auf ein höheres Level brachte und somit den Weg für den ersten Titel ebnete.
In Folge fünf ist der Jordan-Mythos schon in vollem Gange und die NBA populär wie nie. Die Finals 1992 sind im Interesse aller, wie auch das Olympische Team der USA mit weiteren Ikonen wie Magic Johnson, Patrick Ewing, Larry Bird oder Charles Barkley. Außerdem wird der kürzlich, tödlich verunglückte LA-Lakers Spieler Kobe Bryant geehrt.
So geht es Episode für Episode weiter. Nummer zehn wurde erst am 1. Mai fertiggestellt. Rückblicke aus Spielen wechseln sich ab mit Begleitmaterial und Interviews mit den Spielern von damals aber auch anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie beispielsweise den Ex-US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama. Im Rahmen der Filmarbeiten kamen über 500 Stunden unveröffentlichtes Material zusammen, die die Sportwelt in ihrer Zusammensetzung begeistert. Regisseur Jason Hehir sagte im Interview auf die Frage wie viel Material zur Verfügung stand: „Wenn man das komplette NBA-Archiv seit den 50ern dazurechnet, waren es gute 10.000 Stunden. Von der Saison 1997/98 lagen uns rund 500 Stunden Material von hinter den Kulissen vor. Wir mussten einiges durchgucken. Insgesamt führten wir für die Doku 106 Interviews, und es waren fast keine schlechten dabei."
Es ist also nicht völlig ausgeschlossen, dass es eine zweite Staffel geben könnte. Genug Material ist jedenfalls vorhanden. Bis dahin ist die Dokumentation in jedem Fall eine schöne Abwechslung für alle, die vor allem Live-Spiele derzeit stark vermissen.