Der Breitensport hat in der Corona-Krise gelitten. Beim Eimsbütteler TV, einem der größten Vereine in Deutschland, ist man über die Lockerungen daher sehr froh.
Frank Fechner ist im wahrsten Sinne des Wortes urlaubsreif. „Nach acht Wochen Krisenmanagement brauche ich mal eine Pause“, sagt er. Da trifft es sich hervorragend, dass die Nordseeinsel Sylt inzwischen wieder für Touristen geöffnet ist. Dort hat Fechner mit seiner Frau eine Ferienwohnung gemietet, ein paar erholsame Tage am Meer kommen gerade recht.
Fechner ist Vorsitzender des Eimsbütteler TV, einem der größten Breitensportvereine Deutschlands. Etwa 16.000 Mitglieder haben sich dem ETV angeschlossen, auf einem Areal von 6.800 Quadratmetern geht es normalerweise immer hoch her. Der Verein in Hamburg bietet fast die ganze Welt des Sports an – von Faustball bis Capoeira. Insgesamt mehr als 900 Sportstunden die Woche! Es wird gefochten, geturnt, gespielt, getanzt, gekämpft oder geschwommen. Und das seit dem Gründungsdatum am 19. Februar 1898, unterbrochen nur durch den Krieg – und zuletzt durch Corona.
„Das Vereinszentrum war zeitweise fast komplett verwaist. Das mitanzusehen war schon sehr traurig“, sagt Fechner. Es sei schlimm gewesen, wochenlang kein Kinderlachen, keinen Jubel zu hören. Und als eine „große Belastung“ empfand es der Vereinschef, „die Personalverantwortung für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben.“ Einen Großteil musste er in Kurzarbeit schicken, um das Überleben des Vereins nicht zu gefährden. „Die Unsicherheit war extrem groß“, sagt er. Der Verein habe einerseits „mit der gesundheitlichen Bedrohung durch das Virus“ und andererseits „mit den wirtschaftlichen Folgen“ zu kämpfen gehabt.
Schwierige Auflagen beim Teamsport
Deshalb war Fechners Erleichterung riesig, als die Politik die lang ersehnten Lockerungen der Kontaktbeschränkungen ab dem 6. Mai verabschiedete. „Wir fahren ganz langsam wieder hoch“, sagt Fechner. Die Angestellten, seien es Mitarbeiter der Geschäftsstelle oder Trainer, werden schrittweise aus der Kurzarbeit herausgeholt, das Sportangebot peu à peu erweitert. „Wir dürfen wieder alles anbieten, was unter freiem Himmel stattfindet und wo Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden können“, erklärt Fechner. Beim Individualsport halten sich die behördlichen Einschränkungen in Grenzen, beim Teamsport sind die Auflagen komplizierter. Der direkte Kontakt zwischen den Athleten ist weiterhin nicht erlaubt.
Besonders knifflig war die Umsetzung beim Beachvolleyball. „Offiziell sind da Blocksituationen verboten“, sagt Fechner und muss schmunzeln, weil er selbst weiß, wie schwer das in der Realität umsetzbar ist. Drei Volleyballer dürfen nur auf einem Feld sein – oder fünf, wenn sie aus einem Haushalt kommen. „Manche Ausnahmen von Regeln sind schwer zu vermitteln“, sagt Fechner.
Immerhin kann der ETV unkompliziert wieder Techniktraining im Fußball, Baseball und Hockey anbieten. Alles nur draußen, also muss das Wetter mitspielen. „Wir gehen davon aus, dass wir noch im Mai mit Auflagen und reduzierter Größe auch Hallen-Angebote machen können“, sagt Fechner. Die ersten Outdoor-Angebote wurden gut angenommen. Bei Hatha-Yoga, Cheerdance oder Budofit holten schon unmittelbar nach der Wiederöffnung viele Menschen das nach, was sie in Zeiten der Kontaktbeschränkung an Bewegung so vermisst hatten.
Das gilt insbesondere für die vielen Kleinen unter den Mitgliedern, immerhin sind 45 Prozent der rund 16.000 Mitglieder im Kindes- und Jugendalter. „Für Kinder ist es total wichtig, dass sie sich bewegen und mit anderen Kindern in Kontakt kommen“, weiß Fechner: „Die Kids saßen wochenlang zu Hause ohne echten Sport. Nur laufen oder im Park ein bisschen kicken – das reicht nicht.“ Deshalb hat der ETV bei den Outdoor-Angeboten auch darauf geachtet, dass möglichst viele kindgerecht sind. So können sich Jungs und Mädchen bei den Kata-Übungen im Karate austoben, oder sie testen ihre Kraft beim Parkour. Für die Kleinen (zwei bis vier Jahre) bietet der Verein auch ein Eltern-Kind-Turnen an, und sogar Babys können im Kurs „Pampersgymnastik“ erste Bewegungserfahrungen sammeln.
Der ETV lebt derzeit von seinen Rücklagen
Der ETV hat schon vor der Corona-Krise großen Wert auf die Nachwuchsarbeit gelegt und immer wieder altersgerechte Angebote aus dem Boden gestampft. Mit der „ETV KiJu“, der Kinder- und Jugendförderung, ist der Verein auch in Schulen aktiv und kümmert sich um die sportliche Betreuung und Ausbildung. Außerdem organisiert der ETV Kinderflohmärkte und Ferienprogramme. Doch für solche Aktionen ist die Zeit noch nicht wieder reif. „Wir leben noch immer in der Corona-Krise“, betont Fechner.
Er weiß, dass es auch in der Verantwortung der Vereine liegt, dass sich das Virus durch die Öffnung nicht wieder stärker verbreitet. Deshalb haben er und seine 30 Mitarbeiter auch ein Hygienekonzept entwickelt, das sich an das allgemeine Schutzkonzept des Deutschen Olympischen Sportbundes anlehnt und mit sportarten- und sportstättenspezifischen Aspekten ergänzt wurde. Die Mitglieder kommen zum Beispiel durch den Haupteingang herein und finden überall Ausschilderungen zu den Sportstätten. Die Anlage verlassen die Menschen aber durch einen anderen Ausgang. Die Umkleiden und Duschen sind geschlossen, die Toiletten dürfen nur einzeln betreten werden.
Noch hat von den Behörden keiner die korrekte Umsetzung des Konzepts kontrolliert, sagt Fechner, „aber ich rechne ehrlich gesagt damit, dass das bald passiert.“ Während des Shutdowns sei einmal die Polizei am Sportzentrum an der Bundesstraße gewesen und hätte geschaut, „ob hier etwas passiert oder nicht“. Aber es war nichts los. Existenzbedrohend sei die Situation nicht gewesen, „dafür sind wir zu groß und haben etwas Rücklagen“, verrät der Vereinschef. Auch die Stadt Hamburg gab aus dem Nothilfefonds etwas Geld. Man sei dankbar für den Zuschuss, sagt Fechner, „auch wenn die 25.000 Euro für unsere Größe relativ wenig sind.“
Was zunächst etwas abgehoben klingt, relativiert sich beim Blick auf die Kosten schnell: Allein das Lehrschwimmbecken verschlingt pro Monat 25.000 Euro an Betriebskosten. „Wenn man die nicht durch Kurse gegenfinanzieren kann“, sagt Fechner, „dann ist das hart.“ Noch ist unklar, wann das Schwimmbad geöffnet werden und sich damit finanziell wieder selbst tragen kann. Der größte wirtschaftliche Schaden entstand aber dadurch, dass der Verein seine Hallen und Räume zwei Monate lang nicht vermieten konnte. Auch konnte die normale Fluktuation von sieben oder acht Prozent bei der Mitgliederanzahl nicht durch Neueintritte kompensiert werden. „Wer tritt schon in einen Verein ein, wenn es kein Angebot gibt?“ Die Antwort auf Fechners rhetorische Frage ist klar: niemand.
Online-Angebote bleiben bestehen
Zum Glück für den ETV haben die meisten Mitglieder ihrem Verein auch in der schweren Krise die Treue gehalten. Doch dafür mussten Fechner und seine Mitarbeiter „extrem viel kommunizieren“. Viele Menschen hätten nicht gewusst, dass sie in einem Verein rechtlich keinen Anspruch auf eine Leistung haben – anders als zum Beispiel in einem kommerziellen Fitnessstudio. „Das musste man sehr vielen Leute erklären“, berichtet Fechner, „die meisten haben es aber verstanden.“ Bei Laune hielt der Vereine seine Mitglieder mit Online-Angeboten. Das Portal bleibt aufgrund des großen Erfolgs auch in Zukunft bestehen. Einen neuen Trend sieht Fechner in der Digitalisierung von Sportangeboten aber nicht. „Jane Fonda hat ihr Aerobic-Training schon vor Jahrzehnten über Video vertrieben“, erinnert sich der ETV-Boss zurück. So etwas könne auch nur als Ergänzung funktionieren, das reale Treffen werde dadurch niemals ersetzt. „Der analoge Kontakt hat einen hohen sozialen Wert. Das ist das, was viele Menschen suchen und schätzen“, argumentiert Fechner: „Für unsere Mitglieder ist der Sportverein mehr als nur ein Sportanbieter, er ist ein sozialer Treffpunkt.“ Dieser soziale Treffpunkt an der Bundesstraße im Herzen von Eimsbüttel ist nun wieder geöffnet. Zumindest teilweise. Bis zur gewohnten Normalität ist es noch ein weiter Weg. „Ich habe den sehr großen Wunsch, dass bald auch im Wettkampf wieder Teamsport möglich ist“, sagt Fechner. Aber dafür brauche es „wahrscheinlich erst den Impfstoff oder ein Medikament.“
Die Basketballer des ETV zum Beispiel sind in die 2. Bundesliga ProB aufgestiegen, „ein Megaerfolg“, wie Fechner sagt. Das Problem: Niemand weiß, ob und wann die Saison losgeht. Auch die Volleyballerinnen des Clubs aus der Zweiten Liga hängen in der Luft. Mit etwas Neid blickt Fechner deshalb auf die Fußball-Bundesliga, die Mitte Mai wieder gestartet ist: „Das Konzept der DFL ist in keiner anderen Liga finanzierbar.“ Fechner hat noch einen zweiten Wunsch für die Zukunft. „Wenn es zu einer größeren Wertschätzung des Amateur- und Breitensports kommt, würde mich das sehr freuen.“ Er und seine Mitstreiter würden beim ETV „tatsächlich aus Überzeugung“ arbeiten, „und nicht wegen des Geldes“. So anstrengend wie in den vergangenen Wochen war seine Arbeit aber noch nie. Den Urlaub auf Sylt will Fechner deshalb besonders genießen.