In der Luxus-Mode wurde bislang das Konzept des einsam an der Spitze eines Labels regierenden Kreativ-Chefs gepflegt. Damit hat Miuccia Prada Schluss gemacht und den hoch gehandelten Kollegen Raf Simons im April zu ihrem gleichberechtigten Co-Creative-Director gekürt.
Kurz bevor das Coronavirus die zu Ende gehende Mailänder Fashion-Show eingeholt hatte, ließ Miuccia Prada eine mediale Bombe platzen. Sie hatte dafür eigens ganz kurzfristig an einem Sonntagmittag zu einer Pressekonferenz geladen. Das hatte im Vorfeld zu reichlich Spekulationen unter den Modejournalisten geführt. Wollte sie etwa ihr 1913 vom Großvater Mario Prada gegründetes Familienunternehmen, das 2019 trotz eines grundsoliden Umsatzes von 3,23 Milliarden Euro an der Börse ziemlich geschwächelt hatte, an einen der beiden großen Luxuskonzerne Kering oder LVMH verkaufen? Oder sollte etwa der Einstieg eines finanzstarken Partners verkündet werden? Oder sollte nur ein seit Anfang des Jahres in der Szene kursierendes Gerücht bestätigt werden, wonach dem gebürtigen Belgier Raf Simons die kreative Leitung des Prada-Zweitlabels Miu Miu übertragen wurde?
Keine der drei Optionen sollte schließlich der Wahrheit entsprechen, denn Miuccia Prada hatte sich gemeinsam mit ihrem Ehemann Patrizio Bertelli einen wahrhaftigen Coup ausgedacht: Raf Simons kam tatsächlich die Rolle eines der beiden Hauptdarsteller zu, allerdings in einem noch deutlich höher als Miu Miu angesiedelten modischen Blockbuster. Denn Miuccia Prada ernannte den von ihr hochgeschätzten Kollegen zu ihrem gleichberechtigten Co-Creative-Director bei ihrem Renommierlabel Prada. Als Start der Zusammenarbeit wurde der 2. April dieses Jahres festgesetzt mit der Zielvorgabe, die erste gemeinsame Kollektion schon im September präsentieren zu können. Ob das in Italien so verheerend wütende Coronavirus eingedämmt wird, ist noch nicht abzusehen. Denn schließlich müssen die Entwürfe von vielen helfenden Händen geschneidert werden, was schon in der kommenden Wintersaison ein Riesenproblem für die meisten Labels werden dürfte.
Zwei kreative Designer bei einem Label sind absolutes Novum
Dass sich zwei so renommierte Designer-Schwergewichte zusammentun und eine kreative Doppelspitze bei einer Luxusmarke bilden, ist ein absolutes Novum in der Fashion-Branche. Es ist nicht nur eine Sensation, sondern vielleicht auch ein gänzlich neuer Weg, „der das Mode-Universum verändern könnte", wie es das Insidermagazin „Business of Fashion" eingeschätzt hatte. Es ist eine bewusste Abkehr vom bislang zelebrierten Kult des Stardesignertums, bei dem nur ein Chef oder eben eine Chefin das kreative Sagen bei einem Label hat. Mit dem üblichen Prozedere des Wechsels von einer Marken-Kommandobrücke zur anderen. Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, der für die schillernde Modewelt geradezu typisch ist, war bislang für eine Teilung der Macht kein Platz. Doch diesbezüglich dürften die beiden keinerlei Probleme haben. Denn weder Miuccia Prada noch Raf Simons suchen das Bad in der Menge, sondern halten sich mit öffentlichen Auftritten zurück. Allerdings machte Miuccia Prada unmissverständlich klar, dass das Engagement des Kollegen keinesfalls als vorweggenommene Nachfolgeregelung angesehen werden dürfe: „Ich liebe es zu arbeiten, macht mich nicht älter als ich bin." Am 10. Mai wurde sie 71.
Im gesamten Blätterwald wurde die Kooperation der beiden Designer-Größen unisono positiv kommentiert. Allein die „Süddeutsche Zeitung" erlaubte sich einige kritische Anmerkungen, wobei sie vor allem auf die für Simons typische Kompromisslosigkeit aufmerksam machte. Bei seinen beiden vorherigen Engagements bei Dior und Calvin Klein stand sie ihm deutlich im Weg: „Wenn eines Tages die Führung einer Naht, die Farbe eines Knopfes, das Thema einer Kollektion festgelegt werden muss, werden im Atelier in Mailand zwei gewaltige Egos aufeinanderprallen." Dennoch mache es aus Sicht der „SZ" für Miuccia Prada durchaus Sinn, „sich mit einem Mann zu verbinden, der die Branche ähnlich elektrisiert wie Signora Prada selbst, der ähnlich radikal denkt und ihr seit langer Zeit verbunden ist." Schließlich kennen sich die beiden spätestens seit 2005, als Miuccia Prada ihm erstmals bei Jil Sander das Entwerfen von Damenbekleidung übertrug. Bis dahin hatte er nur in der Menswear mit seiner 1995 etablierten Marke Raf Simons und betont schmal geschnittenen Looks für Furore gesorgt.
Keiner von beiden ist scharf aufs große Rampenlicht
In seiner Zeit bei Dior von 2012 bis 2015 erwarb sich Simons einen exzellenten Ruf in der Damenmode, weil er die typischen Codes der Marke wie die Bar-Jacke oder die Maiglöckchen-Linie innovativ weiterentwickelte und zudem die Dior-DNA durch neue Elemente wie Sportswear oder maskuline Anzüge erweiterte. Das wurde offenbar im fernen Mailand aufmerksam verfolgt und von Miuccia Prada lobend in einem Interview kommentiert, dass sie 2016 gemeinsam mit Raf Simons dem „System"-Magazin gegeben hatte. Prada: „Ich würde gerne mit Raf arbeiten, es wäre ein Riesenspaß." Simons: „Ich spüre Miuccias sehr klare Vision auf allen Ebenen, ihre Denkweise, ihre Sicht auf die Welt, ihre Sicht auf die Kunst, ihre politische Meinung. Und sie als Person ist in der Lage, dies in einem so großen Ausmaß zu konstruieren und zu teilen. Ich finde das überwältigend." Die Lunte war also schon gelegt, der Funke sprang über, als Miuccia Prada und ihr Ehemann gleich nach Simons Rauswurf bei Calvin Klein 2018 Kontakt mit dem Belgier aufnahmen. Nach weiteren Treffen sei man zu dem Entschluss gekommen: „Lass es uns machen". Gegenseitige Sympathie und Wertschätzung haben laut Prada eine wichtige Rolle bei der Entscheidung gespielt: „Es ist nicht nur eine professionelle, sondern auch eine menschliche Beziehung."
Auf der Pressekonferenz im vergangenen Februar gab Prada folgende Erklärung für die ungewöhnliche Kooperation ab: „Das eröffnet einen neuen Dialog zwischen zwei Designern, die weltweit als zwei der wichtigsten und einflussreichsten ihrer Zeit wahrgenommen werden. Es handelt sich um eine neue Idee dazu, wie die kreative Leitung einer Modemarke aussehen kann – und es stellt die Idee infrage, dass kreative Autorenschaft stets das Werk eines Einzelnen beschreiben muss. Zudem zeigt es, wie wichtig Kreativität in der sich wandelnden kulturellen Landschaft ist." Kein Wort wurde allerdings über etwaige Arbeitsteilungen verloren. Schon gar nicht wurde der Anschein erweckt, als solle sich Simons, der seine eigene Herrenmode-Marke weiterführen wird, vornehmlich auf die Prada-Menswear konzentrierten. Es wurden auch keine konkreten Zielsetzungen formuliert, die letztlich ausschlaggebend für Simons Engagement waren. Es wurde lediglich das Gefühl vermittelt, dass Prada damit einen zukunftsweisenden Schritt eingeschlagen habe.
Sympathie und Wertschätzung waren von Anfang an da
Simons selbst zeigte sich natürlich hocherfreut über seine neue berufliche Herausforderung: „Ich mache Prada in all seinen Facetten. Prada ist eine Marke, an der ich schon mein ganzes Leben lang interessiert bin. Ich kann es kaum erwarten, euch den Dialog zu präsentieren, den ich mit Mrs. Prada und ihrem Team führen werde." Auf die Frage von Journalisten nach unterschiedlichen Stärken angesprochen, beließ es Simons bei einer knappen Antwort: „Ich erkenne schon Unterschiede, aber ich beabsichtige, das als Herausforderung anzusehen." Was Miuccia Prada zu dem Kurzkommentar „Ich stimme zu" veranlasste, um dann noch hinzuzufügen: „Es ist eine Herausforderung, aber wir respektieren uns und werden sehen, wo wir gemeinsam hingehen. Wenn beide an etwas glauben, machen wir es. Wenn einer etwas nicht will, machen wir es auch nicht. So simpel ist es." Womöglich passen Simons Kompromisslosigkeit und Eigenwilligkeit genau zu Miuccia Prada, die bekanntermaßen in ihrer langen Karriere häufig ganz eigene Wege gegangen ist und damit neue Trends gesetzt hat.
Und noch eines haben die beiden Designer gemeinsam, nämlich ihren unkonventionellen Einstieg in die Modebranche. In den 70er-Jahren wollte Miuccia Prada, die heute mit einem Privatvermögen von knapp vier Milliarden Euro eine der reichsten Frauen Italiens ist, vom Einstieg in das hauptsächlich auf Accessoires spezialisierte Familienunternehmen nichts wissen. Stattdessen studierte die bekennende Kommunistin und Feministin Politikwissenschaften mit Doktorabschluss in Mailand, um anschließend eine fünfjährige Schauspiel- und Pantomimenausbildung bei Giorgio Strehler am Mailänder Piccolo Teatro zu absolvieren. Erst im Alter von 28 Jahren übernahm sie die Geschäftsleitung von Prada und konnte nach dem Einstieg in das lukrative Damenschuhgeschäft gleich mit ihrer ersten richtigen Innovation, einer eleganten, schnell zum Kultobjekt werdenden Handtasche aus Nylon, den kriselnden Betrieb Anfang der 80er-Jahre retten. Erst danach begann sie Mode zu machen, ihre erste Damenkollektion wurde 1988 präsentiert.
Simons fühlt sich der Herausforderung gewachsen
Raf Simons studierte Industriedesign und machte sich einen Namen als Möbeldesigner. Doch dann wurde er vom Vibe rund um die legendären Antwerpener Six infiziert und machte ein Praktikum bei Walter van Beirendonck, der ihn zur ersten Show von Martin Margiela nach Paris mitnahm. Von dessen Avantgarde-Kreationen war er so sehr begeistert, dass er zur Mode wechselte und ohne weitere Ausbildung direkt eine Mens-Fashion-Kollektion auf den Markt brachte. Spannend dürfte sein, welche seiner besonderen Vorlieben er künftig bei Prada einbringen wird. Die deutsche „Vogue" brachte schon mal vorsorglich einige Stärken ins Spiel: Liebe zu auffälligen Farbkombinationen, minimalistisches Tailoring, Volumen/Oversize-Format, romantische Verspieltheit, Logomania …