Wenn drei oder vier sich streiten, freut sich der Fünfte. Die CDU sucht einen Parteichef, der Kanzlerkandidat könnte aber von der bayerischen Schwesterpartei kommen. Und bei der SPD spricht viel für einen Kandidaten jenseits der Parteispitze.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn liebt diese Auftritte vor der Bundespressekonferenz. Man spürt regelrecht, wie ihm das Blitzlichtgewitter guttut. An einem Montagvormittag mitten im Juli referiert der freundliche Minister mit den dunklen Locken über anderthalb Stunden zu allen Fragen rund um Corona in der Urlaubszeit. Vorne in der ersten Reihe lauern drei Reporter, denen aber eine ganz andere Frage auf den Nägeln brennt. Nur dafür ist in diesem Format leider kein Platz.
Darum warten die drei auf das Ende der Pressekonferenz, um dann den Minister direkt anzusprechen. Doch Jens Spahn ist Profi genug, um das zu verhindern. Er hat schnell gelernt, dass seine beiden Personenschützer, die er immer dabeihat, nicht immer nur dezent im Hintergrund eingesetzt werden müssen. Man kann sie auch schon mal, als „Ministerial-Mobiliar", sozusagen als mobile Schrankwand, in den Weg stellen. Jetzt stehen sie den Reportern im Weg. Keine Chance, die Frage nach dem Verhältnis zu Armin Laschet loszuwerden.
Dass er, von Armin Laschet in einem Überraschungscoup in eine Doppelkandidatur um den CDU-Vorsitz geholt, jetzt wenig Muße hat, über den formal eigentlichen Kandidaten Auskunft zu geben, ist nachvollziehbar. Der Kandidat aus Nordrhein-Westfalen hat, gelinde gesagt, schwierige Wochen hinter sich. Armin Laschets Außendarstellung in der Corona-Krise war aus heutiger Sicht „suboptimal" und wurde politisch endgültig zu einem Fiasko mit dem Corona-Hotspot in der Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück.
Im März hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf eine eigene Kandidatur für den CDU-Vorsitz verzichtet und sich mit Armin Laschet zusammengetan zu einer Doppelkandidatur.
Nun gilt in der CDU die goldene Regel, wer den Vorsitz der Partei hat, der hat auch den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur. Bis zur Corona-Krise sah es gut aus für den 59-jährigen Laschet, sowohl für den CDU-Vorsitz als auch für die Unions-Kanzlerkandidatur.
Doch bereits Anfang Mai machte Laschet Druck, die Corona-Maßnahmen schnell wieder aufzuheben. Das hat sich nun als kapitaler Fehler herausgestellt, wie mehrere Corona-Infektionsherde in Nordrhein-Westfalen im Nachgang belegen.
Laschet angeschlagen, Söder zögert
Was des einen Leid, bei der Frage der Unions-Kanzlerkandidatur, ist bekanntermaßen des anderen Freud. Dieser andere sitzt in München und konnte sich als bayerischer Ministerpräsident einfach mal nicht die Bemerkung verkneifen: „Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen." CSU-Chef Markus Söder in seiner Traumrolle als Macher und Meister des Krisenmanagements. Lieber einmal zu vorsichtig als zu übermütig. Söder ist politisch der Corona-Gewinner, gut zwei Drittel der Deutschen trauen dem 53-Jährigen laut Umfragen Kanzler zu. Doch Söder, der Vorsichtige, positioniert sich nicht eindeutig, sondern befeuert mit Nebelgranaten unentwegt die Debatte um die Unions-Kanzlerkandidatur. Der unter anderem auch gelernte Fernsehredakteur des Bayerischen Rundfunks arbeitet dabei nur mit großen Bildern, davon versteht er was. Seine Einladung zur Sitzung des bayerischen Kabinetts auf Schloss Herrenchiemsee nahm Bundeskanzlerin Merkel Mitte Juli gern an. Es wurden geradezu traumhafte Fernsehbilder produziert. Mit Kutsche, Bootsfahrt und Schlossgartenspaziergang bei weißblauem Himmel im Sonnenschein. Mia san mia. Aber es gab keine Antwort auf die Frage: Wird Söder Kanzlerkandidat? Bundeskanzlerin Merkel auf Nachfrage, konterte mit ihren typisch verschachelten Antworten: „Sie wissen, dass ich als Bundeskanzlerin ja sozusagen nicht mehr zur nächsten Wahl antrete. Mit dieser Aussage verbunden ist, dass ich mir in der Frage ‚Wer wird mein Nachfolger?‘ eine besondere Zurückhaltung auferlege. Deshalb werde ich dazu in keiner Weise etwas kommentieren. Ich kann nur sagen, Bayern hat einen guten Ministerpräsidenten, und der hat mich heute eingeladen." Doch allein, dass Angela Merkel überhaupt auf Herrenchiemsee aufgetaucht ist, ist schon ein Statement für Söder. Denn im Vorfeld des EU-Sondergipfels, fünf Tage später, hätte sie viele Ausreden gehabt, warum sie nicht nach Bayern kommen kann. Die Frage, ob sie auch nach Nordrhein-Westfalen fahren würde, bejahte die Kanzlerin kurz und knapp. Was bleibt, ist der Eindruck, dass NRW-Ministerpräsident Armin Laschet offenbar vergessen hat, die Kanzlerin zu einer Stippvisite an Rhein und Ruhr einzuladen.
Es sind diese kleinen Seitenhiebe auch der Kanzlerin, die alle bisherigen CDU-Planungen und Ideen zu Parteivorsitz und CDU-Kanzlerkandidatur immer unwahrscheinlicher erscheinen lassen.
Die SPD hat Scholz – die Grünen ein Quotenproblem
Ein weiterer, wahrer Meister dieses Metiers, holt vier Tage später zum nächsten Schlag gegen die bisherigen drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Laschet, Merz und Röttgen, aus. Bundestagspräsident und dienstältester Bundestagsabgeordneter Wolfgang Schäuble gibt der „Zeit" Mitte Juli ein Interview. So weit so unspektakulär. Wenn da nicht an seiner Seite Jens Spahn zum Doppelinterview gesessen hätte. Nun haben die beiden keine bahnbrechenden neuen Einblicke in ihre Betätigungsfelder gegeben. Doch allein der Umstand als solcher hat in der CDU-Bundeszentrale für „überraschte Aufmerksamkeit" gesorgt, so eine Mitarbeiterin gegenüber FORUM. Kein Wunder, bislang hat Wolfgang Schäuble ganz offen Friedrich Merz unterstützt. Erst gegen die derzeitige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und bislang gegen die Bewerbungen von Laschet und Röttgen. Nun das Doppelinterview Schäuble/Spahn ausgerechnet in der „Zeit". Dahinter, so die Spekulationen in der CDU-Zentrale, könnte die Idee stecken, dass Jens Spahn die Führung des Tandems Laschet/Spahn übernimmt und selbst den CDU-Vorsitz anstrebt, wenn am 6. Dezember in Stuttgart auf dem Bundesparteitag gewählt wird. Als Unionskanzlerkandidat könnte dann Markus Söder ins Rennen gehen. Unklar bei diesem Modell ist allerdings, ob CSU-Chef Söder überhaupt will. „Mein Platz ist in Bayern" wiederholt der bayerische Ministerpräsident ein ums andere Mal. Doch circa alle 20 Jahre scheint es Zeit zu sein, für einen Bayern: 1980 Franz-Josef Strauß, 2002 Edmund Stoiber und 2021 möglicherweise der Mann aus Nürnberg. Der Mittelfranke Markus Söder erinnert gern daran: So überraschend wäre ein Kanzler aus Bayern nicht. Schließlich kam auch Bundeskanzler Ludwig Erhard gebürtig aus Bayern, genauer gesagt aus Franken, wie Söder. Nur war Erhard Mitglied der CDU. Dass sich CDU/CSU überhaupt ein solch öffentliches Kanzlerkandidaten-Roulette erlauben können, ist den derzeitigen „Nach-Corona-Politik-Verhältnissen" geschuldet. Die Union führt mit 37 bis 40 Prozent die Umfragen an. Die Grünen liegen irgendwo bei 20, die SPD bei 15 Prozent, womit die beiden potenziellen Koalitionspartner eigentlich erst gar keinen Kanzlerkandidaten aufzustellen bräuchten, was ihnen vor allem viel parteiinternen Ärger ersparen würde.
Bei den Grünen wird immer gern Robert Habeck als möglicher Spitzenmann genannt, was so politisch aber bei den Grünen nicht durchsetzbar ist. Es gilt gerade jetzt das Prinzip der Parität: Frau und Mann als Frontleute im Wahlkampf gleichauf zusammen. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in der SPD, eine Doppelspitze wäre der Traum, zumindest für den linken Flügel der Sozialdemokraten um Parteichefin Saskia Esken. Doch einzig Bundesfinanzminister Olaf Scholz scheint das Format und den Rückhalt dank seiner Umfragewerte für eine SPD-Spitzenkandidatur zu haben. Von Kanzlerkandidatur will selbst SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil für seine Partei in Anbetracht der Umfragewerte nicht mehr sprechen. Solange das so ist, können es sich CDU und CSU bei der Kür ihres Spitzenpersonals für die Bundestagswahl im September 2021 gemütlich machen.