Esther Kuhn wollte schon als Kind Schriftstellerin werden. Der Kindheitstraum wich erst einmal der Realität des Lebens. Doch nun gibt die Saarländerin ihr Debüt mit dem Kinderbuch „SOS-Mission Blütenstaub".
Wenn ein Wunsch es vom Kindesalter bis weit ins Erwachsenenleben schafft, so stark zu bleiben, wie bei Esther Kuhn, dann kann eigentlich nichts schiefgehen. Ich will Schriftstellerin werden. Diesen Traum hatten schon viele. Und für viele löst er sich schnell wieder in Wohlgefallen auf. Kinder, die Schriftsteller werden wollen, werden erwachsen und lernen erst mal was Ordentliches. Erwachsene, die Schriftsteller werden wollen, haben am Ende keine Zeit für diese fixe Idee, weil sie schließlich was Ordentliches gelernt haben. Esther Kuhn ist ein Beispiel dafür, dass es auch anders sein kann. Schon als Kind schreibt sie, damals in den 80er-Jahren noch auf der Triumph-Schreibmaschine der Eltern. Ihre Pläne legt sie allerdings vorzeitig erst einmal auf Eis. Als sie mit sieben Jahren bei einem Kaffeekränzchen den versammelten Tanten ihre erste Geschichte von der fliegenden Oma vorliest, lachen die Anwesenden. Obwohl sie es sicherlich nicht böse meinen, ist es für das Kind damals eine Entmutigung. „Die haben bestimmt nur gelacht, weil sie es total süß fanden, aber mich hat es verletzt", sagt Kuhn. „Auch in der Zeit danach habe ich oft die Rückmeldung bekommen, das sei ja kein Beruf." Nach dem Abitur macht sie also zuerst auch etwas Ordentliches, studiert Journalistik und Soziologie in Leipzig. Dann kehrt sie wieder in ihre Heimat im Saarland zurück, arbeitet zunächst beim „Trierischen Volksfreund" und gründet später ein Journalistenbüro in Saarbrücken. Das Schreiben und Geschichtenerzählen lässt sie dabei nie los.
Heute steht ihr erster Roman, ein Buch für Kinder ab elf Jahren, in den Regalen. Sie hat es geschafft, den bekannten Magellan Verlag für sich und ihre Geschichte zu gewinnen, die im Juli mit dem Titel „SOS – Mission Blütenstaub" veröffentlich wurde. Ein Ritterschlag für jeden Autor. Wie sie dorthin gekommen ist und was zwischen ordentlichem Beruf und Buchveröffentlichung passiert ist, erzählt Kuhn bei einem Treffen in ihrem Schrebergarten auf dem Scheidterberg in Saarbrücken. Dass sie diesen Ort ausgesucht hat, ist durchaus kein Zufall. Denn auch in ihrem Roman steht ein Garten wie dieser im Mittelpunkt. In Kuhns Buch geht es um zwei Kinder, Hugo und Merle, um Bienen, Familie und Freundschaft. Als Hugos Opa stirbt und anschließend dessen Schrebergarten verkauft werden soll, will Hugo das Bienenvolk retten, das noch im Garten steht. Dabei kommt es zu fantastischen Ereignissen.
Bei Kuhn im Schrebergarten gibt es zwar kein Bienenvolk, dafür steht erst einmal ein kurzes Instagram-Video auf dem Plan. Seit einiger Zeit betreibt sie einen Social-Media-Kanal. Mit der Aufmerksamkeit, die ihr jetzt als Autorin zuteil wird, hadert sie aber noch. „Mittlerweile macht es mir nichts mehr aus, mich selbst zu filmen. Ich präsentiere mich insgesamt aber gar nicht gerne", gibt sie zu. Als Journalistin ist sie es gewohnt, beim Interview auf der anderen Seite des Aufnahmegeräts zu sitzen. „Du musst mir doch ein paar Fragen stellen", sagt sie zu Beginn des Gesprächs und lacht. Dann erzählt sie doch von allein und vor allen Dingen mit Begeisterung über das Schreiben.
Stipendium an Erfurter Akademie
Die Arbeit im Journalistenbüro wird Kuhn irgendwann zu viel, sie kann Familienleben und Beruf nicht mehr unter einen Hut bringen. Deshalb sattelt sie um, ihr Mann übernimmt das Büro und sie lässt sich zur Tagesmutter und später auch zur Dozentin in diesem Bereich ausbilden, auch um für ihren eigenen Sohn mehr Zeit zu haben. Der neue Job macht ihr Spaß, ihren ursprünglichen Wunsch hat sie trotzdem immer mit im Gepäck. Ihren ersten unveröffentlichten Roman schreibt sie in dieser Zeit nebenher, damals noch unter einem Pseudonym. Aber das nebenberufliche Schreiben ist anstrengend, manchmal schreibt sie wochenlang nichts oder arbeitet nur am Wochenende an neuen Texten. „Da war einfach keine Zeit zum Schreiben", sagt sie und das zermürbt sie immer mehr. Beruf oder Berufung? Die Frage wird immer drängender. „Mir wurde klar, wenn ich irgendwann zurückschaue und es nicht versucht habe, werde ich mich wahrscheinlich hassen", erinnert sie sich. Am Ende entscheidet sie sich für die Berufung und hängt den Beruf erst einmal an den Nagel. Wertvolle Unterstützung erhält sie dabei vor allem von ihrer Familie und ihren Freundinnen. Kuhn wagt den Schritt, bewirbt sich im Jahr 2018 bei einem Förderprogramm und erhält mit elf anderen tatsächlich ein Stipendium an der renommierten Akademie für Kindermedien in Erfurt. Über ein dreiviertel Jahr verteilt, finden dort intensive Workshops und Seminare statt, in denen die Teilnehmer unter professioneller Anleitung und Bewertung eigene Buch- und Filmprojekte erarbeiten und diese am Ende vorstellen.
In dieser Zeit erhält Kuhn eine überraschende Unterstützung, mit der sie nicht gerechnet hat. Nämlich von sich selbst. In Form ihres siebenjährigen Ichs. Als Kuhns Mutter zu Hause den Keller aufräumt, findet sie eine Kiste mit alten Dingen der Tochter. Mit dabei die Geschichte von der fliegenden Oma, über die die Tanten damals gelacht haben. Für Kuhn ist klar: Das ist ein Zeichen. Und sie beschließt, dem Kind von damals die Hand zu geben. Nicht dem Mädchen, das den Mut verloren hat, sondern dem Mädchen, das schreiben wollte, sagt sie. „Es war so toll, dass meine alten Geschichten in diesem Moment zu mir zurückgefunden haben, das hat die Sache rund gemacht." Das Projekt, das sie anschließend in der Akademie konzipiert, kommt so gut an, dass sie in einem Kooperationsprogramm von ihrem jetzigen Verlag unter Vertrag genommen wird. Kuhns Roman hat alles, was ein gutes Buch ausmacht. Dass eine Geschichte funktioniere, sei gar nicht so selbstverständlich, erklärt sie. Gut schreiben zu können und eine komplette Handlung mit Spannungsbogen und Charakteren mit Potenzial zu entwickeln, seien zwei wirklich unterschiedliche Dinge. Eine gute Geschichte zu konstruieren, die spannend ist und den Zeitgeist trifft, spielt die wesentliche Rolle. Am Ende ist sie erleichtert, dass ihr das gelungen ist und dass das Vertrauen des Verlags sich gelohnt hat. Hinter ihrem Roman steckt deshalb eine lange Entwicklungsphase, die der eigentlichen Schreibphase vorausgeht. „Es geht im Buch um Freundschaft, es geht um Trauer, es geht um die Bienen, die gerettet werden müssen. Dass es sich am Ende anfühlt wie aus einem Guss, darüber bin ich echt froh."
Inspiration im wahren Leben
Jeder Autor tickt anders. Während es Autoren gibt, die nach genügend Recherche über Dinge schreiben können, mit denen sie noch nie etwas zu tun hatten, funktioniert das bei Kuhn anders. Sie nutzt Greifbares für ihre Themen und Figuren. Ihr Roman berührt mit dem Bienensterben ein ökologisch relevantes Thema, das dennoch für jeden vor der eigenen Haustür oder eben im Garten sichtbar ist. Über etwas zu schreiben, was sie nicht kennt und nicht greifen kann, das würde nicht funktionieren, sagt Kuhn. Sie recherchiert deshalb viel, für „SOS - Mission Blütenstaub" besucht sie Imker und lässt sich alles rund um die Biene erklären. Während sie im Schreibprozess steckt, nimmt sie auch ihre Umwelt anders wahr und findet Inspirationen auch im wahren Leben. So etwa als sie an einem modernen Neubaugebiet mit den typischen grauen Häusern und kahlen Steingärten vorbeikommt, auf dessen gegenüberliegender Straßenseite eine blühende Kleingartenanlage sich als lebendiges Kontrastprogramm ausbreitet. Diese Szenerie findet sie so passend, dass sie es in den Roman geschafft hat. „SOS - Mission Blütenstaub" ist ein Kinderbuch, das sieht Kuhn allerdings nicht als Manko. Ob es sich bei einem Buch um ein Kinderbuch oder einen Erwachsenenbuch handelt, macht für sie beim Schreiben und auch beim Lesen definitiv keinen Unterschied: „Die ganz Großen machten da keinen Unterschied. Erich Kästner oder James Krüss, das ist literarisch ganz großes Kino."
Für Esther Kuhn läuft es gut. Gerade steht ihr erstes Buch in den Läden, da hat sie mit ihrem Verlag schon ein neues Projekt konzipiert. Die Schriftstellerin hat den Auftrag für eine Buchreihe erhalten, von der der erste Roman schon in Vorbereitung ist. Die Veröffentlichung ist für Herbst 2021 geplant.